Man tut diesem kleinen Kiez vielleicht etwas unrecht, wenn man ihn kaum wahrnimmt, denn er liegt etwas verloren zwischen Leopoldplatz, Nettelbeckplatz und dem S‑Bahn-Ring. Dabei geht auf diesen Teil des Wedding gar die Besiedlung des ganzen Ortsteils zurück: An der heutigen Ecke Reinickendorfer-/ Pankstraße stand noch bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts das 1601 gegründete Gut “Vorwerk Wedding” und musste erst dem großflächigen Bau von Mietskasernen in der Kaiserzeit weichen. Die Straßen des Kiezes sind teilweise schon von 1820 und damit älter als die meisten Nebenstraßen des Wedding, die ihrerseits auf den Hobrecht-Plan aus dem Jahr 1862 zurückgehen. Heute geht man an der Kösliner Straße / Weddingstraße achtlos vorbei, aber dieser ellenbogenförmige Weg steht für das, was den Ruf des “Roten Wedding” mit begründete. Die ganze Gegend war eine KPD-Hochburg. Im Jahr 1929 führte das Verbot einer Maidemonstration zum Bau von Barrikaden. Das Eingreifen der Polizei mündete in blutigen Straßenkämpfen – 19 Tote waren am Ende des Tages zu beklagen. Nicht weniger brachial war der Umgang mit der Geschichte nach dem Krieg: Nahezu kein Gebäude hat die Kahlschlagsanierung überstanden, dafür erinnert aber – abseits des Orts des Geschehens– ein Gedenkstein an der Wiesenstraßenbrücke über die Panke an den “Blutmai” 1929.
Im Schatten des Krematoriums
Das schönste Gebäude im Kiez ist zugleich auch eine ganz besondere Sehenswürdigkeit. Es handelt sich nämlich um Berlins ältestes Krematorium von 1909⁄10. Es wurde schon errichtet, bevor die Leichenverbrennung auf dem Gebiet Preußens 1912 legalisiert wurde. Bis dahin konnten nur Urnen von Verstorbenen beigesetzt werden, die außerhalb Preußens verbrannt wurden. Der Urnenfriedhof, der einen ganzen Straßenblock einnimmt, ging aus dem ersten städtischen Friedhof Berlins aus dem Jahr 1828 hervor. Kurios ist, dass es eher die wohlhabenden Schichten waren, die sich für diese Form der Bestattung entschieden und so kommt es, dass auch viele bedeutende Persönlichkeiten aus Kunst, Wissenschaft und Politik die Urnenhalle im Krematorium Wedding mit ihrer Asche beehren. Das achteckige Gebäude enthält eine antik anmutende Feierhalle und wird seinerseits von einer achteckigen Flügelanlage umschlossen. Darin befinden sich weitere Nischen mit Urnen, so genannte Kolumbarien. Das Weddinger Krematorium stellte 2010 den Betrieb ein und wurde im Jahr 2012 verkauft. Das ungewöhnliche Gebäude wurde zu einem Kultur-Campus umgestaltet, mit hochrangigen Veranstaltungen und hochwertiger Gastronomie. Besitzer des Ensembles ist das Silent Green Kulturquartier.
Auch sonst prägen öffentliche Gebäude das Gebiet. Imponierend ist der Komplex aus mehreren Schulgebäuden, die am Schnittpunkt dreier Straßen (Anton-/Plantagen-/Ruheplatzstr.) in einer perfekten Symmetrie geplant waren. Realisiert wurde der Plan zwar nur zu drei Vierteln, dennoch beeindruckt die schiere Größe: 3300 Schüler konnten nach der Eröffnung im Jahr 1913 in 67 Klassen unterrichtet werden! Heute befindet sich die Volkshochschule in einem der Schulgebäude. Auch das ehemalige Postamt in der Gerichtstraße (1926−28) ist durch seine expressive Formensprache aus Sprossenfenstern und Backsteinen durchaus stadtbildprägend.
Hübsche mit Altbauten besetzte Wohnstraßen sind die Antonstraße, die Prinz-Eugen-Straße, die Adolfstraße und die Schererstraße. Hier befand sich mit Wittler Brot einst eine wichtige Backwarenfabrik.
Gerichtstraße und Nettelbeckplatz im Mittelpunkt
Apropos Gerichtstraße: Das Stadtbad Wedding war das letzte von Ludwig Hoffmann erbaute Bad aus dem Jahr 1907. Im ehemaligen Wedding war der Wohnraum knapp und es gab kaum sanitäre Einrichtungen. Deshalb waren die Wannen- und Duschabteilungen wichtiger Bestandteil des Stadtbades. Seit 2002 ruht allerdings der Badebetrieb. Unter dem Namen Stattbad wurde das Gebäude für Kunstausstellungen und Veranstaltungen genutzt. Allerdings wurde seitens des Bezirksamts im Mai 2015 die Schließung verfügt; schließlich wurde es im Sommer 2016 ganz abgerissen und wich dem Neubau von Studentenappartements. In der Gottschedstraße und in der Reinickendorfer Straße, haben sich einige Bars angesiedelt. Vor allem das Gelände der ehemaligen Rotaprint-Fabrik hat zu einer Verstetigung von gewerblichen Strukturen beigetragen.
Wohin die Reise des Antonkiezes geht, ist schwer absehbar. Kahlschlagsanierung und sozialer Wohnungsbau (vor allem der 1980er Jahre) prägen das zerrissene Gebiet immer noch. Immerhin hat die Verkehrsberuhigung des Nettelbeckplatzes im Jahr 1985 dazu beigetragen, dass man sich inzwischen gerne auf dieser Freifläche aufhält. Anziehungspunkte mit Strahlkraft gibt es nur wenige, aber es gibt sie. Eine tolle Bar, ein Sternerestaurant und einige ambitionierte Gastronomen bespielen inzwischen den Platz. Denn dieses Gebiet liegt einfach zentral und ist aus allen Richtungen gut erreichbar. Gut möglich, dass sich das Image des Kiezes rund um den Urnenfriedhof ändert.
Es gab schon einige Versuche, die Weddinger Kieze zu benennen, aber zwischen Maxplatz und dem Leo setzte sich kein Name durch.
Die Straßen heißen alle nach Schlachten der Spanischen Erbfolgekriege – also Thronfolge- und Kabinettskriege: widerlich! Das geht schon mit den Königen Leopold los, eine der reaktionärsten Herrscherdynastien Europas zusammen mit dem Preußen-Kaiser Wilhelm. Der hat seinen Militarismus den damaligen Arbeiterquartieren des Weddings, seinem Kanonenfutter, bis heute eingebrockt.
Suche hier die Straßennamen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Spanischer_Erbfolgekrieg
Wenn in diesem Teil des Wedding wirklich ansprechende Kieznamen entstehen sollen, hilft Straßenumbenennung.
Anders als der Autor meint, sind die bekanntesten Kieznamen bis heute der Gesundbrunnen, das Afrikanische Viertel und der Sprengelkiez. Seine anderen Bennenungen wirken gewollt-gemusst. Wer nennt schon einen Kiez nach einer Polizeiwache mit Parkplatz?
[…] Leopoldplatz (U6, U9): Ausgangspunkt für eine Entdeckung der Kieze rund um die Malplaquetstraße und die Osramhöfe, den Brüsseler Kiez, den Sprengelkiez und den Antonkiez. […]