Das Herz des Wedding, das schlägt am Leopoldplatz. Geografisch ist vielleicht der Nauener Platz unser Zentrum. Und dann gibt es noch ihn, diesen anderen Platz. Dreieckig, außerhalb des Wedding eher unbekannt, etwas trostlos und doch lebendig. Wer sich Zeit zum Kennenlernen nimmt, der lernt ihn vielleicht auch lieben.
Eilig huschen Passanten die Treppen hinunter. Ein Schritt nach dem anderen, vorbei an all den Menschenmassen, die sich nach dem befreienden Piepen der S‑Bahn-Türöffnungssignale ihren Weg suchen. Blickkontakt wird vermieden. Jeder bestimmt sein persönliches Tempo, sucht seinen eigenen Weg und doch scheint dieser für wenige Minuten für jeden der gleiche zu sein. Niemand beobachtet den maroden Asphalt, den Grauton der von aufgeweichtem Dönerpapier und Plastikmüll durchbrochen wird. Beinahe frech blickt eine orangefarbene Mülltonne dem Treiben entgegen – der aufgedruckte Spruch: „Frisch rausgeputzt“. Willkommen auf dem Nettelbeckplatz.
Freiluftkino aus dem Zimmerfenster
So wirkt die kleine Fläche auf viele Berliner: Ein Ort, dem man besser keine Beachtung schenken sollte. Von meinem Zimmerfenster aus habe ich jedoch keine andere Wahl, als genau das Gegenteil zu tun. „Freiluftkino“ nannte mein Mitbewohner einmal meine Aussicht. Und wer kann dem widerstehen, wenn es dazu noch umsonst ist? Meine Frage daher: Wer hat sich schonmal fünf Minuten Zeit genommen, um den Nettelbeckplatz etwas besser kennen zu lernen? Denn verweilt der Beobachter etwas länger an diesem, so macht die Anonymität der Hauptstadt auf 2500 Quadratmeter Platz für Vertrautheit.
Grund dafür sind all die verschiedenen kleinen Treffpunkte in Form von Restaurants, Cafés, Spätkäufen … Es scheint, als sei dieser kleine Fleck ein Spiegel der Diversität, für die Berlin so bekannt ist. Ein Stück vietnamesische Kultur trifft auf türkische Cafés. Die Pommesbude befindet sich neben Shisha-Bar und Berliner Urkneipe. Dienstags und freitags tagt ein kleiner Markt: Ein türkischer Kleidungsstand verkauft parallel zu einem regionalen Lebensmittelstand. In den verschiedenen Einkaufsmöglichkeiten wird gegrüßt, geduzt, geplaudert. Aus Anwohnern werden Nachbarn. Aus Nachbarn werden Freunde und manchmal vielleicht auch Feinde.
Es handelt sich um einen dreieckigen Platz, der von vielen Berlinern als unscheinbar oder gar abfällig bewertet wird. Grund dafür sind die wenigen Informationen und öffentlichen Ereignisse, die sich rund um den Platz abspielen. Jedes Wochenende findet zum Beispiel eine türkische Hochzeit statt, doch wer weiß davon außer Gäste und Anwohner. Im Frühjahr tagt während einer ganzen Woche eine Art türkisches Fest, bei dem es nicht nur türkische Spezialitäten, sondern auch Attraktionen für Kinder und Erwachsene gibt. Keiner berichtet. Es ist als ob das bunte Leben nur mit Vorsicht zu genießen sei, dabei lädt gerade das türkische Fest zum Beisammensein ein.
Nettelbeckplatz: Die Geschichte
Auch über die Geschichte ist wenig bekannt, und das, obwohl das Vorwerk Wedding den historischen Ursprung unseres heutigen Ortsteils bildet. Lange Zeit galt es als Siedlungskern des damaligen Bezirkes Wedding (heute Wedding und Gesundbrunnen). Errichtet im 17. Jahrhundert, lag das landwirtschaftliche Gut im Norden des heutigen Nettelbeckplatzes, Ecke Reinickendorfer Straße/Pankstraße und wurde im dreißigjährigen Krieg zerstört. Seinen Namen bekam der Nettelbeckplatz erst 1884 nach Joachim Nettelbeck, der als Verteidiger der Festung Kolberg galt. Diese lag in Pommern und wurde 1807 von französischen Truppen im vierten Koalitionskrieg angegriffen. Inzwischen ist der Namensgeber sehr umstritten. Flaniert man heute auf harten Pflaster des Platzes ist kaum vorstellbar, dass dieser Ende des 19. Jahrhunderts vor allem von Bepflanzungen geprägt war. Dies stellte jedoch einen zu hohen Pflegeaufwand für die Berliner Parkdeputation dar: 1921 wurde aus grün grau, aus der Stille entstanden Straßenbahnlinien und 1953 ein vielbefahrener Kreisverkehr.
