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Das Ende einer Institution im Wedding:
Abschied mit Wehmut von Karstadt am Leo

16. November 2023
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Eine Ära geht zu Ende. Als wir ein Bild vom gro­ßen Räu­mungs­ver­kauf vor der Schlie­ßung von Kar­stadt Mül­lerstra­ße pos­te­ten, gab es unzäh­li­ge Erin­ne­run­gen von Lese­rin­nen und Lesern, fast immer ver­bun­den mit wei­nen­den Emo­jis. Wir bli­cken mit euch zurück und schau­en uns den lan­gen Nie­der­gang des Kauf­h­aus­stand­or­tes an. Und über­le­gen, ob das zwangs­läu­fig so hat kom­men müssen. 

Ursprüng­lich hat­te es am Leo gar kein Kauf­haus gege­ben. Denn das Waren­haus Her­tie hat­te eine Filia­le an der Chaus­see­stra­ße 69–71 nahe der Lie­sen­stra­ße. Durch den Mau­er­bau erschien die U‑Bahn-Kreu­zung der Lini­en 6 und 9 am Leo­pold­platz als der wesent­lich geeig­ne­te­re Stand­ort für ein Kauf­haus. Wer vom Bahn­hof Zoo in Rich­tung Nor­den woll­te, kam zwangs­läu­fig am Leo­pold­platz vor­bei. Als Kar­stadt sei­ne damals sehr moder­ne Glit­zer­welt 1978 eröff­ne­te, war es aber nicht allein auf wei­ter Flur: Wool­worth, Bil­ka, C&A und vie­le ande­re Fach­ge­schäf­te säum­ten die beleb­te Müllerstraße.

Kar­stadt Mül­lerstra­ße war das ein­zi­ge gro­ße Waren­haus im gan­zen Ber­li­ner Nor­den. Die Her­tie­fi­lia­le in Tegel konn­te vom Sor­ti­ment her nicht mit­hal­ten. Es gab Leder­wa­ren, Schreib­wa­ren, Elek­tro­ge­rä­te, Sport­ar­ti­kel oder Haus­halts­wa­ren. Eine Lese­rin hat­te gro­ßes Glück: “Bei Kar­stadt habe ich immer mei­ne Oma besucht. Sie war in der Spiel­zeug­ab­tei­lung beschäf­tigt 😍.” Ja, die rie­si­ge Spiel­wa­ren­ab­tei­lung, in der wohl jedes Wed­din­ger Kind ins Träu­men geriet: Eine Spiel­zeug­ei­sen­bahn war unter der Decke ange­bracht. Lese­rin Gabi moch­te beson­ders den Novem­ber. “Dann habe ich für mei­ne zwei Mäu­se Weih­nachts­ge­schen­ke ( Spie­le) gekauft Vor dem 24.11. bekam man ein Spiel für 29 DM und ab dem 24.11. kam das glei­che Spiel 59 DM. Das muss­te in der Cafe­te­ria gefei­ert wer­den mit einem Pott Kaf­fee zum Überleben.”

Kurz nach dem Mau­er­fall wur­de die Kar­stadt­fi­lia­le regel­recht gestürmt. Zeit­wei­se galt der Mül­lerstra­ßen­kar­stadt sogar als die umsatz­stärks­te Filia­le über­haupt! Damit trug Kar­stadt stark zur Attrak­ti­vi­tät des Umfelds bei, wenn­gleich uns der frü­he­re Bezirks­stadt­rat Bernd Schimm­ler fol­gen­de Anek­do­te schick­te: “Bezirks­bür­ger­meis­te­rin Eri­ka Heß hat­te einen Spen­den­auf­ruf her­aus­ge­ge­ben, um die Arbeits­ge­mein­schaft Mül­lerstra­ße bei der Weih­nachts­be­leuch­tung und Deko­ra­ti­on in der Mül­lerstra­ße zu unter­stüt­zen. Vie­le Fir­men, auch klei­ne­re, spen­de­ten – damals waren noch vie­le alt­ein­ge­ses­se­ne Fir­men vor­han­den – und Kar­stadt, das damals sehr gute Geschäf­te mach­te, schick­te einen Scheck von 100 DM! Frau Heß schick­te ihn mit einem ent­spre­chen­den Kom­men­tar zurück und ließ den Vor­gang öffent­lich werden.”

