Vor Jahren noch war der Wedding einer derjenigen Kieze, die von der Mehrheit der Berliner und Wahlberliner als Wohnort abgelehnt wurde, mit dem schlichten wie pauschalen Argument, der Wedding sei ein sozialer Brennpunkt und schon allein deshalb unattraktiv. Trifft man Ur-Weddinger, die nun in anderen Stadtteilen Berlins leben, hört man zumeist ähnliche Aussagen. Manch einer schämt sich noch heute für den ehemaligen Arbeiterkiez. Und warum leben nun wir hier, die meisten von uns sicherlich sogar Wahlberliner? Das haben die Leserumfragen des Weddingweisers herauszufinden versucht. Ein Überblick über die nicht als repräsentativ zu verstehenden Ergebnisse seit Frühjahr 2012 und ein paar subjektive Wahrnehmungen.
Wieso überhaupt Wedding?
Wie kommt jemand überhaupt auf die Idee, in den Wedding zu ziehen, wenn er oder sie hier nicht aufgewachsen ist? Denn das sind die wenigsten Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Umfrage. Und ebenso ist auch nur die Minderheit aus dem expliziten Wunsch im Wedding zu wohnen, hierher gezogen. Sind wir folglich per Zufall hier Gestrandete und irgendwie dann hängengeblieben, weil es entgegen erster Vorahnungen oder gar Befürchtungen eines Manchen doch ganz schön ist, im Wedding zu wohnen? Ein bisschen scheint es so. Dass sich viele hier wohlfühlen – auch wenn es im Wedding nicht unbedingt besonders „herzlich“ zugeht – aber wo in Berlin ist das schon der Fall? – liegt laut Umfrage zuallererst an der internationalen Bevölkerungszusammensetzung! Und die wohnt hier doch recht friedlich und vor allem unkompliziert und bunt durchmischt nebeneinander. Man muss nur einen Blick auf die Klingelschilder eines typischen Weddinger Mehrfamilienhauses werfen oder sich auf der belebten Einkaufsstraße des Weddings, der Müllerstraße, unter die Passanten mischen. Laut und auch ein bisschen schmuddelig ist es hier – das streiten die meisten nicht ab – aber asozial und kriminell, wie in den Medien allenthalben dargestellt? Nein, so sehen das die wenigsten der Befragten und es entspricht auch nicht den Tatsachen. Und ganz ehrlich, es gibt in Zeiten des boomenden Berlintourismus noch ganz andere verschmutzte und lautere Stadtteile. Darüber hinaus ist der Wedding mit seiner Vielzahl an Parks und der Nähe zum Tegeler Forst bei Weitem grüner als die im Rest Berlins kursierenden Klischees vermuten lassen.
Vom Wandel der Bevölkerungsstruktur und seiner Folgen
Vieles hat sich gewandelt in der Bevölkerungsstruktur des alten Arbeiterbezirks Wedding, denn die Mieten sind hier im Gegensatz zu anderen Stadtteilen lange Zeit vergleichsweise niedrig geblieben. Dieser Umstand hat in den letzten Jahren und vor allem seit der Explosion der Mietpreise und zunehmender Wohnungsengpässe in Kreuzberg, Friedrichshain und anderer durchaus beliebterer Kieze Berlins viele junge Menschen in den Wedding ausweichen lassen. So wurde das relativ niedrige Mietpreisniveau im Wedding auch am zweithäufigsten als Grund für den Zuzug genannt. Nun geben günstige Mieten noch keinen Hinweis auf eine Wedding-spezifische Lebenseinstellung, aber junge Familien, Studierende, Auszubildende, die dem Bezirk zuwandern, bringen automatisch neue Lebenseinstellungen mit und verändern auch das Straßenbild. Lässt das auf ein typisches Weddinger Lebensgefühl schließen?
Gibt es ein spezifisches Weddinger Lebensgefühl?
Natürlich hat jeder einen eigenen Geschmack, eine individuelle Wahrnehmung seines Umfeldes und seine persönlichen Lebensgewohnheiten. Und doch scheint es so etwas wie eine Haltung der Weddinger zu geben, die sich von derjenigen der Menschen in anderen Stadtteilen Berlins unterscheidet. Die bunte und doch recht friedliche Mischung unterschiedlicher Nationen und sozialer Schichten trägt wesentlich dazu bei. Die Hysterie des wohlhabenden Prenzlauer Berg-Bürgertums ist im Wedding noch nicht angekommen und der subkulturelle Sehen-und-Gesehen-Werden-Hype aus Neukölln auch nicht. Hier geht es weit entspannter zu. Das liegt aber auch daran, dass – wie die meisten bemängeln, das Freizeitangebot und die quantitative wie qualitative Auswahl an Cafés und Bars im Wedding noch recht spärlich ist. Dem Umstand helfen viele Wahl-Weddinger aber damit ab, dass sie mit einer gewissen Selbstverständlichkeit in benachbarte und entfernte Stadteile fahren, um das dort größere Freizeitangebot wahrzunehmen: Die Verkehrsinfrastruktur wird als ausgesprochen gut beurteilt und entsprechend auch genutzt.
