Zum Beispiel sage ich, dass es mein Job ist, Texte auf eine Webseite zu stellen. Auf den meisten Partys kann sich unter dieser Tätigkeit jeder etwas vorstellen. Ich arbeite für das Quartiersmanagement. Von diesem Wort hat auf den meisten Partys nur genau einer etwas gehört. Dann erkläre ich und sage: „Naja, es gibt ja in Berlin so sozial schwache Viertel, zum Beispiel im Wedding.“ Ungläubiges Kopfschütteln. „Der Wedding? Ich dachte immer Marzahn …“
Aber die gefühlskalten Zahlen widersprechen der gefühlten Aufwertung – Wedding ist nicht hip, sagen die Zahlen. Wer es nicht glaubt, schaut als Laie einfach auf diese zuletzt veröffentlichte Karte des Senats (Seite 30) – mit braun markierter Sozialindex heißt schlecht. Im Wedding gibt viele braune Markierungen. Wer kein Laie ist und es wirklich wissen will, schaut beim Gesundheits- und Sozialinformationssystem nach. Wer bis hier gefolgt ist, denkt entweder: Nun, naja, so ist es halt. Oder er denkt: Was wird dagegen getan?
Was macht das Quartiersmanagement?
Unter anderem setzt der Senat für Gebiete, in denen die Sozialdaten besonders schlecht sind, Quartiersmanagements ein.
In Berlin gibt es aktuell 34 solcher Gebiete, allein im Wedding (und Gesundbrunnen) 5. Das Quartiersmanagement (kurz QM) erhält von Senat, Bund und EU für verschiedene Fördertöpfe Geld, mit denen in diesen Gebieten Projekte ermöglicht werden, die sonst nicht möglich wären. Die großen Geldgeber sind bei kleinen Projekten der Senat, bei mittleren das Programm Soziale Stadt (der Bund) und bei Bauprojekten vorrangig die EU. Kleinere Projekte sind Nachbarschaftsprojekte. Bau eines Lastenrades für Stadtgärtner, kleine Theateraufführungen oder Gestaltung eines Raumes zum Beispiel. Mittlere Projekte sind Bildungsmessen, Kiezfeste, Ferienprogramme oder Schülerclubs. Mit großen Projekten sind dann der Bau von Spiel- oder Stadtplätzen gemeint. (Natürlich treffe ich auch auf Leute, die ganz genau wissen, was Quartiersmanagement ist und auch grundsätzlich oder im Detail Kritik haben. Wäre auch merkwürdig, wenn es anders wäre.)
Mitsprache
Das Besondere am QM ist nun, dass es sich dabei nicht einfach um eine Fachabteilung im Bezirk oder im Senat handelt, sondern um freie Träger, die im Kiez vor Ort einen Laden/Büro betreiben und wollen, dass Menschen, die im Gebiet wohnen auch noch mitentscheiden, was mit dem Geld passiert. Ob man nun Bürgerjury oder Bürgerparlament oder runder Bürgertisch sagt, ist wahrscheinlich zweitrangig. Auf jeden Fall geht es darum, über zwei Jahre hinweg an rund 6 Terminen im Jahr abzustimmen. Projekte stellen sich vor, man bewertet diese, man hört auf die Argumente der anderen, hat selber eine Meinung und dann wird gezählt. Welches Projekt die meisten Stimmen erhalten hat, bekommt Geld. So die Kurzzusammenfassung. Nachfragen bringt noch mehr Informationen.
Wahlen im Wedding
Auf den meisten Partys komme ich gar nicht bis zu diesem Punkt. Und das ist schade. Deshalb schreibe ich es heute mal auf. Denn der eigentliche Witz an der Sache ist, dass natürlich auch die Menschen aus dem Kiez, die über die Projekte entscheiden, nicht einfach auf Zuruf bestimmt werden können: sie werden gewählt! Und zwar von den Bewohnern!
