
Einst der “Ku’damm des Nordens”, heute eine Hauptschlagader des Wedding im deutlichen Niedergang: Die Müllerstraße hat ihre besten Zeiten hinter sich. Ihr Glanz mag verblasst sein, doch sie bleibt eine wichtige Achse des Stadtteils – voller Geschichten, Wandel und urbaner Vielfalt.
Mit einer Länge von über drei Kilometern zieht sich die Müllerstraße als Verkehrsader durch den Wedding. Ihre Ursprüngen als Sandweg zwischen Tegel und Berlin sind heute kaum mehr zu erahnen. Stattdessen ist die Straße geprägt von Leerstand, mangelnder Vielfalt und einem deutlichen Verlust an Attraktivität, während sie sich von den Vororten ins Herz der Innenstadt zieht.



Die Verbindung zu Berlins berühmten Straßenzügen – der Chausseestraße und der Friedrichstraße – verschafft ihr zumindest namentlich einen gewissen Glanz. Darunter verläuft die U‑Bahn-Linie U6, die Pendler und Touristen ins Zentrum befordert. Kreuzungen wie die an der Seestraße oder am Leopoldplatz sind zu jeder Tageszeit belebt und unterstreichen die Bedeutung der Müllerstraße als pulsierenden Teil der Stadt. Einst hatten auch die Windmühlen, die der Straße ihren Namen gaben, einen festen Platz im Straßenbild – heute sind sie längst verschwunden.


Bis vor etwa 20 Jahren galt die Müllerstraße als blühende Einkaufsmeile mit vielen Fachgeschäften wie Foto Piesnack, Uhren Wenig, Ebbinghaus-Moden, C&A, Karstadt, Bilka, H&M, Woolworth und Müller, sowie Pelzläden, Juweliere, Buchläden und sogar der Müllerhalle, einer Markthalle. Die Geschäfte zogen die Menschen aus ganz Berlin an (Erinnerungen daran findet ihr hier). Bis in die 1990er-Jahre kamen die Menschen hierher, um auf dem sogenannten “Ku’damm des Nordens” einzukaufen. Doch diese Zeiten sind vorbei, und die Straße hat viel von ihrer einstigen Anziehungskraft verloren. Die Kunden sind längst in die modernen Shoppingcenter am Gesundbrunnen oder in Tegel abgewandert. Heute finden sich hier nur noch eine Vielfalt an Handyläden, orientalischen Imbissen, Ein-Euro-Läden und kleinere, oft von Migrant:innen geführte Geschäfte, die ein buntes Angebot an Spezialitäten bieten. Die Schließung des Kaufhauses Karstadt als zentrale Attraktion mit einem anspruchsvollen Angebot an Kleidung und Lebensmitteln dürfte den Niedergang beschleunigen. Nur wenige alteingesessene Läden wie H&M, Woolworth und Drogerie Müller halten sich noch und verleihen der Straße ein kleines Maß an Kontinuität.



Das Multikulti-Flair der Müllerstraße könnte zwar ein Alleinstellungsmerkmal werden, doch der wirtschaftliche Niedergang und die mangelnde Kaufkraft verhindern bislang eine nachhaltige Entwicklung in diese Richtung. Gleichzeitig könnte sie als Einkaufsstraße unter freiem Himmel ein Erlebnis bieten, das Einkaufszentren in geschlossenen Gebäuden nicht leisten können.



Besonders der südliche Teil der Müllerstraße zeigt eindrucksvoll, wie der wirtschaftliche Niedergang, die Nachkriegszeit und die Teilung Berlins ihre Spuren hinterlassen haben. Der Weddingplatz, der namensgebende zentrale Platz des Wedding und einst das Herz des Stadtteils, wirkt nach massiven Zerstörungen im Krieg und danach absolut unscheinbar. Die großen Straßen, die sich hier kreuzen, scheinen den Platz im Verkehr zu ersticken. Nur wenige architektonisch interessante Gebäude wie die St. Josephskirche und das Kurt-Schumacher-Haus lassen die frühere Bedeutung der Gegend erahnen.



Der mittlere Abschnitt der Straße zwischen Leopoldplatz und Seestraße wirkt im Vergleich zum Rest der Müllerstraße zwar lebendiger, doch auch hier sind viele Läden vom Strukturwandel betroffen. Hier reihen sich viele Geschäfte, das kleine Einkaufszentrum Cittipoint und Filialisten aneinander. Mit dem Kino Alhambra, das heute ein modernes Multiplex ist, hat die Müllerstraße einen wichtigen kulturellen Ankerpunkt. Sogar ein Programmkino, das City Kino Wedding am Centre français hinter dem kleinen Eiffelturm, hat sich eine treue Stammkundschaft erarbeitet.