Doch nicht nur Uhren, Schmuck, Fern­se­her und Spiel­wa­ren zogen Kin­der magisch an, wie unse­re Lese­rin Jas­min schreibt: “Ich weiß, wie ich mei­ne Vor­mit­ta­ge teil­wei­se dort ver­bracht habe – statt in der Schu­le. Ich lieb­te die schö­ne Tier­ab­tei­lung damals im Kel­ler mit den süßen Hams­tern, Meer­schwein­chen und Chinchillas!”

Und Groß und klein fuh­ren dort regel­mä­ßig hin, manch­mal min­des­tens ein­mal in der Woche. Die Cafe­te­ria war immer ein Anzie­hungs­punkt, auch wenn sie zuletzt wie aus der Zeit gefal­len wirk­te. Eine Lese­rin schreibt: “Wir waren jeden Diens­tag, wenn wir frei hat­ten, dort früh­stü­cken, oder wenn ich von Arbeit kam und mein Bus weg war. Dann bin ich immer kurz rein und hab auch fast jedes­mal eine Klei­nig­keit gefun­den, die ich gekauft habe.” Lese­rin Yvonne ver­bin­det noch heu­te mit Ein­käu­fen mit ihrer Mut­ter auch den Geruch von Mini-Donuts bis hin­ein in den U‑Bahnhof Leo­pold­platz. Unser Leser Cars­ten war dort hin­ge­gen mit sei­ner Oma ein­kau­fen, bei­de sei­en dann immer im Restau­rant gewe­sen, “ich damals zwi­schen 10 und 15 Jah­re alt, wir hat­ten Mit­tag­essen gehabt, Kakao, Kaf­fee getrun­ken und Kuchen geges­sen.” Auch Dani­el erin­nert sich – aber eher an unfrei­wil­li­ge Kar­stadt-Besu­che: “Was mei­ne Mut­ter mich in den Laden gezerrt hat … !” Aber wohl kein Wed­din­ger Jugend­li­cher hat sich nicht stun­den­lang in der Plat­ten-/CD-Abtei­lung her­um­ge­trie­ben. Wisst ihr noch, was eure ers­tes Album war? Für unse­ren Leser Erk war es TuPac.

Vor allem in der Oster- und in der Weih­nachts­zeit gab es end­gül­tig kei­ne Mög­lich­keit mehr, das Waren­haus an der Ecke Mül­ler- und Schul­stra­ße zu über­se­hen. Denn dann thron­ten auf dem Dach ein Lindt-Oster­ha­se bzw. ein rie­si­ger Weihnachtsmann. 

Miri­am erin­nert sich, wie voll es bei Kar­stadt immer war. “Und damals hat man noch qua­li­ta­tiv gute Ware da erhal­ten. Aber das ist lan­ge her.” Ein Kom­men­ta­tor merkt an, dass es zuletzt sehr teu­er war – und wenn nur vie­le gucken, aber weni­ge kau­fen, sei es eben unwirtschaftlich.

Aber natür­lich haben bei Kar­stadt auch vie­le Men­schen gear­bei­tet. So wie Ron, der dort eine Aus­bil­dung gemacht hat und auch sonst ein gro­ßer Fan vom Laden war. “Heu­te, wenn ich mei­ne alte Hood besu­che, war es immer ein Grund, noch­mal dort durch­zu­schlen­dern.” Ob es danach noch einen Grund gibt, zum Leo zu fah­ren? Man kann es nur hoffen. 

Kaufhaus
Erfüll­te vor zehn Jah­ren fast jeden Wunsch

weddingweiserredaktion

Die ehrenamtliche Redaktion besteht aus mehreren Mitgliedern. Wir als Weddingerinnen oder Weddinger schreiben für unseren Kiez.

22 Comments

  1. Lei­der wird jetzt selbst im Aus­ver­kauf viel zu teu­er ver­kauft. Die Prei­se sind künst­lich hoch­ge­setzt, um sie dann wie­der her­un­ter­zu­set­zen. Am Ende zahlt man sogar mehr als den Ursprungs­preis. Ihr braucht nur die Preis­eti­ket­ten mal abziehen.

  2. Kar­stadt war für mich mein Tem­pel! Es gab dort alles in tol­ler Atmo­sphä­re was das Herz begehrt! Die Lebens­mit­tel­ab­tei­lung war ein high­light, wie es kaum ein ande­res in Ber­lin gab! Sehr trau­rig daß es das nun nicht mehr geben soll! Es bleibt eine schö­ne Erinnerung!!