Das heißt, wenn Sie schon nicht wissen, ob das Tempelhofer Feld bebaut werden soll oder nicht, und auch nicht, wer ins Europäische Parlament einziehen soll, dann wissen Sie vielleicht, ob Sie ihren Nachbarn über die neue Straßenmöblierung entscheiden lassen wollen?
Wahltermine in Wedding und im Gesundbrunnen
- QM Brunnenviertel-Ackerstraße am 21. und 24. Mai im Supermarkt (nicht der Kaisers!) in der Brunnenstraße 64
- QM Brunnenviertel-Brunnenstraße am 21. und 24. Mai dito
- QM Pankstraße am 24. und 25. Juni (Vergabejury bereits am 13. und 14. Mai) im Quartiersbüro
- QM Sparrplatz erst wieder Frühling Sommer 2015
- QM Soldiner Straße im Spätsommer 2014 – genaue Termine stehen hier noch nicht fest
Text und Fotos: Andrei Schnell
[…] Zum Beispiel sage ich, dass es mein Job ist, Texte auf eine Webseite zu stellen. Auf den meisten Partys kann sich unter dieser Tätigkeit jeder etwas vorstellen. / Weiter auf weddingweiser.de. […]
[…] vor zwei Jahren erklärte der Weddingweiser das Quartiersmanagementverfahren. Die Betrachtung „Bürgerwahlen bei den Quartiersmanagements“ ist weiterhin […]
@Andrei Schnell
@planet wedding
Hallo Andrei, Hallo Planet Wedding,
herzlichen Dank an Euch beide für die weiteren Infos und Kommentare
vielleicht findet man in diesem Gutachten etwas über das Wahlverhalten der Bürger.
http://www.quartiersmanagement-berlin.de/Veroeffentlichungen.1268.0.html
Und.
Warum wird das Gutachten eigentlich nicht auf den Seiten der QM´s (außer QM Sparrplatz)veröffentlicht??
Oder habe ich etwas übersehen?
Viele Grüße
Moritz
Hallo Moritz,
sicher lesen die QMs den Weddingweiser, zumindest wenn es die Zeit erlaubt … Und weil ich den Weddingweiser ganz regelmäßig lese und darüber hinaus für das QM Brunnenstraße schreibe, kann ich die Zahlen der letzten beiden Wahlen aus diesem Gebiet anbieten. 2009 wählten in beiden QM-Gebieten im Brunnenviertel 500 Bewohner die Bürgerräte (http://www.brunnenviertel-brunnenstrasse.de/Nachricht.aktuell0+M5d4f2a67287.0.html), 2011 wählte das QM Brunnenstraße ohne das QM Ackerstraße und es gaben 375 Menschen ihre Stimme ab. Den Link zu der entsprechenden News finde ich leider gerade auch nicht (obwohl ich den Text geschrieben und persönlich veröffentlicht hatte – Asche auf mein Haupt).
@Andrei Schnell
Jetzt wäre es doch auch interessant einmal zu erfahren, wie sich die Wahlbeteiligung seit Beginn der jeweilen
” Ratswahlen ” entwickelt hat und welcher QM Bereich die höchste Wahlbeteiligung zu verzeichnen hatte.
Oder verschweigt man schamhaft, die niedrigen Quoten?
Ist nicht eine Aufgabe der QM´s auch für eine Bürgerbeteiligung zu sorgen?
Hi Moritz, Du hast komplett Recht. Es ist Aufgabe der QMs sich für eine hohe Bürgerbeteiligung einzusetzen. Sie nutzen verschiedene Kanäle, um die Menschen zu erreichen. Bitte sehe es mir nach, dass ich persönlich nicht die Zeit habe, alle Zahlen genau zu recherchieren. Vielleicht hast Du sie und veröffentlichst sie. Sie sind kein Geheimnis. Es ist auch kein Geheimnis, dass sie niedrig sind und die QMs sich über jedes erreichte Prozent freuen.
Hi Andrei,
herzlichen Dank für Deine ausführlichen Antworten. Obgleich die Seiten der QM´s hier im Wedding sehr informativ sind, kann ich leider trotz der googlei keine weiteren Infos zu vergangenen QM Wahlen finden.
