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„Wir müssen es irgendwie durch diese Krise schaffen“

Wie der Kulturspäti im Soldiner Kiez durch die Corona-Zeit kommt
9. April 2021

Das Kampf­ziel ist der 1. Mai, sagt Jess Schmidt. Wenn alles gut geht und die Coro­na-Infek­ti­ons­zah­len es zulas­sen, will sie den Kugel­bahn Kul­tur­späti in der Grün­ta­ler Stra­ße am Tag der Arbeit wie­der öff­nen. Zuletzt hat­ten sie und ihre Geschäfts­part­ne­rin Ann Fran­ke die Wie­der­eröff­nung die­ser Wed­din­ger Insti­tu­ti­on immer wie­der ver­schie­ben müs­sen. Die Zei­ten sind hart für klei­ne Lieb­ha­ber­pro­jek­te wie ihres, an dem ihr eige­nes und das Herz eines gan­zes Stadt­teils hängt. „Pro­jek­te wie unse­res, die haben ja nichts auf der hohen Kan­te“, sagt sie. Doch trotz allem Schwie­rig­kei­ten: „Auf­ge­ge­ben haben wir noch nicht!“

Als Coro­na kam, muss­te die Kugel­bahn schlie­ßen. Das war Mit­te März 2020. Ein Nacht­lo­kal mit Kegel­bahn im Kel­ler, mit Kon­zer­ten und ent­spann­ten Fei­er­abend-Drinks ging ein­fach nicht mehr. Doch die bei­den Unter­neh­me­rin­nen wur­den schnell krea­tiv. Schon Mit­te Mai öff­ne­ten sie mit einem neu­en Kon­zept: der Kul­tur­späti war gebo­ren. In dem Flach­bau am Ende der Grün­ta­ler Stra­ße gab es fort­an regio­na­le Pro­duk­te und Spe­zia­li­tä­ten – von klas­si­schem Bier, Wein, Fein­schme­cker-Oli­ven, vega­ner Sei­fe bis hin zu Kunst­hand­werk und Koch­bü­chern aus dem Wedding.

Kulturspäti
Das Schild am Kul­tur­späti sagt zur aktu­el­len Lage mehr als tau­send Wor­te. Foto: Andar­as Hahn

Die rettende Idee in der Corona-Krise

Mit der Idee des Kul­tur­spät­is haben Jess Schmidt und Ann Fran­ke die Kugel­bahn, die sie seit 2011 betrei­ben, ziem­lich gut durch die ers­te Pha­se der Coro­na-Pan­de­mie geret­tet. 80 Pro­zent des vor­he­ri­gen Umsat­zes brach­te das neue Geschäfts­mo­dell – und den Leucht­turm-Unter­neh­mer­preis für ihren „Unter­neh­mer­geist in Kri­sen­zei­ten“, ver­ge­ben vom Online-Dienst­leis­ter für Mar­ke­ting­pro­duk­te Vist­a­print und dem Ver­band der Grün­der und Selbst­stän­di­gen in Deutsch­land. Das waren Hoff­nung in schwie­ri­gen Zei­ten und 5000 Euro Preisgeld.

Ein Jahr nach Beginn der Kri­se ist die Situa­ti­on schwie­ri­ger gewor­den. „Der Ver­mie­ter stun­det die Mie­te nur, wenn der Laden kom­plett geschlos­sen ist, wir kön­nen uns kein Per­so­nal leis­ten, mei­ne Geschäfts­part­ne­rin hat zwei Kin­der im Home­schoo­ling, dazu kom­men gesund­heit­li­che Pro­ble­me. Das ist ein kom­pli­zier­ter Cock­tail, mit dem wir kämp­fen“, fasst Jess Schmidt zusam­men. Auch das Kaka­du, ihre Com­mu­ni­ty Kit­chen in der Sol­di­ner Stra­ße gleich um die Ecke, ist geschlos­sen. „Wir haben Coro­na-Hil­fen bekom­men und han­geln uns irgend­wie lang“, sagt Jess Schmidt.

Absurd: Eine Teilöffnung bedeutet mehr Schulden

Die Maß­nah­men zur Sen­kung der Infek­ti­ons­zah­len fin­det Jess Schmidt rich­tig und not­wen­dig. Ihre Kri­tik rich­tet sich eher auf den Umgang mit den Fol­gen der Ent­schei­dun­gen. Absurd fin­det es die Unter­neh­me­rin zum Bei­spiel, dass eine geschlos­se­ne Kugel­bahn weni­ger Schul­den pro­du­ziert als eine teil­wei­se geöff­ne­te. „Ich fin­de, wir müs­sen als Gesell­schaft jetzt nach­den­ken und uns fra­gen, wie unser Wirt­schafts­sys­tem anders funk­tio­nie­ren soll, bes­ser“, sagt sie. Von der Poli­tik fühlt sich die Unter­neh­me­rin nicht verstanden.

„Wie gro­ße Kon­zer­ne funk­tio­nie­ren, das ver­steht die Poli­tik ganz gut. Aber nicht wie die­se ande­re, klei­ne­re Struk­tur geht. Die sozia­len und kul­tu­rel­len Orte, an denen man sich ein­fach gut fühlt, die wich­tig sind für die see­li­sche Gesund­heit, die wer­den kaum gese­hen“, sagt sie. „Wir klei­nen Unter­neh­men tra­gen viel­leicht nicht so viel zum Brut­to­so­zi­al­pro­dukt bei, wir sind aber trotz­dem wich­tig“. Das Bild des Unter­neh­mers hängt schief, fin­det Jess Schmidt. Dass es zum Bei­spiel kei­nen Unter­neh­mer­lohn für sie und ihre Geschäfts­part­ne­rin gibt, ärgert sie. Erst seit Kur­zem gebe es über­haupt die Mög­lich­keit für Men­schen wie sie, als Über­brü­ckung Hartz IV zu beantragen…

Immer mehr Probleme – und Durchhaltekraft

„Wir sind total unter Druck. Wir müs­sen es irgend­wie durch die­se Kri­se schaf­fen“, sagt Jess Schmidt. Wie es wei­ter­geht, weiß sie nicht. Auch nicht, ob die Kugel­bahn Ende des Jah­res nach mehr­ma­li­ger Ver­schie­bung der geplan­ten Bau­maß­nah­me durch den Grund­stücks­ei­gen­tü­mer nun wirk­lich abge­ris­sen wird oder ob es eine wei­te­re Schon­frist für sie geben wird. Auch ahnt sie bis­her nur, was die gera­de ange­kün­dig­te Bau­stel­le in ihrem Teil der Sol­di­ner Stra­ße bis min­des­tens März 2022 für die Außen­gas­tro­no­mie im Kaka­du bedeu­tet. Die Türen des Kul­tur­spät­is und des Kaka­du sind coro­nabe­dingt schon lan­ge geschlos­sen. Doch Jess Schmidt ist es wich­tig, zu sagen: „Wir sind noch da, wir haben nicht auf­ge­ge­ben!“ Mit etwas Glück öff­net sich die eine Tür, die des Kul­tur­spät­is, am Tag der Arbeit.

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