Im Wedding gibt es ein kleines Viertel, das nur aus vier Straßenblöcken besteht. Bekannt ist es allenfalls als Gegend, durch die man hindurchfährt, auch wenn dies erst seit dem Mauerfall richtig möglich ist. Die Rede ist von dem Viertel zwischen der Wollankstraße (Bezirksgrenze Mitte und Pankow), dem Flüsschen Panke und der Nordbahn (heute S‑Bahn-Linien 1, 25 und 85). Es gehört seit 1938 zum Berliner Bezirk Wedding und damit heute zu Mitte.
Ein Neubaugebiet für Pankow
Als die Häuser um 1900 herum erbaut wurden, gehörten die Straßen jedoch zur Landgemeinde Pankow, die an der Wollankstraße (ja, auch Herr Wollank war Pankower) ein neues Wohngebiet erschließen ließ. Noch heute heißen zwei Straßen des Viertels nach den Pankower Bürgermeistern Kuhr und Gottschalk. Die Häuser wirken eine Spur vorstädtischer und auch bürgerlicher als im Rest von Wedding und Gesundbrunnen. Der repräsentativ geplante rautenförmige Sternplatz in der Mitte der vier Straßenblocks gibt dem Kiez eine elegante Note. Leider wurde das Blumenbeet in der Platzmitte nach dem Krieg aufgegeben und zugeteert. Die Stadtgrenze zu Berlin verlief ungefähr zwischen dem Französischen Friedhof an der Wollankstraße und der Panke. Erst ab 1920 kam Pankow zu Berlin, und damit auch das Viertel rund um den Bahnhof.
Zwar wurde das westliche Pankow bereits 1938 dem Bezirk Wedding zugeteilt, wahrscheinlich damit die zuvor zick-zack-förmige Bezirksgrenze in der relativ geraden S‑Bahn-Trasse lag, aber so richtig in zwei Teile gerissen wurde der Kiez erst durch den Mauerbau. Die Mauer selbst verlief unter der S‑Bahnbrücke quer über die Wollankstraße. Die knapp dreißig Jahre der Teilung haben die Bindungen zwischen den südlich und nördlich der S‑Bahn liegenden Teilen des Nordbahnviertels nachhaltig gekappt.
Bahnhof am Rand des Irrsinns
Daran hat sich auch nach dem Mauerfall wenig geändert, nachdem der S-Bahnhof Wollankstraße ab 12.11.1989 wieder von beiden Seiten des Viertels erreicht werden konnte. Zu Mauerzeiten hatte er eine kuriose Rechtsstellung, denn der Bahnhof lag komplett auf Ostgebiet, war aber Haltepunkt nur für die S‑Bahnen des West-Berliner Netzes. Notarzteinsätze auf dem Bahnsteig wurden zum Problem, da die West-Berliner Feuerwehr den Bahnhof nicht betreten durfte. Das schöne Gebäude ist von 1877, als der Bahnhof zunächst Prinzenallee hieß (später Pankow Nordbahn und seit 1937 Wollankstraße).
Ein Kiez, zwei Welten
Auch wenn es mehrere Durchlässe unter dem S‑Bahn-Viadukt gibt, scheinen die Bewohner des in Pankow liegenden Florakiezes nicht viel mit den Bewohnern des in Mitte liegenden Gebiets zu tun haben zu wollen. Der alte westliche Rand Pankows ist auch Jahrzehnte nach dem Mauerfall nicht wieder zusammengewachsen. Die Bevölkerungsstrukturen der beiden Gebiete haben sich in den Jahren der Teilung zu sehr auseinander entwickelt. Das ist sehr bedauerlich, könnten beide Viertel doch längst wieder als ein einheitlicher Kiez erscheinen. Der Krieg hat hier viel weniger Lücken gerissen als anderswo, eher war es der Grenzstreifen an der Mauer, der dem Viertel eine bis heute nicht überall wieder geschlossene Wunde zugefügt hat.
Wenigstens blühen die japanischen Kirschbäume auf dem Mauerstreifen im Frühling wunderschön. Dabei gibt es noch heute viel Gemeinsames: die Panke fließt unbeeindruckt von den Befindlichkeiten der Anwohner von Pankow in den Wedding, und sogar die evangelische Kirchengemeinde an der Panke auf Weddinger Seite hatte bis 2007 “Pankow-West” im Namen.
Es wäre schön, wenn sich die Bürger auf beiden Seiten des S‑Bahnhofs Wollankstraße wieder zusammenfänden. Es gibt noch nicht einmal einen heute noch gebräuchlichen Namen für das zerrissene Viertel. Die alten Kiezbewohner fühlen sich noch als Pankower, aber auch Nordbahnviertel (nach der Nordbahnstraße) könnte der Kiez durchaus heißen.
Es lohnt sich, durch die Straßen des ungewöhnlichen Viertels zu wandern. Einkehren könnt ihr im Café Kahve Rengi an der Wollankstr./Steegerstr.
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Schöner Artikel! Die alte, bis 1938 gültige, Bezirksgrenze betraf übrigens auch das Gebiet auf der anderen Seite der Wollankstraße.. Wenn man ein Stück in die Steegerstraße hineingeht, werden die Häuser auf der rechten Seite plötzlich höher, scheinbar ohne Grund, da es sich um den gleichen Häuserblock und den gleichen Gebäudetyp handelt. Grund ist eine andere erlaubte Traufhöhe im Innenstadtbezirk Wedding, der dort erst begann.