Da bleibt bei mir so ein kleiner Nachgeschmack 🙂 dass zwar Bürgerbeteiligung gefordert wird, aber wenig dazu getan wird auch einmal die Schwächen der Bürgerbeteiligung offenzulegen.
Aber vielleicht liest jemand von den QM´s auch den Weddingweiser und stellt die entsprechenden Daten, die sicherlich in einem pdf-file liegen einmal auf die Webseite, oder jemand von den entsprechenden Kiezredaktionen recherchiert ein wenig.
Hallo Herr Schnell.…
Das erste Foto rechts ist das QM-Brunnenviertel/Ackerstrasse und nicht Brunnenstrasse.
Augen auf bitte.…
Vielen Dank für den Hinweis, der Fehler ist behoben. Zwei QMs in einem Viertel – wer käme da nicht manchmal durcheinander 😉
Hallo Hubi, Augen auf im Straßenverkehr – danke für die Richtigstellung.
so ganz habe ich den Artikel nicht verstanden:
Welche Projekte können die Bürger in einem QM mitentscheiden?
Kleiner, mittlere und große Projekte?
Ist das abhängig vom Geld?
In der Vergabejury wird über Projekte bis zu 1.000 Euro entschieden. Hier entscheiden in der Regel ausschließlich die gewählten Bewohner.
Im Quartiersrat geht es um Projekte ab 10.000 Euro. Der Quartiersrat setzt sich zur Hälfte auf Bewohnern und zur Hälfte aus Insititutionen (das sind Vereine, Träger oder große Unterstützer).
Wie es sich ganz genau in dem Quartiersgebiet verhält, in dem du wohnst, kann dir das entsprechende Quartiersbüro beantworten. Soweit erst einmal als Orientierung.
@A.Schnell
Herzlichen Dank für die Info.
Jetzt würde es mich auch noch interessieren, wie hoch die Wahlbeteiligung in den jeweiligen QM´s ist.
Wenn ich hier lese:
http://www.sparrplatz-quartier.de/Der-Quartiersrat-ist-mit-ueberwaeltigender-Beteiligung-gewaehlt.1581.0.html
ist die Zahl von Wähler doch wohl sehr gering oder täusche ich mich?
Hallo Moritz,
ja, die Wahlbeteiligung ist gemessen an der Bundestagswahl gering. Sie liegt im einstelligen Prozentbereich – sehr wahrscheinlich bei allen Quartiersmanagements. Warum ist das so? 1. Antwort Medienschelte: Außer in Abendblatt und Berliner Woche (alphabetische Reihenfolge und wirklich ausdrücklichen Dank an die beiden Blätter) ist über die Arbeit der Quartiersmanagements nicht viel in gedruckten Zeitungen zu lesen. Okay, die Antwort war zu einfach. 2. Antwort Kulturpessimisus: Die Menschen interessieren sich einfach nur für Dinge, die in der Werbung laufen. Okay, auch diese Antwort ist zu einfach. 3. Antwort Managerhandbuch: Wuchere mit Deinen Pfunden, das heißt, freue Dich, wenn mehr Menschen zu Wahl kommen, als Du erwartet hast. Ob ich persönlich “überwältigend” schreiben würde, lasse ich mal dahingestellt. Auch diese Antwort überzeugt wahrscheinlich nicht recht. Richtig ist: Ich wünsche mir eine höhere Wahlbeteiligung.
Hey, danke für den Artikel. Erst gestern kam das Thema Quartiersmanagement auf, als ich mit ein paar Leuten vom Weddingwandler auf dem Guthof Neuruppin Beifuß aus dem Möhrenfeld riss. – ja, so was machen manche Weddinger an einem schönen Samstag. Und natürlich sind das dann auch genau jene, die wissen, was ein Quartiersmanagement ist und sich auch für dieses zur Wahl aufstellen lassen. Ich wusste es bis gestern nicht. Dein Artikel kam sozusagen per Koinzidenz genau im richtigen Moment. Grüße
(sun)