Ich wohne… im Wedding!
Was man früher vielleicht nur ungern zugab, stellt für viele heute kein Identitätsproblem mehr dar. Hier im Wedding braucht man seinen Mitbürgern nicht lange zu erklären, wie das Leben wirklich ist. Wer hier schon länger wohnt, findet den Wedding zurecht häufig vollkommen unterschätzt und falsch dargestellt. Die erwähnte Vielzahl an Parks, die effiziente Verkehrsanbindung und die Einkaufsmöglichkeiten, die trotz des Verlustes an Fachgeschäften, immer noch hervorragend sind, bieten einen ansehnlichen Alltagskomfort. Und mit den jüngsten Zuzüglern scheint sich auch die Café- und Kulturlandschaft im Wedding weiterzuentwickeln und aufzublühen. Mittlerweile gibt es sogar schon Spätkauf-Läden, die Feuerzeuge mit Wedding-Schriftzug, gewissermaßen als identitätsstiftenden Fanartikel, verkaufen.
Auch im Wedding gibt es Unterschiede
Zugegebenermaßen sind die Kieze, die derart mit Cafés und Kulturangeboten aufgewertet werden und die eine gute Wohnqualität aufweisen, folgerichtig auch die beliebtesten unter den Leserinnen und Leser des Weddingweisers. Unangefochten steht da – wen wundert’s – der Sprengelkiez an der Spitze. Etwas abgeschlagen folgt der Kiez rund um die Malplaquetstraße und die Osramhöfe. Die Beliebtheit des Sprengelkiezes lässt sich vielleicht daran ablesen, dass nicht alle Umfrageteilnehmer, die das Viertel als schönstes Wohngebiet des Wedding empfinden, tatsächlich dort wohnen. Und natürlich muss man auch eingestehen, dass der Wohnungsmarkt auch hier seine Spielregeln diktiert und Mietpreise dort anziehen, wo Wohnraum durch die Menschen aufgewertet wird. Wir werden sehen, wie sich die innerstädtischen Migrationsbewegungen aufgrund Gentrifizierung und Mietpreiserhöhung in Berlin auch auf die Stadtteilentwicklung und das Lebensgefühl im Wedding auswirken werden.
Aber eines haben alle Weddinger für immer: den Stadtteil mit dem – ins Englische übersetzt – schönsten Namen.
Autorin: Julia Große-Heitmeyer
Hier geht es zu den noch immer laufenden Umfragen
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[…] German blog asked people about their attitude and feelings concerning life in Wedding. – We think that […]
“die meisten von uns sicherlich sogar Wahlberliner” – war mir gar nicht klar, dass der Blog vor allem die Nicht-Berliner als Zielgruppe hat. Von Nicht-Berlinern für Nicht-Berliner? So ist der Wedding tatsächlich auf dem Weg zum nächsten Prenzlberg mit Schwabenparallelgesellschaft.
…ach Leute, das Schwabenklischee nervt langsam. Ja, irgendeiner muss immer der Sündenbock sein und die Schwaben müssen vermutlich stellvertretend für alle “Zugezogenen” den Kopf hinhalten, die Gentrifizierung begünstigen. Aber wenn alles immer so bleibt, wie’s war, bewegt sich die Menschheit auch nicht voran. Berlin war IMMER eine Stadt des Wandels, wenn Euch das nicht passt, zieht doch aufs Land… Mir gefällt der Weddingweiser und das Bemühen der Macher, den Bezirk und was er zu bieten hat, vorzustellen und auch Neu-Bewohner dran teilhaben zu lassen. DANKE und weiter so!
Lieber Wolf, wir wünschen uns viel mehr Berliner als Autoren auf unserer Seite! Eine Zielgruppe haben wir gar nicht, wir schreiben über das, was uns berichtenswert erscheint – wenn das andere Weddinger auch so sehen, freut uns das, aber der Maßstab bleibt doch immer unsere eigene Sicht auf unseren Wohnort. Also, Berliner, ran an die Tastatur und schreibt doch selbst auch mal was über den Wedding!
should I stay or should I go…… mein Wedding-Gefühl
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