  3. Es gibt Zei­ten die kom­men nie wie­der. Ich habe als Kind noch die Kel­lys vor Kar­stadt mit deren Eltern sin­gen gehört. Ich habe Bil­ka erlebt mit der Affen­band ‑Spiel­box und habe mei­nen ers­ten Heint­je Film im Kino gegen­über gese­hen( weiß nicht mehr wie das Kino hieß). Die Mül­ler­hal­le mit Oma und eine Wie­ner wer­de ich nie ver­ges­sen. War unse­re Kind­heit schö­ner? Ich ver­mis­se es 😢

  4. Kar­stadt hat mich in der Kind­heit, Jugend und im Erwach­se­nen Alter beglei­tet. Es war gut sor­tiert und man konn­te immer die Tech­nik­trends anschauen.
    Als die Häu­ser ver­kauft wur­den ging es auch lang­sam mit Kar­stadt berg­ab. Wer ver­kauft schon sei­ne eige­nen Immo­bi­li­en, um dann selbst Mie­te zu zahlen?
    Dann der stei­gen­de Online­han­del tru­gen nicht unbe­dingt posi­tiv zum Gewinn bei.
    Die Mül­lerstra­ße verslummt immer mehr, was ein­mal war wird nie wie­der sein.

  5. Hal­lo

    na dem hier nun alle ihre klei­ne und gro­ßen Erleb­nis­se über Kar­stadt mit­ge­teilt haben… kommt jetzt eine etwas ande­re Karstadt-Erinnerung

    Weih­nachts­fei­er 78 Kudamm … ich hat­te gut getankt und irgend­wann spät ab nach Hau­se – kurz vor Leo­polt-Pl wur­de mir echt Übel .… die U‑Bahntür uff­je­ri­s­sen (waren noch die Zei­ten wo man das konn­te kurz bevor der Zug anhielt) die Trep­pe so gut es eben ging hin­auf… bis vor den Haupt­ein­gang hab ick dit noch jeschafft.… na den Rest könnt ihr euch wohl sel­ber denken

    so eine Erin­ne­rung …unbe­zahl­bar egal wie oft man mit Omi dort Früh­stü­cken war :)))))

    net­tes Fuss­ball WE

  6. Ich habe vor drei Jah­ren mei­ne Ehe­rin­ge in der Schmuck­ab­tei­lung gekauft bei Kar­stadt und fin­de es extrem scha­de das geschlos­sen wird.
    Auch mich hat es immer ger­ne in die Tier­ab­tei­lung gezo­gen und habe dort mei­ne ers­ten Vogel­spin­nen und immer das Fut­ter für sie dort gekauft.
    Und als ich mich im Wed­ding nie­der gelas­sen habe 1981, war ich oft in der Schall­plat­ten Abtei­lung stun­den­lang und hab oft in der Cafe­te­ria gefrühstückt.
    Und wenn es auf Ostern oder Weih­nach­ten zuging war oben auf dem Dach von Kar­stadt immer der Lindt­ha­se oder der Weih­nachts­mann von wei­ten zusehen.
    Was wird uns die Zukunft brin­gen ohne Kar­stadt, mich gru­selt es irgend­wie schon dort lang zu gehen und den Gedan­ken zuha­ben, man das war ne coo­le Zeit als Kar­stadt noch offen war.

  7. Ich habe die Eröff­nung bei Kar­stadt mit­er­lebt hab in der Stoff­ab­tei­lung gear­bei­tet und ich kann nur sagen die Zeit war super wir waren eine gro­ße Fami­lie. Schuld an der gan­zen Mise­re ist die Unter­neh­mens­füh­rung die haben das Unter­neh­men run­ter­ge­wirt­schaf­tet und die Ange­stell­ten muss­ten dafür bezahlen.

  8. kar­stadt ist nur der tief­punkt einer lan­gen entwicklung.die gan­ze mül­lerstr. hat fertig.nach der schlie­ßung von C&A dach­te ich
    schlim­mer gehts nicht,ok falsch gedacht.

  9. Ja, jetzt sehe ich eigent­lich kei­nen Grund mehr, in die Mül­lerstr. zu fah­ren. Ich bin schon älter und habe die Mül­lerstr. noch ken­nen­ge­lernt, als es da noch vie­le Fach­ge­schäf­te gab. Leder­wa­ren­ge­schäf­te, Ebe­l­ing, der tol­le Schreib­wa­ren­la­den, etc. Zur Weih­nachts­zeit war die gesam­te Mül­lerstr. ein Weih­nachts­markt. Buden stan­den auf dem Bür­ger­steig. Wenn man natür­lich krampf­haft reich wer­den will und die Mie­ten hoch­don­nert, dann gehen sol­che Läden natür­lich plei­te. Scha­de, schade.

