Erkläre mal jemandem den Wedding. Den einzigen Berliner Ortsteil, der für seinen Eigennamen einen Artikel braucht. Und dann auch noch einen männlichen. Doch was vom Rest Berlins als “Ghetto” oder krimineller Armenbezirk abgetan wird, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als ziemlich komplexes Gebilde.
Es fängt schon einmal damit an, dass bei der Berliner Bezirksreform 2001 der Bezirk Wedding aufgelöst wurde. Dieser bestand seit 1. Oktober 1920. Wie Mitte, Kreuzberg, Friedrichshain, Prenzlauer Berg und Tiergarten ist dieser Bezirk aus dem heraus entstanden, was zuvor die alte “Stadt Berlin” war. Die Namen der Bezirke wurden 1920 teilweise völlig neu erfunden und später auch geändert (so wurde aus dem “Prenzlauer Tor” 1921 der “Prenzlauer Berg”). Nur der Name Wedding bezog sich auf ein früheres Dorf – benannt nach einem Ritter – welches allerdings schon im Mittelalter aufgegeben wurde. Später hieß dann das Vorwerk, eine Art Gutshof, der sich ungefähr an der heutigen Ecke Reinickendorfer/Pankstraße/Weddingstraße befand, ebenfalls “Wedding”. Das Gebiet des späteren Bezirks war ursprünglich kein Teil des Berliner Stadtgebiets. Erst 1861 wurden die nur wenige Einwohner umfassenden Ansiedlungen Wedding und Gesundbrunnen nach Berlin eingemeindet. Damit begann die rasante Entwicklung der bis dahin nicht zusammenhängend besiedelten Fläche zu einem Teil der Millionenstadt, der dann später über 300.000 Bewohnern Platz bieten musste – so viele Einwohner wie heute Mannheim hat.
Hatte man sich 1920 noch stark an den Grenzen der eingemeindeten Städte und Dörfer orientiert, wurden 1938 kleinere Begradigungen der Bezirksgrenzen vorgenommen. So kam der nördlich des Berlin-Spandauer Schifffahrtskanals gelegene Teil der Jungfernheide vom Bezirk Charlottenburg zu den Bezirken Reinickendorf und Wedding. Das Pankower Gebiet um die Wollankstraße westlich der Berliner Nordbahn wurde ebenfalls dem Bezirk Wedding zugeschlagen. So kommt es, dass nach dem Bau der Mauer ein Stück ehemaliges Pankow in West-Berlin lag.
Plötzlich ist der Wedding “Mitte”
2001 wurden die Bezirke Wedding, Tiergarten und Mitte zum neuen Großbezirk Berlin-Mitte zusammengelegt – nachdem zuvor jahrelang über eine Fusion von Wedding und Prenzlauer Berg diskutiert worden war. Die offizielle Begründung war die Bündelung der Gebäude der Bundesbehörden und ‑ministerien in nur einem Bezirk. Wie schon vor 1920 wurden aus dem Gebiet des Bezirks Wedding wieder zwei Ortsteile, nämlich “Wedding” und “Gesundbrunnen”. Als Grenze wurde – relativ willkürlich – die Reinickendorfer Straße festgelegt – historisch unsinnig, denn in der westlich der Reinickendorfer Straße gelegenen Hälfte namens “Ortsteil Wedding” hatte sich das namensgebende Vorwerk Wedding niemals befunden, sondern vielmehr im jetzt “Gesundbrunnen” genannten Ortsteil. Dieser umfasst die östliche Hälfte des alten Bezirks und trägt einen historisch ziemlich korrekten Namen – das namensgebende Heilbad an der Panke lag jedenfalls genau in der Mitte des heutigen Ortsteils. Nur das “Brunnenviertel”, eigentlich der Nordteil der Rosenthaler Vorstadt, hat nie zum historischen Gesundbrunnen gehört, ebensowenig wie die früher zu Pankow gehörigen Gebiete an der Wollankstraße.
Ganz schön kompliziert. Wenn wir vom “Wedding” reden, meinen wir also entweder den Ortsteil Wedding (also die westliche Hälfte des ehemaligen Bezirks Wedding). Oder den ehemaligen Bezirk Wedding, der auch den heutigen Ortsteil Gesundbrunnen umfasst.
Mehr Verbindendes als Trennendes
Dass Gesundbrunnen nicht immer gleich Wedding ist, davon ist der Betreiber des Twitter-Profils und der Facebookseite “Gesundbrunnen-Berlin” überzeugt, der auf Veranstaltungen aufmerksam macht und Medien korrigiert, die Orte pauschal dem Wedding zuordnen. Gleichwohl gibt es mehr Verbindendes als Trennendes zwischen Gesundbrunnen und Wedding – zumal insbesondere in der geographischen Mitte des ehemaligen Bezirkes nur schwer vermittelbar ist, weshalb ausgerechnet hier eine Grenzziehung vorgenommen wurde.
Zum Glück wirkt sich die Ortsteilgrenze allenfalls statistisch aus – im Alltag der Weddinger und Gesundbrunner macht es überhaupt keinen Unterschied, auf welcher Seite der Reinickendorfer Straße sie wohnen. Wir vom Weddingweiser wohnen in beiden Ortsteilen und berichten auch weiterhin aus dem ganzen Wedding. Wir müssen ja nicht auseinanderreißen, was zusammen gehört. Das, was die Bewohner eint, nennen wir es einmal das gewisse “Weddinger Lebensgefühl”, ist auf jeden Fall noch in den meisten Straßen des ganzen ehemaligen Bezirks zu spüren – egal ob an der Seestraße oder an der Millionenbrücke. Und das ist es doch, was uns von Prenzlauer Berg, Pankow oder Alt-Mitte unterscheidet.
Und als salomonische Lösung können wir uns darauf einigen: Gesundbrunnen heißen zumindest ein Einkaufscenter und ein Bahnhof.
Für uns Kinder, die in den 70 und 80er Jahre in der Voltastr aufgewachsen sind, hiess das immer nur Wedding. Wenn man sich verabredet hat und Gesundbrunnen gesagt hat, meinte man auch Gesundbrunnen, den Bahnhof. Auch heute sage ich immer noch Weddinger, wenn ich gefragt werde, aus welchem Bezirk man denn stammt.
Und ich trinke noch immer meinen Kaffee aus der Hertha-Tasse mit Wedding plus Wapoen darauf. ;-))
[…] zu finden, der wiederum die östliche Hälfte des früheren Bezirks Wedding umfasst. Am Zusammengehörigkeitsgefühl der Weddinger beidseits dieser extrem unhistorischen Ortsteilgrenze hat sich wenig geändert – nach 80 Jahren […]
[…] Warum sich Wedding und Gesundbrunnen noch immer als Einheit sehen […]
Ich bin nach 25 Jahren Neukölln in den Gesundbrunnen gezogen. Es war und ist in der Tat manchmal komisch kompliziert zu wissen oder zu erklären wo man wohnt: Gesundbrunnen oder Wedding. Gefühlt passt für mich Gesundbrunnen besser, aber damit können viele (Berliner) nichts anfangen, sie verbinden damit nur den Bahnhof. In Neukölln war es aber ähnlich: oft spricht man über Neukölln und meint, meine Heimat, den Norden Neuköllns, dabei ist Neukölln sehr lang und dabei sehr vielfältig in seiner Sozialstruktur. Ansonsten gibt es halt das alte Problem: willkürliche Grenzen passen oft nicht mit den Lebensraum / Sozialraum der Menschen zusammen.