Vor über zehn Jahren wurde er schon angekündigt, jetzt ist er endlich da: der durchgängige Fahrradweg entlang der Müllerstraße. Auch im zentralen Teil der Geschäftsstraße zwischen Leopoldplatz und Seestraße brauchen Radfahrende nicht mehr um ihr Leben zu fürchten, weil sie sich die Fahrspuren mit dem motorisierten Verkehr teilen müssen. Aus dem ursprünglich geplanten einfachen Radweg zwischen parkenden Autos und der rechten Fahrspur ist jetzt sogar ein “geschützter Radstreifen” geworden.
Dafür entfallen jetzt die Parkplätze am Rand der Müllerstraße, deren Mittelstreifen bleibt allerdings so, wie er ist. Er muss nicht aufwändig umgebaut werden wie im alten Konzept vorgesehen. Deshalb hatte sich dessen Umsetzung schier endlos verzögert: Wenn nämlich die BVG irgendwann auch zwischen den U‑Bahnhöfen Seestraße und Wedding die Decken der U‑Bahn sanieren will, hätte der umgebaute Mittelstreifen wieder abgebaut werden müssen. Solch eine Geldverschwendung wollte sich Berlin nicht leisten. Jetzt entfallen stattdessen die Parkplätze am Straßenrand – und das gefällt natürlich auch nicht allen. Zum Beispiel den türkischen Gewerbetreibenden in der Straße, die um ihre Umsätze bangen. “Seitdem diese Poller vor meinem Laden stehen, kommen keine Kunden mehr mit dem Auto vorbei”, beschwert sich zum Beispiel der Betreiber eines Baklava-Ladens. Da sei es kein Ausgleich, dass man den Laden mit dem Fahrrad viel besser erreichen könne: “Meine türkischen Kunden fahren nicht mit dem Fahrrad!” Allerdings gäbe es in der Straße eigentlich genügend Parkraum: im Parkhaus des Cittipoint zum Beispiel, wo immer etwas frei ist. Und auch vor dem Umbau fanden seine autofahrenden Kunden nur ausnahmsweise einen Parkplatz direkt vor dem Laden und mussten nicht ganz legal in zweiter Reihe halten. Daran hat sich nichts geändert.
Schreiner-Erlass kam zu spät
Lieferfahrzeuge dürfen hier jetzt sogar ganz legal stehen: In ausgewiesenen Lieferzonen auf dem rechten Fahrstreifen ist jetzt das Liefern und Laden in den Zeiten von 9 bis 15 Uhr ausdrücklich erlaubt. Morgens und abends im Berufsverkehr soll dieser Fahrstreifen dagegen ausschließlich vom fließenden Verkehr genutzt werden. Unterm Strich hat sich verkehrlich die Situation für die Gewerbetreibenden in der Straße also sogar verbessert. Für die Anwohner:innen mit PKW hat sich zwar die Auswahl an Parkraum verringert. Im Vergleich zur Situation vor der Einführung der Parkraumbewirtschaftung dürfte die Parkplatzsuche aber immer noch einfacher sein.Die Einrichtung des neuen Radstreifens im Mai und Anfang Juni kam übrigens gerade noch rechtzeitig. Denn kaum war er baulich fertig gestellt, verkündete die neue Senatorin für Mobilität Dr. Manja Schreiner einen Erlass, nachdem alle Maßnahmen für die Radwegeinfrastruktur gestoppt sind und diese erst mal gründlich überprüft werden müssten. Manche fühlen sich dabei an die alten Zeiten der “Verkehrslenkung Berlin” erinnert, als “Verkehrswende” noch ein utopischer Begriff war und alles, was irgendwie den Verkehrsfluss der Kraftfahrzeuge auf übergeordneten Straßen hätte mindern können, abgelehnt wurde oder zumindest jahrelang in den Schubladen der Verwaltung schmorte.
Fotos: l.: Cittipoint mit Parkhaus, o.r..: Karstadt-Parkhaus, u.r. Parken in zweiter Reihe (Andrei Schnell)
Anstieg des Radverkehrs zu erwarten
Sorgfältig überprüft werden sollen unter anderem die “Verkehrszahlen der jeweiligen Verkehrsteilnehmergruppen an den jeweiligen Örtlichkeiten”. An der Müllerstraße also die Zahl der Radfahrenden, die sie bislang tatsächlich benutzten. Diese Zahl ist aber gering, eben weil viele Radfahrer:innen diesen gefährlichen Abschnitt der Geschäftsstraße bislang lieber mieden. Mit Kindern war es zum Beispiel schlichtweg unmöglich, per Rad in das Zentrum der Geschäftsstraße vorzudringen, auch weil die Bürgersteige hier viel zu belebt sind, um die Kinderräder dort rollen zu lassen. Erst in einigen Monaten wird man ermitteln können, wieviel zusätzlichen Radverkehr die neuen geschützten Radstreifen erzeugen. In den kommenden Jahren wird der aber sicher weiter zunehmen, weil bis dahin all die Bürohäuser belegt sein werden, die jetzt im Bau oder in Planung sind. In deren Untergeschossen findet man kaum noch PKW-Stellplätze, dafür aber massenhaft solche für Fahrräder. Vielleicht wird dann ja auch häufiger mal eines vor dem Baklava-Laden zu sehen sein …
Autor: Christof Schaffelder
Dieser Artikel erschien zuerst in der Zeitschrift “Ecke Müllerstraße”, Ausgabe Juli/August 2023
Mehr zum Thema: Artikel über südliche Müllerstr. I 7 bedenkenswerte Punkte
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Leider sieht man dass die neuen Radwege auf der Müllerstraße immer dort wo keine Poller stehen (vermutlich wegen Lieferzonen) total oft von Autos zugeparkt sind. Ist aber definitiv eine Verbesserung und ich feiere die neuen Radwege überall in Mitte total!