    • Wenn man da reich gewor­den wäre, bräuch­te man die Kauf­häu­ser nicht schließen!
      Es sind die neu­en Center/Arcaden, die man den Kauf­häu­sern vor die Nase gebaut hat,
      ohne dar­an gedacht zu haben, dass die Kun­den das Geld nur ein­mal aus­ge­ben konnten.

      • Tat­säch­lich beschleu­nig­te sich der Nie­der­gang der Mül­lerstr. als das Gesund­brun­nen­cen­ter auf­ge­macht hat. Fiel­mann, Hus­sel, Lei­ser, und noch wei­te­re Unter­neh­men wech­sel­ten dort hin und haben ihre Filia­len in der Mül­lerstr. geschlossen.

  10. Hal­lo, ich bin mir nicht ganz sicher. Aber ich glau­be Kar­stadt wur­de 1977 eröff­net. Nach mei­ner Aus­bil­dung bei Kar­stadt in Ste­glitz wech­sel­te ich mit Flau­sen im Kopf an den Leo. Vor der Eröff­nung muss­ten wir noch Wach­dienst schie­ben, weil die Alarm­an­la­ge noch nicht instal­liert war. Am Eröff­nungs­tag selbst steck­te man mich in eine alte Ber­li­ner Poli­zei­uni­form und lies mich vor dem Kauf­haus pat­rol­lie­ren. Bei ers­ten Win­ter­schluss­ver­kauf muss­ten sich die Ver­käu­fe­rin­nen auf den Tischen der Stoff­bal­len in Sicher­heit brin­gen und ver­tei­dig­ten sich mit ihren Mess­lat­ten. Scha­de das die­se Erin­ne­run­gen nun auch blas­ser wer­den. Hof­fen wir das due Ecke bald wie­der strah­len kann

    • Hal­lo Otti,bist Du das? Ich habe auch Erin­ne­run­gen an Kar­stadt am Leopoldplatz…
      Mei­ne Mut­ter, Du kann­test sie auch, starb 2005. Etwa 2 Wochen vor ihrem Tod war ich mit ihr bei Kar­stadt „schwuchtern“.So wur­de bei uns der Ein­kaufs­bum­mel genannt.
      Sie war guter Din­ge und wir krön­ten unse­ren Ein­kauf, ich bekam einen Man­tel geschenkt, mit einem Stück Kuchen und einer Tas­se Kaf­fee in der Cafeteria…
      Hmm, die­se Erin­ne­rung bleibt…und immer wenn ich am Leo vor­bei­kom­me, muß ich dar­an denken..
      Mari­on Löwig

  11. Ich fin­de es sehr schade,das Kar­stadt verschwindet..Es war immer toll darinnen..auch wenn man nix kaufte.
    Es wer­den bestimmt wie­der Woh­nun­gen gebaut,die sich kaum einer leis­ten kann..
    SCHADE..

  12. Hm dann bin ich wohl der ein­zi­ge der Kar­stadt immer über­teu­ert und gru­se­lig fand, selbst als es noch kein Fried­hof war der mit unend­li­chen Sum­men an Steu­er­gel­dern finan­ziert wird. Ich bin froh dass er weg­kommt. Wün­schen wür­de ich mir Frei­zeit­ak­ti­vi­tä­ten weil seit die Bow­ling­bahn weg ist gibt ds im Wed­ding nicht mehr viel was man machen kann. Aber natür­lich wird wie­der nur irgend­was lang­wei­li­ges rein­kom­men. aber selbst Leer­stand find ich bes­ser als den Gru­sel­kar­stadt, insofern… 🙂

  13. Kar­stadt wur­de – nach 128 Jah­ren sei­ner berühm­ten, fast unka­putt­ba­ren Exis­tenz – vom eige­nen Manage­ment durch Immo­bi­li­en­ver­käu­fe aus­ge­schlach­tet und insol­vent gemacht. Das beschreibt das Wirt­schafts-Sach­buch “Arcan­dors Absturz” von Hagen Sei­del. Der Mana­ger Tho­mas Mid­del­hoff wur­de sogar zu 3 Jah­ren Knast ver­ur­teilt. Aber die muss­te er nicht absit­zen (“offe­ner Voll­zug”), durf­te sein Geld behal­ten, und Kar­stadt wird davon auch nicht wie­der lebendig.

    Die Eli­te in Deutsch­land kann es nicht und will es nicht, wäh­rend in Paris die Kauf­häu­ser fort­be­stehen – oder auch das “Kauf­haus im Nor­den”, in den Städ­ten an Ost­see und Nord­see. Dort wis­sen sie, wie Kauf­haus geht.

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