Billigmeile, Geschäftstreiben, Multikulti: So lässt sich die Badstraße im Wedding am besten beschreiben. Von aufstrebenden Kiezen umgeben wird sie geliebt oder gemieden, wie auch ihr Mutterbezirk. Wie es sich dort lebt? Wir finden, gar nicht schlecht …
Telefon- und Internetshops reihen sich an Frühstückshäuser und Obstläden. Menschen eilen geschäftig umher und ungeduldige Autofahrer hupen laut, bevor sie um die Ecke rasen, ohne wirklich nach links und rechts zu blicken. In der Berliner Badstraße ist immer etwas los und wer hier wohnt, muss mit allem rechnen: Das macht sie zum Leben schon besonders. Dass viele Menschen hier an der Grenze zur Armut leben und Sozialleistungen beziehen, ändert nichts an steigenden Zahlen von Studierenden und Kunstliebenden , die es in die Bereiche rund um die Badstraße zieht. Seit Jahren schon soll der Wedding im Kommen sein – die Badstraße bleibt sich vorerst treu.
Multikulti everywhere
Dass ein großer Teil der Weddinger Bevölkerung Migrationshintergrund hat, fällt auch in der Badstraße sofort ins Auge. Rund ein Drittel der Bewohner des Stadtteils sind Ausländer, was für die im Vergleich zu einigen anderen Bezirken doch unterschiedliche Atmosphäre sorgt. Unten grüßt der Besitzer des Dönerladens im Nebenhaus. Ein paar Häuser weiter preist der Obstverkäufer des türkischen Großhandels Eurogida seine Waren an und eine gestresste Lidl-Einkäuferin läuft vorbei. Dazu gibt es alle paar Meter eine andere Apotheke mit riesigem Sortiment und noch einen billigen Friseursalon . Es ist ein eigenes kleines Chaos – welches immer funktioniert. Arabische und türkische Spezialitäten sind überall zu finden, von großen Sortimenten an Nüssen bis hin zu allseits beliebten Falafeln und Dönern. Und die riesigen günstigen Mengen an Obst und Gemüse aus aller Welt lassen kaum Zeit, um fehlenden Bioläden nachzutrauern…
“Action” ist das erste Wort, das einer jungen Frau in den Kopf kommt, wenn sie an die Badstraße denkt. Sie wohnt seit ihrer Kindheit in der Gegend und findet, dass hier immer etwas los sei. Eine andere Stimme spricht dagegen von einer “Killer-Straße”. Wegen der häufigen Polizeieinsätze und der Kriminalität, die teilweise als das größte Problem angesehen wird, sowohl von einigen Frauen als auch einigen Männern. Was besonders schön ist an der Badstraße? Die Flexibilität, sagt die Bäckerin – hier sei alles so nah beieinander. “Dass man hier jeden kennt, die Vertrautheit”, sagen sowohl der Obsthändler als auch die junge Mutter. Kriminalität und Stress gehören zwar zur negativen Seite der Badstraße, doch trotzdem – weggehen würde hier niemand, denn “man hat sich an alles gewöhnt”. Und man mag das kleine Chaos eben auch.
Jetzt auch ich
Nun hat es auch mich in die Badstraße verschlagen, weil ich – typisch Wedding-Studentin – mit meinem Mitbewohner hier eine noch günstige Wohnung gefunden habe. Seit drei Monaten wohne ich also nun hier und werde jedes Wochenende vom lauten Geläut der Kirchenglocken nebenan geweckt. So langsam ist mir der krasse Kontrast zu meinem trendigen und ruhigen Urbezirk Prenzlauer Berg, wo ich geboren bin, nicht mehr fremd und ich bin angekommen in dem lauten Treiben hier.
Klar musste ich mich erstmal dran gewöhnen, mich in einer völlig anderen Umgebung wiederzufinden und mit mehr Obdachlosigkeit konfrontiert zu werden, denn im Wedding liegt die Armutsrate mit fast 40 Prozent eben höher als in anderen Stadtteilen – in Kreuzberg liegt sie bei ca. 30 Prozent. Und auch die Blicke mancher Männer oder das Anquatschen im Vorbeigehen konnte ich erst nach und nach ausblenden. Doch nun weiß ich: Diese Dinge gehören einfach dazu wie auch die schönen Altbauten Richtung Osloer Straße und die Panke, die die Straße kreuzt. Das alles führt für mich zu häufigen freudigen Flashbacks, zurück zu meiner Zeit in Lateinamerika, wo ich es als ebenso bunt und lebendig wahrgenommen habe. Ich mache mich weiter auf Entdeckungsreise durch meinen neuen Kiez, der mir noch viel zu bieten hat.
Wenn ich mich hier und jetzt für oder gegen die Badstraße entscheiden müsste, dann würde ich definitiv die Liebe zum Wedding und zu dieser Straße wählen und sie nicht meiden, denn für mich spiegeln beide das Leben. Das Leben in all seinen Facetten, das nicht nur rosig und toll sein kann und es auch nicht sein muss.
Eins war mir jedoch von Anfang an klar: Den Führerschein würde ich in dieser Straße nicht anfangen!
Autorin: Ronja Hegemann, Qiez.de
Dieser Beitrag erschien ursprünglich bei unserem Kooperationspartner QIEZ.de