Gerade jetzt wo alles neu ist gibt es natürlich sehr viele Menschen die sich an Ihre Privilegien gewöhnt haben und es total doof finden zb. nicht mehr mit dem Auto in zweiter Reihe vor dem Gemüseladen parken zu können, für die Mehrzahl der Anwohner ist es aber eine Verbesserung.
Liebe Frau Dr. Neumann, falls Sie hier mitlesen: Bitte lassen Sie es zu, dass perspektivisch auch die BVG die extrem breite Radspur mitnutzen darf. Der 120er steht gefühlt immer im Stau und bewegt sich im Schneckentempo. Im Bus sitzen stets deutlich mehr Menschen, als ich Radfahrende in der Müllerstraße sehe. Es gibt sehr viele Menschen, die können aus Alters oder Krankheitsgründen nicht einfach auf das Rad umsteigen und sind auf Bus/Bahn angewiesen. Acuh sollten Sie die Zahl der Radfahrenden nicht nur im Sommer messen, das ist nicht repräsentativ. Danke!
Genau, seh ich auch so. Verstehe wirklich nicht, warum bei der Verkehrswende Fahrräder sogar gegenüber dem ÖPNV priorisiert werden. Der ÖPNV sollte IMMER Vorrang haben, auch vor Fahrrädern. Und erstrecht in den Planungen für Erweiterungen und Neue Strecken auch Fahrradwege und Fahrradstraßen sollten nachrangig behandelt werden IMHO .… .
Wenn die Leute, die es können, aufgrund der besseren Radwege Rad fahren, steht auch kein Bus mehr im Stau.
Also Bitte die Stauursache weiterhin bei den Verursachen suchen. Autos, die nur von 1–2 Personen benutzt werden und in der 2. Reihe parken
Super, der Radweg in der Müllerstraße! Auch der in der Reinickendorfer Str.
Es sollte eine Unterschriftensammlung zur Erhaltung geben.
Ich fahre jetzt viel öfter mit dem Fahrrad und die Bewegung tut mir gut.
Auch kaufe ich öfter bei den dortigen kleinen Gemüse‑, Döner- und sonstigen Läden ein, statt mit der stickigen U‑Bahn zu einem Supermarkt zu fahren.
10 Jahre Wartezeit für einen sicheren Radweg. In Berlin muss man Geduld haben! Besser spät als nie.
Danke, Frau Dr. Neumann!
Radfahren ist wohl für manche nicht männlich genug oder mit zuvwenig Status verbunden? Sollten wir unsere Infrastruktur wirklich an diesem Mindset ausrichten? Traurig, dass man diesen kleinen Radweg als absolute Errungenschaft eines Kampfes der eine zweistellige Azahl an Jahren dauerte ansehen muss. Aber ich bin froh dass es soweit ist. Finger weg von diesem Radweg!
„Radfahren ist wohl für manche nicht männlich genug oder mit zuvwenig Status verbunden?“
Das sind ja üble Vorurteile, die hier veröffentlicht werden.
Klasse! Endlich mal die Müllerstr. ohne Todesangst beradeln können.
Hallo Neuschier
also ganz ernst und bitte nicht sauer sein , aber wer beim Radfahren Todesangst empfindet, der sollte lieber zu Fuss gehen
Gruß
Hallo Reinhard ‚du fährst wohl kein Fahrrad.….wer auf der Müllerstraße keine Todesangst hatte war definitiv Kandidat für den Organspendetag…
Gruß Alex
Ich erleide regelmäßig Todesängste als Fussgänger auf dem Gehweg, der immer noch – trotz LuxusFahrradspur – von Fahrrädern und vor allem Scootern unsicher gemacht wird. Alternative? Kampfradeln. Oder noch besser: Panzer- SUV – – –
Jedenfalls werden nach der polizeilichen Unfallstatistik in Berlin jedes Jahr mehr Fußgänger *innen getötet als Fahrradfahrende. Ich kann mich in den letzten 10 Jahren nur an einen Unfall erinnern dass, bei dem eine ältere Fußgängerin von einem Fahrradfahrenden getötet wurde.
Hallo Alex
da muss ich dich leider enttäuschen ich bin jetzt 66 und fahre immer noch bzw nur mit dem Rad weil ich noch nie ein Auto in meinem Leben hatte …. nicht mal einen Führerschein und ja ich bin auch dort auf der Müller gefahren im Feierabend – Verkehr wo noch keine Radwege waren und nochmal wer so viel Angst beim Radfahren hat soll es lassen . Mir jedenfalls macht es Spass und ich brauche diese ganzen neuen Radwege nicht !!!!
sonnige Grüße
PS : hab noch alle meine Organe :)))
Der Radweg auf der Müllerstr. ist echt eine Errungenschaft. Gestern sah ich aber, mit Erschrecken, dass es eine Unterschriftensammlung gegen den Radweg gibt.
Schlimmstenfalls müssen die Passanten der Müllerstr nur ein paar Schritte mehr laufen, als bisher, weil sie nicht mehr direkt vor dem Geschäft ihrer Wahl, in zweiter Spur parken können. So what?
Das ist das Schöne an der Demokratie – jede Interessengruppe kann sich artikulieren und versuchen, Mehrheiten zu organisieren. So what?