Bemühungen der Stadt, den Platz attraktiver zu machen, lassen sich an einer Hand abzählen und so bleibt der „Tanz auf dem Vulkan“ kaum beachtet. Dabei handelt es sich um ein Stück wertvoller realistischer Kunst in Form eines Brunnens. Die Berliner Stadt hatte 1988 in einem Wettbewerb zur Gestaltung des Nettelbeckplatzes aufgerufen. Unter fünf namenhaften Berliner Architekten stach die Künstlerin Ludmila Seefried Matejkova heraus, deren Idee eines neun Meter großen Brunnens umgesetzt wurde. Dargestellt sind lebensgroße Figuren aus Bronze, die um einen in der Mitte platzierten Klavierspieler tanzen. Die Volksbühne scheint nicht das einzig besetzte Objekt Berlins, wenn man sich im Sommer den Brunnen anschaut. So nutzen Kinder diesen als Spielfläche und werden Eins mit den tanzenden Skulpturen.
Dennoch hat auch die Unbekanntheit des Platzes ihre Vorteile. Ich habe das Gefühl, man muss sich Zeit nehmen, um den Platz kennen und lieben zu lernen. Auf dieser begrenzten Fläche verändert sich alles sehr langsam im Vergleich zu anderen Ortseilen Berlins. Selten eröffnet ein neues Café oder Restaurant und dann dauert es, bis es sich in die Struktur von Nachbarn und Platz eingliedert, um damit für noch mehr Vielfalt zu sorgen.
In Berlin weiß man nie, wie lange ein Ort in seiner Ganzheit erhalten bleibt. So hoffe ich, dass jeder, der sonst eilig über den Platz gehuscht ist, sich einfach ein bisschen länger Zeit nimmt. Einmal Durchatmen, ein bisschen das langsame Berlin genießen. Es plätschert im Hintergrund, auf den grauen Steinen fällt vor allem das bunte Laub der Ahornbäume auf.
Ich hab 17 Jahre direkt am Nettelbeckplatz gewohnt und bin erst kürzlich zu meiner Lebensgefährtin gezogen. Das was die Autorin da schreibt ist zum Teil richtig, ja.
Aber was ist mit dem ganzen Müll der immer auf dem Platz rumfliegt? Was ist mit den “Grünflächen” wo jeder nur drüber trampelt oder seinen Hund kacken lässt? Was ist mit den Trinkern, die irgendwann am Nachmittag anfangen rumzupöbeln und einen Aufenthalt dort unerträglich machen. Was ist mit der riesigen Spielhalle, die so abweisend den Platz dominiert und mit ihrer besch**** Leuchtreklame jede Stimmung versaut?
Und dann guckste auf die hässliche Bahnanlage mit dem ollen “Tanz den Untergang mit mir”, prima Stimmungsheber der Spruch, hauptsache hat sich einer verewigt.
Und das schöne Kunstwerk, das dort mal drunter stand – das Fahrrad – haben irgendwelche Idioten nach wenigen Tagen komplett zerstört.
Den Wochenmarkt kannste vergessen, das ist der Fischmann (wenn er denn da ist) das beste.
Und die Läden sind jetzt wieder etwas netter am werden, aber das ist doch jahrelang immer unattraktiver geworden.
Und alles hübsch gesäumt vom Krach der Bundesstraße. Na gut, da kann man nix gegen machen und nur auf leise Autos hoffen.
Beste war für mich als noch immer regelmäßig Konzerte von Nachwuchskünstlern auf dem Platz stattgefunden haben – davon schreibt die Autorin aber nichts, wohnt wahrscheinlich noch nicht lang genug da…
.….alles Ansichtssache und was man sehen will