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In die Badstraße ziehen? Unbedingt!

27. Januar 2018

Bil­lig­mei­le, Geschäfts­trei­ben, Mul­ti­kul­ti: So lässt sich die Bad­stra­ße im Wed­ding am bes­ten beschrei­ben. Von auf­stre­ben­den Kiezen umge­ben wird sie geliebt oder gemie­den, wie auch ihr Mut­ter­be­zirk. Wie es sich dort lebt? Wir fin­den, gar nicht schlecht …

Tele­fon- und Inter­net­shops rei­hen sich an Früh­stücks­häu­ser und Obst­lä­den. Men­schen eilen geschäf­tig umher und unge­dul­di­ge Auto­fah­rer hupen laut, bevor sie um die Ecke rasen, ohne wirk­lich nach links und rechts zu bli­cken. In der Ber­li­ner Bad­stra­ße ist immer etwas los und wer hier wohnt, muss mit allem rech­nen: Das macht sie zum Leben schon beson­ders. Dass vie­le Men­schen hier an der Gren­ze zur Armut leben und Sozi­al­leis­tun­gen bezie­hen, ändert nichts an stei­gen­den Zah­len von Stu­die­ren­den und Kunst­lie­ben­den , die es in die Berei­che rund um die Bad­stra­ße zieht. Seit Jah­ren schon soll der Wed­ding im Kom­men sein – die Bad­stra­ße bleibt sich vor­erst treu.

Multikulti everywhere

Dass ein gro­ßer Teil der Wed­din­ger Bevöl­ke­rung Migra­ti­ons­hin­ter­grund hat, fällt auch in der Bad­stra­ße sofort ins Auge. Rund ein Drit­tel der Bewoh­ner des Stadt­teils sind Aus­län­der, was für die im Ver­gleich zu eini­gen ande­ren Bezir­ken doch unter­schied­li­che Atmo­sphä­re sorgt. Unten grüßt der Besit­zer des Döner­la­dens im Neben­haus. Ein paar Häu­ser wei­ter preist der Obst­ver­käu­fer des tür­ki­schen Groß­han­dels Euro­gi­da sei­ne Waren an und eine gestress­te Lidl-Ein­käu­fe­rin läuft vor­bei. Dazu gibt es alle paar Meter eine ande­re Apo­the­ke mit rie­si­gem Sor­ti­ment und noch einen bil­li­gen Fri­seur­sa­lon . Es ist ein eige­nes klei­nes Cha­os – wel­ches immer funk­tio­niert. Ara­bi­sche und tür­ki­sche Spe­zia­li­tä­ten sind über­all zu fin­den, von gro­ßen Sor­ti­men­ten an Nüs­sen bis hin zu all­seits belieb­ten Fal­a­feln und Dönern. Und die rie­si­gen güns­ti­gen Men­gen an Obst und Gemü­se aus aller Welt las­sen kaum Zeit, um feh­len­den Bio­lä­den nachzutrauern…

“Action” ist das ers­te Wort, das einer jun­gen Frau in den Kopf kommt, wenn sie an die Bad­stra­ße denkt. Sie wohnt seit ihrer Kind­heit in der Gegend und fin­det, dass hier immer etwas los sei. Eine ande­re Stim­me spricht dage­gen von einer “Kil­ler-Stra­ße”. Wegen der häu­fi­gen Poli­zei­ein­sät­ze und der Kri­mi­na­li­tät, die teil­wei­se als das größ­te Pro­blem ange­se­hen wird, sowohl von eini­gen Frau­en als auch eini­gen Män­nern. Was beson­ders schön ist an der Bad­stra­ße? Die Fle­xi­bi­li­tät, sagt die Bäcke­rin – hier sei alles so nah bei­ein­an­der. “Dass man hier jeden kennt, die Ver­traut­heit”, sagen sowohl der Obst­händ­ler als auch die jun­ge Mut­ter. Kri­mi­na­li­tät und Stress gehö­ren zwar zur nega­ti­ven Sei­te der Bad­stra­ße, doch trotz­dem – weg­ge­hen wür­de hier nie­mand, denn “man hat sich an alles gewöhnt”. Und man mag das klei­ne Cha­os eben auch.

Jetzt auch ich

Nun hat es auch mich in die Bad­stra­ße ver­schla­gen, weil ich – typisch Wed­ding-Stu­den­tin – mit mei­nem Mit­be­woh­ner hier eine noch güns­ti­ge Woh­nung gefun­den habe. Seit drei Mona­ten woh­ne ich also nun hier und wer­de jedes Wochen­en­de vom lau­ten Geläut der Kir­chen­glo­cken neben­an geweckt. So lang­sam ist mir der kras­se Kon­trast zu mei­nem tren­di­gen und ruhi­gen Urbe­zirk Prenz­lau­er Berg, wo ich gebo­ren bin, nicht mehr fremd und ich bin ange­kom­men in dem lau­ten Trei­ben hier.

Klar muss­te ich mich erst­mal dran gewöh­nen, mich in einer völ­lig ande­ren Umge­bung wie­der­zu­fin­den und mit mehr Obdach­lo­sig­keit kon­fron­tiert zu wer­den, denn im Wed­ding liegt die Armuts­ra­te mit fast 40 Pro­zent eben höher als in ande­ren Stadt­tei­len – in Kreuz­berg liegt sie bei ca. 30 Pro­zent. Und auch die Bli­cke man­cher Män­ner oder das Anquat­schen im Vor­bei­ge­hen konn­te ich erst nach und nach aus­blen­den. Doch nun weiß ich: Die­se Din­ge gehö­ren ein­fach dazu wie auch die schö­nen Alt­bau­ten Rich­tung Oslo­er Stra­ße und die Pan­ke, die die Stra­ße kreuzt. Das alles führt für mich zu häu­fi­gen freu­di­gen Flash­backs, zurück zu mei­ner Zeit in Latein­ame­ri­ka, wo ich es als eben­so bunt und leben­dig wahr­ge­nom­men habe. Ich mache mich wei­ter auf Ent­de­ckungs­rei­se durch mei­nen neu­en Kiez, der mir noch viel zu bie­ten hat.

Wenn ich mich hier und jetzt für oder gegen die Bad­stra­ße ent­schei­den müss­te, dann wür­de ich defi­ni­tiv die Lie­be zum Wed­ding und zu die­ser Stra­ße wäh­len und sie nicht mei­den, denn für mich spie­geln bei­de das Leben. Das Leben in all sei­nen Facet­ten, das nicht nur rosig und toll sein kann und es auch nicht sein muss.
Eins war mir jedoch von Anfang an klar: Den Füh­rer­schein wür­de ich in die­ser Stra­ße nicht anfangen!

Autorin: Ron­ja Hege­mann, Qiez.de

Die­ser Bei­trag erschien ursprüng­lich bei unse­rem Koope­ra­ti­ons­part­ner QIEZ.de

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