Die Müllerstraße kämpft mit vielen Problemen: Der starke Verkehr, die Konkurrenz durch moderne Einkaufszentren und der sichtbare Verfall sorgen dafür, dass die Attraktivität der Straße stetig abnimmt. Seit 2011 wird versucht, die Müllerstraße im Rahmen des Programms “Aktives Zentrum” zu sanieren. Doch trotz besserer Erreichbarkeit per Rad und einem Geschäftsstraßenmanagement bleibt der Erfolg bisher aus. Die Straße leidet weiterhin unter mangelnden Investitionen und einem spürbaren Niedergang. Die Erneuerung geht nur langsam voran, und ob die einstigen Glanzzeiten wiederkehren, bleibt fraglich.



Im Norden, Richtung Reinickendorf, durchquert die Müllerstraße bürgerlichere Gebiete. Die umliegenden Viertel, wie das Afrikanische und das Englische Viertel, wirken ruhiger und weniger geschäftig. Hier zeigt sich die Müllerstraße von einer entspannteren Seite. Auch kulturelle Besonderheiten finden sich hier: Das Centre Français mit seinem kleinen Eiffelturm oder die Schillerpark-Siedlung, die zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört, sind nur einige Beispiele.


Auch wenn die Müllerstraße heute vor allem als laute und unattraktive Verkehrsader wahrgenommen wird, bleibt sie das verbindende Element zwischen den Weddinger Kiezen. Sie ist ein Ort im Wandel, der vielleicht nie wieder an seinen alten Glanz anknüpfen wird, aber trotzdem den Wedding prägt. Der Charme des Stadtteils zeigt sich allerdings oft erst, wenn man von der großen Straße in die kleinen Seitenstraßen abbiegt – dorthin, wo das wahre Leben stattfindet.
Einer der wenigen Leuchttürme auf der Müllerstraße ist tatsächlich noch die Neuland-Fleischerei Bünger!
Hier gibt es ordentliche Qualität und freundliche, kompetente Bedienung.
Fragt sich nur, wie lange der Inhaber, S. Tanner, noch durchhält und das Umfeld aushält!
Als Geschäftsinhaber wäre ich schon längst weg!
Einen bis dahin nicht gekannten Aspekt der Müllerstraße konnte ich erleben, als ich vor ein paar Jahren starke Schmerzen in der Schulter hatte: Die Müllerstraße ist ein gigantisches Sanatorium! Ärztliche Versorgung aus allen Fachgebieten, ein Überangebot an Apotheken, Physiotherapie: Alles da.
Wir sind der letzte oder einer der letzten handwerksbetriebe an der Seestraße /müllerstraße und werden auch bald das Feld räumen. Unsere Mitarbeiter mit ihren schweren Werkzeugen müssten pro Monat 400 bis 500 € parkgebühren zahlen. Der Senat möchte keine Ausnahme machen auch die bezirksbürgermeisterin hatte versucht sich für uns einzusetzen ohne Chance. Keine Chance auf handwerkerparkausweise nicht mal die IHK möchte oder kann dir helfen obwohl wir Mitglied sind. Nach vielen Jahrzehnten sagen auch wir bald ade. Ich gehe einfach in den Ruhestand, weiß nur noch nicht wie ich es meinen Mitarbeitern erklären soll.
Die Müllerstraße ist zwar belebt, was ich manchmal schätze, aber meist vermeide ich es dorthin zu gehen, und zwar wegen der Verhaltensweisen vieler Leute dort. Es wird gerempelt, gerannt, mit E‑Rollern auf dem Bürgersteig gedüst. Leute ohne Manieren spucken auf den Boden und so weiter. Es ist wirklich hart. Aber es gibt auch ein paar Perlen.….
Wie wahr… Ich bin Ende der 70er Jahre von Charlottenburg in den Wedding gezogen. Es war sehr ungewohnt für mich im Norden Berlins, aber ich habe letztlich vierzig Jahre im Wedding verbracht. Meine Kinder sind am Humboldthain aufgewachsen und ich hab viele Jahre im Kiez Müllerstrasse gearbeitet. Nach dem Mauerfall ging es bergab und man konnte zuschauen, wie sich die Weddinger Atmosphäre veränderte. Es war immer rauh, aber herzlich im Wedding, irgendwann war es nur noch rauh! Viele alte Weddinger zogen weg oder starben, und was dann neu war, war nicht mehr dasselbe!
Inzwischen sind wir auch fort, es fiel nicht leicht, aber das Weddinger “Zillemillieu” kehrt nie mehr zurück!!!
