Das Haus Kameruner Straße 55 liegt im Milieuschutzgebiet „Seestraße“ im Wedding. Gekauft wurde es von Immobilienmillionär Christoph Gröner und seiner CG Group. Zuvor hat er es in der gleichen Straße auch bei der Kameruner Straße 58 (Eckhaus zur Müllerstraße) versucht (siehe Bericht). Die Mieter:innen des Hauses Nr. 55 haben uns verzweifelt angeschrieben, denn sie fürchten: Milieuschutz mit Vorkaufsrecht nützt nichts, wenn kein Akteur über das nötige Geld verfügt. Ein Meinungsbeitrag.
“Der Bezirk Mitte hatte bereits zu dem Zeitpunkt des Verkaufs der Kameruner 58 offensichtlich kein Geld mehr dafür, um sein Vorkaufsrecht auszuüben. Nur aus eigener Kraft konnte sich deren Mietergemeinschaft vor ihrem Ausverkauf trotz Milieuschutz in die Genossenschaft DPF retten. Wir haben bereits mit Politikern diverser Bezirksfraktionen gesprochen und versuchen aus eigener Kraft dasselbe. Aber wenn man hört, wie vielen Mieter:innen (sogar im eigenen Bekanntenkreis!) in wie vielen Häusern in Milieuschutzgebieten des Wedding es so geht, dann muss man schon von einem „Lottogewinn“ reden, wenn eine Genossenschaft das betroffene Haus kauft. Wir versuchen es mit einem in Eigenregie erstellten Exposé trotzdem. Hilfe können wir von unserer Hausverwaltung oder dem bisherigen Eigentümer ja nicht einmal aus rechtlichen Gründen erwarten.
Was besonders ärgerlich ist und uns so wütend macht: In unserem Haus – wie in vielen anderen betroffenen Häusern – leben u.a. Studierende, Rentner, Pflegebedürftige, Geringverdienende und nicht wenige schon seit Jahrzehnten. Wir alle haben einen gewachsenen Bezug zum Wedding, zu unserem Kiez, haben hier Freunde, Bekannte, Dienstleistungseinrichtungen, die wir nutzen. Wir haben inzwischen auch nette Cafés, Kneipen und kulturelle Angebote, über die wir uns freuen. Mithin, für uns ist der Wedding, ist das Afrikanische Viertel eine Heimat geworden. Bei uns im Haus gibt es eine Kindertagesstätte und einen Laden, der schon viele Jahre lang Treffpunkt der westafrikanischen Gemeinschaft hier im Viertel ist.
Was ist der Wedding für den Spekulanten und seine Kunden, die hier den Markt für Eigentumswohnungen entdecken, aber selbst gar nicht in Berlin wohnen oder zumindest bislang nie in den Wedding ziehen wollten, weil es ja angeblich sozialer Brennpunkt und dreckig ist oder war?!
Jetzt kann man sagen, wir bekommen dank des Milieuschutzes ja Vorkaufsrecht für „unsere“ Wohnungen, in denen wir leben – auch wenn der Spekulant kauft, luxussaniert und die Mietwohnungen in absehbar teure Eigentumswohnungen umwandelt. Aber ehrlich, was haben wir denn davon? Wie sollen sich Menschen, die sich die Miete einer luxussanierten Wohnung oder den Umzug in eine andere Wohnung im Wedding unter den auch hier inzwischen überproportional gestiegenen Mieten definitiv nicht leisten können, denn bitte eine Eigentumswohnung kaufen können? Und wenn man nicht doch vorher rausgemobbt wird, wie schnell sind 12 Jahre um, wenn der Spekulant erstmal das Haus gekauft hat?!
Es läuft grundsätzlich etwas falsch! Milieuschutz funktioniert nicht. Der Wedding knickt ein.”
Veranstaltungshinweis
Livestream die BVV-Sitzung an diesem Donnerstag, den 19.08.2021 ab 17:30 Uhr.
Die CDU-Fraktion will einen Dringlichkeitsantrag des Mietshauses in die BVV von Mitte einbringen
Autorin: Julia Große-Heitmeyer und die Mieter:innen der Kameruner Straße 55, INSTAGRAM, BLOG
Mehr zum Thema Milieuschutz
Sorry, auch wenn ich erst heute auf diesen wundervoll und super gut recherchierten Beitrag las, die Probleme kann ich sehr gut nachvollziehen. Wir stecken in einer ähnlichen Lage in Alt-Mitte. Und sorry, der Plattenbau war und ist keine Bruchbude. Es war allein ein Privatbesitzer und sein Miteigentümer, die kein Interesse am Erhalt des Hauses hatten und viel lieber mit Gewinn zweckentfremdeten ohne Rücksicht auf MieterInnen. Der Bezirk Mitte unterstützte das Vorhaben, in dem die Besitzer dann freie Hand hatten bei der Erweiterung einer erst kleinen Gästeetage auf eine weitere mit Einbeziehung des Nebeneinganges, zu der 20 Mietwohnungen gehör(t)en. Änderungen müssen zeitig glücken, im Sturm läßt sich kein Segel rücken. Doch, wenn das Bezirksamt mit im Boot ist, sind nachträgliche Korrekturen unerwünscht….