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Bitte, erkläre mir Marktschwärmer

2. Mai 2017
Antonia Hasler
Anto­nia Has­ler orga­ni­siert Tref­fen von Markt­schwär­mern. Foto: And­rei Schnell

Repor­ta­ge Zwei Kin­der im Kitaal­ter betre­ten die Bar. Sie lau­fen durch das dunk­le Cast­le-Pub *(Anmer­kung unten) wäh­rend es drau­ßen bereits nächt­lich schwarz ist. Was­ser tropft von ihren knall­gel­ben und knall­ro­ten Regen­män­tel­chen. In der hin­ters­ten Ecke, bloß spär­lich erleuch­tet, steht ein schma­ler Tisch. Die Kin­der wis­sen bereits, dass dort Brot und Zie­gen­kä­se auf sie war­tet. “Der schmeckt wahn­sin­nig gut”, sagt der Vater, der ihnen bedäch­tig gefolgt ist. Ben­ja­min heißt er. “Die Milch schmeckt wahn­sin­nig gut, das Brot schmeckt wahn­sin­nig gut.” – “Schmeckt alles wahn­sin­nig gut”, fra­ge ich. “Ja”, sagt er ernst und nickt. Die Kin­der plap­pern der­weil mit Bau­er Nor­bert Weiß­bach. So geht Markt­schwär­mer. (Frü­her hieß ein sol­cher Abend food assem­bly.)Bei einer Schwär­me­rei – so wird ein Abhol­a­bend auf der Webei­te www.marktschwaermer.de tat­säch­lich genannt – sit­zen Erzeu­ger, also Bau­ern und Imker, auf der einen Sei­te des Tisches und die Kun­den ste­hen davor und packen ein. So auch heu­te, am 29. März. Nach­dem alles ver­staut ist, ent­steht meist eine klei­ne Pau­se. Weil nicht bar bezahlt wird, fehlt etwas im gewohn­ten Ablauf, wie man ihn im Super­markt ein­ge­übt hat. Spä­tes­tens wäh­rend die­ser Lücke begin­nen die Gesprä­che. Über das Wet­ter – nahe­lie­gend. Oder über irgend etwas anderes.

Toni, Gastgeberin der Schwärmerei

Ich bit­te Toni, die eigent­lich Anto­nia Has­ler heißt und sich Gast­ge­be­rin nennt, mir food assem­bly, par­don, Markt­schwär­mer zu erklä­ren. “Du mel­dest Dich online an, suchst Dir aus, was Dir gefällst, bezahlst online und kommst dann vor­bei, um die Lebens­mit­tel hier abzu­ho­len”, erklärt sie das Prin­zip. Vor­teil für die Erzeu­ger: Sie wis­sen genau, wie­viel sie zum Markt mit­brin­gen müs­sen, weg­ge­wor­fen wer­den muss nichts. Vor­teil für die Käu­fer: Fleisch, Obst und Honig kom­men aus der Regi­on, alles ist trans­pa­rent und man schaut dem Bau­ern in die Augen. Es ist die­ser Augen­blick, der die­se Art des Ein­kaufs zu etwas Beson­de­rem macht. Sogar zu etwas Ehrlichem?

Die Pro­duk­te sind ohne Gen­tech­nik her­ge­stellt. Dar­auf ach­tet die Orga­ni­sa­to­rin Toni. “Und ich lege noch zusätz­lich wert dar­auf, dass alles ohne Pes­ti­zi­de und ohne Dün­ge­mit­tel pro­du­ziert wur­de”, sagt sie.

Sie erzählt, sie als Gast­ge­be­rin orga­ni­sie­re alles und habe auch Ein­fluss auf “ihren Markt”. “Ich suche die Erzeu­ger aus, ich besu­che sie auf ihren Höfen, ich ken­ne alle per­sön­lich”, sagt sie. “Im Som­mer sind wir auf dem him­mel­beet und im Cast­le-Pub, doch im Win­ter nur im Pub.” Sie sei froh, dass Ben, der Bar­be­sit­zer, sofort “cool” gesagt habe. Es sei nicht ein­fach gewe­sen, ein Win­ter­quar­tier zu fin­den. *(Anmer­kung unten)

Castle Pub
Han­del von Bau­er zu Städ­ter im Cast­le Pub. Foto: Weddingweiser.

Kunden der Schwärmerei im Gesundbrunnen

Wei­te­re Käu­fer tru­deln ein. Caro kommt aus Neu­kölln. “Extra hier­her”, fra­ge ich ungläu­big. “Nee, ich woh­ne nur für vier Wochen im Wed­ding.” – “Ach­so, Du bist nur für vier Wochen Mit­glied?” – “Nee, auch nicht. Ich gehe sonst zu einer Assem­bly in Neu­kölln. Weil ich so plas­tik­frei ein­kau­fen kann.” – “Darf ich ein Foto machen?” – “Nee, lie­ber nicht.”

Eine Stamm­kun­din kommt. Sie muss, wie auch die meis­ten ande­ren Käu­fer, ihren Namen nicht sagen. Ihre Tüte bekommt sie umge­hend  aus­ge­hän­digt. Die Lis­ten, die es natür­lich gibt, hal­ten die Bau­ern unter dem Tisch. Häk­chen machen sie, wenn die Kun­den gegan­gen sind. Und im Win­ter ist nicht so viel los, dass man sich die Bestel­lun­gen nicht mer­ken könnte.