Ein Problem könnte man sofort und ohne Mehrkosten lösen. Sauberkeit! Bei meinem letzten Spaziergang vom Kutschi bis zum U- und S‑Bahnhof Wedding war ich entsetzt über die vielen Müllhalde.
Ja, regelrechte Müllhalden vor Imbissen, in Hauseingängen und rund um Geschäfte.
Wenn jeder vor seiner Tür täglich mindest einmal saubermachen würde, wäre das Straßenbild schon ein anderes.
Ich betrete keinen Imbiss, der draußen von Müll umgeben ist. Ich denke dann, naja wie sieht es Innen aus.
Was der Müllerstraße meiner Meinung nach wirklich fehlt, sind wieder interessante Restaurants und Cafés und auch Läden, die etwas anderes bieten als nur Döner und Co… es gab vor der Bibliothek vor einer Weile noch das Semit eve, das türkische Sesamhaus, indem ich mich sehr gerne mit Freunden auf ein leckeres Frühstück am Wochenende traf. Jetzt ist auch dieses geschlossen worden und ein anderes Café/gutes Restaurant außer in einzelnen Seitenstraßen, sind mir definitiv nicht bekannt. Die Müllerstraße bietet so viel Potenziale… ich verstehe wirklich nicht, warum die politischen Verantwortlichen nicht z.B einen Wettbewerb ausschreiben, an dem sich die Bürger beteiligen, um neue und frische Ideen einzubringen. Verbunden damit sollten natürlich akzeptabel und bezahlbare Gewerbemieten sein! Irgendwie habe ich manches Mal das Gefühl, dass bewusst nichts gemacht wird, weil man entweder Sparzwängen unterlegen ist oder einfach nicht die Lust hat, sich mit der Kiezkultur zu beschäftigen, um den Menschen eine gute Lebensqualität in den einzelnen Bezirken zu bieten und damit eine Abwanderung unterstützt.
nicht nur die Gewerbemieten sind teuer auch die Wohnungsmiten sind eine Katastrophe. Viele verkaufen ihre Wohnungen zu Wucherpreisen. Ich habe 12 Jahre da gewohnt.Ein Italiener hat die Wohnung für 70 000 gekauft und nach 8 Jahren verkauft er sie für 280 000 und die Mieter werden rausgeekelt .…alles nur noch Ghetto und jetzt bin ich froh weg zu sein.
Kann ich genauso unterschreiben. Ich lebe seit 66 Jahren im Wedding und könnte heulen, wenn ich heute die Müllerstrasse und auch die Badstrasse sehe.
Wir haben ja im Wedding so tolle Politiker .Die sich einen Scheissdreck kümmern um den Menschen .Alles nur Ramsch Buden .Geschäfte wo Geld gewaschen wird .
Im Leopoldplatz, und dem gegenüberliegenden Platz mit der Bibliothek und Café, steckt eigentlich so so viel mehr Potential. Doch dieses riesige leerstehende Karstadt-Haus legt sich wie ein depressiver Schleier über die unmittelbare Umgebung.
Die architektonischen Pläne der bayerischen Versicherungskammer sehen ja gar nicht schlecht aus, aber es dauert, es dauert, es dauert alles so unfassbar lange in Berlin. Unfassbar lange Übergangszeiträume, viel Stillstand, alles auf Kosten der lokalen Lebens- und Aufenthaltsqualität.
Damit sieht man doch ausdrücklich, was das Internet und seine Optionen zum modernen Shopping “in echt” real z u r ü c k ‑lässt!
Kommunikativere Geschäftskonzepte und Paketabholschränke für Onlinebestellungen sind vllt doch die Zukunft. Warum sprechen die Geschäftsleute nicht dazu miteinander? Man könnte seine Idee abstimmen!
Ja, leider ist das nur noch eine Strasse zum Durchfahren. Was soll einen denn dahinlocken? Die Wahl zwischen 15 Handyläden, 7 Gemüsehändlern, 9 Dönerläden und Billigläden? Früher war ich mindestens 1 mal die Woche dort. Wegen Karstadt. Jetzt habe ich wirklich keinen Grund mehr dorthin zu gehen. Das tut mir in der Seele weh, weil ich die Müllerstrasse noch von früher kenne, so, wie von Ihnen geschildert.
Wenn natürlich die Geschäftsmieten exorbitant in die Höhe getrieben werden, muss man sich nicht wundern. Wobei man sich fragen muss, wie die oben geschilderten Läden diese Mieten aufbringen.