Einen roten Teppich gibt es im City Kino Wedding nicht. Dieses Chichi passt auch nicht in den Wedding. Das hält Anne Lakeberg und Wiebke Wolter jedoch nicht davon ab, seit einem Jahr regelmäßig Filmemacher und Schauspieler in ihr Programmkino im Centre Français in der Müllerstraße einzuladen. Und so stiegen am Montag (9.11.) auch die Tatort-Schauspieler Mark Waschke und Meret Becker die nackte steinerne Wendeltreppe im imposanten 60er-Jahre-Bau zur Premiere ihres neuesten Tatort-Falls hinauf.
Nach dem erfolgreichen Einstand im Krimi „Das Muli“ lösen die Berliner Tatort-Ermittler Nina Rubin (Meret Becker) und Robert Karow (Mark Waschke) in „Ätzend“ nun ihren zweiten Fall. Die Geschichte ist folgendermaßen grob umrissen: Bei Abrissarbeiten in einer Laubenkolonie werden menschliche Überreste in einem säuregefüllten Fass gefunden. Die Suche nach der Identität des Toten und nach dem Mörder führt die Kommissare nach Kreuzberg und in eine tragische Familiengeschichte. Parallel ermittelt der geheimnisvolle Robert Karow weiter im Alleingang, warum sein früherer Kollege Maihack sterben musste.
Diese so genannte Backstory wird die Tatort-Fans noch bis zum kommenden Herbst begleiten, erst dann wird sie aufgelöst. Ob sich die gegensätzlichen Kommissare, die auch in diesem Fall immer wieder aneinander geraten, bis zum Abschluss des Tatort-Quartetts doch annähern, bleibt natürlich ein Rätsel. In diesem Fall gibt es zumindest einen kurzen Moment, der das andeutet.
Wie bereits im ersten Fall des neuen Berliner Teams ist auch „Ätzend“ komplex erzählt und jagt in schnellen Bildern durch die ganze Stadt. Schauplätze sind unter anderem Neukölln, Kreuzberg, Treptow, die ehemalige Landesbankzentrale in der Bundesallee, das Klinikum Am Urban und die Glienicker Brücke. Auch der unfertige Flughafen in Schönefeld ist im Bilderreigen wieder dabei.
Der Weddinger Zuschauer wird vielleicht ein wenig den Wedding vermissen, wo Kommissarin Rubin doch ihre Wurzeln hat. Wer den Wedding sucht, wird vielleicht die Liesenbrücke entdecken und ein Plakat an einem Boxclub, an dem „SV Wedding“ steht. Aber das war es dann leider auch schon. Vielleicht, wenn wir uns mal etwas wünschen dürften, wählen die Location-Scouts beim nächsten Mal die Müllerstraße für eine Verfolgungsjagd oder das leer stehende Schulgebäude in der Putbusser Straße als Tatort aus? Auch vom Dach des Kino Alhambra in der Müllerstraße hat man einen tollen Blick auf die Stadt. Aber das nur nebenbei.
Für das noch junge City Kino Wedding war es ein guter Tag. Bisher ist ein restlos ausverkauftes Haus etwas Besonderes und so waren Wiebke Wolter und Anne Lakeberg an diesem Abend stolze Gastgeberinnen. Fernseh-Übertragungswagen vor der Tür, Interview fürs TV (rbb akuell – ab Minute 24), Cupcakes und Sekt für alle, Gästelisten, Fotoshootings mit den Schauspielern, Moderation von Jörg Thadeusz – mit allem Drum und Dran wurde die Premiere des 2. Falls des neuen Berliner Ermittlerteams gefeiert. Der Stolz ist begründet. Immerhin haben die Tatort-Aufführungen in der Vergangenheit immer im fast doppelt zu großen Babylon Mitte stattgefunden. Weil Kommissarin Nina Rubin (Meret Becker) jedoch im Wedding wohnt, hatte man nach einem Premieren-Ort im Stadtteil gesucht und das schöne City Kino gefunden. Ob sich das Lichtspielhaus im Centre Français ganz ohne roten Teppich als Tatort-Premierenkino etablieren kann?
Nur ein kleiner Teil der Zuschauer hatten seine Karten übrigens regulär an der Kinokasse erworben. Die Produktionsfirma hatte sich einen großen Teil des Kontingents gesichert. Alle an der Produktion beteiligten wollten schließlich sehen, wie er geworden ist, der Tatort. Beim sich an die Vorführung anschließenden Bühnentalk bekamen die Namen, die normalerweise im Abspann zu lesen sind, Gesichter. Produktionsleitung, Redakteuren, Ausstatter, Drehbuchautoren plauderten mit Moderator Jörg Thadeusz übers horizontale Erzählen, über Sex im Tatort und Berlin als wichtige Kulisse. Meret Becker war da bereits über den fehlenden roten Teppich hinweg in die Berliner Nacht verschwunden. Vermutlich nicht nach Wedding.
Der Tatort „Ätzend“ wird am Sonntag, den 15. November um 20.15 Uhr im Ersten gesendet.
Text und Fotos: Dominique Hensel