Bauer Norbert Weißbach
Bau­er Nor­bert Weiß­bach auf der Markt­schwär­me­rei im Cast­le Pub. Foto: And­rei Schnell

Moorbauer Norbert Weißbach

Ich set­ze mich zu Bau­er Nor­bert Weiß­bach. Er ist guter Din­ge und unter­hält die gesam­te Run­de. “Du bist also Bau­er?”, fra­ge ich. – “Ja, Moor­bau­er.” – “Wie?” Und Nor­bert erzählt, dass es schon 2003 schwie­rig war, Flä­chen zu bekom­men. 50 Hekt­ar hat er schließ­lich erwor­ben und mit der Land­wirt­schaft begon­nen. Im Rhin­luch ganz in der Nähe des Stor­chen­dor­fes Linum. Aber dort im Luch sei eben nass. Als land­wirt­schaft­li­che Flä­che sei sei­ne Hekt­ar eigent­lich unge­eig­net. Aber ande­re Flä­chen habe es nicht mehr gegeben.

Luch­wirt­schaft hat er sei­nen Hof genannt. Er hält dort fast alle Tie­re, die man auf einem Bau­ern­hof erwar­tet. Außer Hüh­ner. Und auch Woll­schwei­ne und Fjäll­rin­der. Ange­fan­gen hat alles mit einer ein­zi­gen Zie­ge. Vor vier Jah­ren wur­de das Gebiet mit sei­nem Hof zu einem Natur­schutz­ge­biet. Mit dem 20. März 2013 ist für das Obe­re Rhin­luch moor­scho­nen­de Land­wirt­schaft vor­ge­schrie­ben. So setzt Bau­er Weiß­bach auf die so genann­te exten­si­ve Land­wirt­schaft. Mit deut­li­chen Wor­ten: sei­ne Tie­re wer­den nicht so schnell “fett” wie die Schwei­ne und Rin­der in kon­ven­tio­nel­ler Land­wirt­schaft. “Aber ich bin kein zer­ti­fi­zier­ter Bio­bau­er, auch wenn ich mich an vie­le Bio­richt­li­ni­en hal­te”, sagt er.

himmelbeet
Im Som­mer sind die Markt­sch­är­mer auch im him­mel­beet in der Ruhe­platz­stra­ße. Foto: Weddingweiser

Food assembly heißt jetzt Marktschwärmer

Also, nach­dem ich eine Stun­de zuge­schaut habe, ver­ste­he ich das Ver­fah­ren so unge­fähr. Der Ein­kauf liegt bereit, man holt am Mitt­woch nur noch ab, was bis zum Datums­wech­sel von Mon­tag auf Diens­tag online bestellt und bezahlt wur­de. Man unter­hält sich kurz mit dem Bau­ern und hat eine gute Sache getan und gleich­zei­tig gute Lebens­mit­tel gekauft. Und doch: dafür, dass hier mit Hand­schlag und Vor­na­men gehan­delt wird, wirkt die zuge­hö­ri­ge Web­sei­te www.marktschwaermer.de ziem­lich “glatt”.

17 Schwär­me­rei­en sind dort für Ber­lin ver­zeich­net, davon eine im Wed­ding. 8,35 % vom Umsatz eines Abends geht an die Betrei­ber der Web­sei­te, die in Alt-Mit­te in der Neu­en Schön­hau­ser Stra­ße 19, sitzt. Noch ein­mal 8,35 % erhält Toni für die Orga­ni­sa­ti­on. Die Idee stammt aus Frank­reich. 2010 wur­de das Unter­neh­men La Ruche Qui Dit Oui, deutsch “Der Bie­nen­korb der Ja sagt”, gegrün­det. Seit 2014 schwärmt eine Toch­ter­fir­ma in Deutsch­land, natür­lich war Ber­lin der ers­te Stand­ort in Deutschland.

Toni betreibt im Som­mer, das heißt ab dem 12. April, zwei Märk­te. Von 17.30 bis 19.00 Uhr ver­sam­melt sie Bau­ern auf dem inter­kul­tu­rel­len Gemein­schafts­gar­ten him­mel­beet in der Ruhe­platz­stra­ße 12 und von 19.30 bis 21 Uhr im Cast­le Pub – Craft Beer in der Hoch­stra­ße 2. (*Anmer­kung unten)

Eine letz­te Fra­ge habe ich dann doch noch: “Toni, wenn ich nun mei­ne Bestel­lung abho­le und dann sieht der Honig da so lecker aus – da habe ich kei­ne Chan­ce, den auch noch zu kau­fen?” – “Nein, die Erzeu­ger brin­gen wirk­lich nur mit, was vor­her bestellt wurde”.

LINKS
Wer regio­nal und direkt beim Bau­ern ein­kau­fen will, mel­det sich an auf der Web­site von Marktschwärmer.
Die­ser Arti­kel ersetzt den älte­ren Bei­trag vom 7. Okto­ber 2015 “Gib Dei­nem Bau­ern die Hand!

* Das Cast­le Pub hat seit dem 1. Mai geschlos­sen. Wei­te­re Infor­ma­tio­nen zum Win­ter­stand­ort fol­gen demnächst.

Text und zwei Fotos: And­rei Schnell; Zwei Fotos: Weddingweiser

Andrei Schnell

Meine Feinde besitzen ein Stück der Wahrheit, das mir fehlt.

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