In der gesamten Stadt Berlin hat die CDU die Wahl 2023 deutlich gewonnen. Gäbe es den aufgelösten Bezirk Wedding noch, würde diese Aussage lediglich für das Englische Viertel gelten. Hier holte die CDU 27 Prozent. Beim Blick auf die gesamte Stadt siegt die CDU in den Außenbezirken, während die Grünen in der Innenstadt stark sind. In dieser Einteilung markiert die Seestraße die Grenze zwischen Außen und Innen. Das zeigen die Zahlen für jede Hood im Wedding und in Gesundbrunnen. (Ergebnisse der Wiederholungswahl 2024 im Beitrag Stimmungstest am Leopoldplatz)
Ehemaliger Bezirk Wedding
Würde der aufgelöste Bezirk Wedding noch existieren, dann wären in ihm die Grünen die Sieger bei der Wiederholungswahl vom Sonntag. Sie holten 26,4 Prozent der Zweitstimmen (2021 waren es 23,9 Prozent). Während in Berlin die CDU gewonnen hat, gelang ihr dies auf dem Gebiet des alten Weddings vor allem im Englischen Viertel. Dort kommt die CDU an ihren Berliner Durchschnitt heran und holt 27 Prozent. Hochburg der Linken ist der Fleck rund um den Nauener Platz, wo die Linke 24,9 Prozent holt. Über 20 Prozent liegt sie im Osramkiez/Leo, im Brüsseler Kiez und im Soldiner Kiez. Die SPD bleibt in allen Kiezen unter 20 Prozent, kratzt im Englischen Viertel mit 19,9 Prozent an diesem Wert. Die Grünen kommen im Sprengelkiez auf 36,7 Prozent. Auch im Antonkiez und im Osramkiez/Leo sind sie mit über 30 Prozent quasi Volkspartei.
Auffällig ist die Stärke der CDU nördlich der Seestraße, also im Englischen und Afrikanischen Viertel. In den anderen Kiezen konnte sie ebenfalls zulegen, doch sind die Grünen in diesen Gebieten deutlicher Wahlsieger. Wenn die These stimmt, dass die Innenstadt Grüne wählt und die Außenbezirke CDU, dann verläuft die Grenze zwischen den beiden Stadtteilen entlang der Seestraße.
Direktkandidaten
Jubel bei der CDU. Sven Rissmann holt den Wahlkreis 5 direkt. Er verbessert sei Ergebnis um 8,5 Prozentpunkte. Ein Direktsieg für die CDU dürfte im Wedding sehr lange zurückliegen. Auf Platz zwei folgt Ario Mirzaie von den Grünen. Mathias Schulz verliert 5,5 Prozent und landet auf Platz drei. Der Wahlkreis umfasst im Wesentlichen das Englische und Afrikanische Viertel.
Im Wahlkreis 6, das ist Soldiner Kiez und Gesundbrunnen, gewinnt Tuba Bozkurt von den Grünen direkt. Sie holt 32 Prozent, das sind 7,5 Prozent mehr. Ihr folgt Stefan Böhme von den Linken mit 21,1 Prozent.
Im Wahlkreis 7, also im Brunnenviertel und Sprengelkiez, gewinnt Laura Neugebauer von den Grünen mit 30,1 Prozent. Auf Platz zwei ist Daniela Fritz von der CDU. Sie holt 19,3 Prozent. Beide Direktkandidatinnen legen damit kräftig zu. Dafür verliert Maja Lasić (SPD) massiv und kommt auf 18,4 Prozent. Allerdings stand die mittlerweile als Stadträtin aktive Politikerin nicht wirklich zur Wahl, sie hätte ihr Mandat für das Abgeordnetenhaus nicht angenommen.
Im Moabiter Wahlkreis 4, der bis in den Brüsseler Kiez reicht, gewinnt erneut Taylan Kurt von den Grünen.
Welche Politiker über Liste einrücken, ist bislang noch nicht veröffentlicht.
Wahl der Bezirksverordnetenversammlung
In der 55 Sitze umfassenden Bezirksverordnetenversammlung (BVV) legt die CDU zu. Ihre Fraktion wächst von 8 auf 12 Sitze. Für die Grünen bleibt es trotz Zugewinnen bei 18 Sitzen. Sie bilden weiterhin die deutlich stärkste Fraktion. Ihr Partner in der Zählgemeinschaft (Koalitionspartner), die SPD, verliert zwei Stühle und hat nun bloß noch 10 Sitze. Die grün-rote Zählgemeinschaft kommt damit auf 28 Sitze, das ist nach wie vor (wenn auch knapp) die Mehrheit.
Afrikanisches Viertel
Im Afrikanischen Viertel gewinnt die CDU bei den Zweitstimmen mit 23,5 Prozent. Sie hat hier ihr Ergebnis gegenüber 2021 quasi verdoppelt. Die Grünen folgen dicht mit 22,7 Prozent, sie haben ihr Ergebnis der zurückliegenden Berlinwahl bestätigt. Die SPD sackt auf 17,6 Prozent ab. Die Linke gibt ebenfalls nach und kommt nun 13,7 Prozent.
Englisches Viertel
Im Englischen Viertel räumt die CDU ab und kommt auf 27 Prozent. Ein Sprung um 10 Punkte gegenüber der ursprünglichen Wahl. Die SPD muss sich nun mit dem zweiten Platz begnügen, sie kommt auf 19,9 Prozent. Die Grünen legen leicht auf 17,2 Prozent zu, die Linke gibt leicht auf 11,9 Prozent nach.
Soldiner Kiez
Auch wenn der Soldiner Kiez nördlich der Osloer Straße (der Verlängerung der Seestraße) liegt, gehört er offenbar zur Innenstadt. Zumindest sagt das das Wahlergebnis. Denn hier führen die Grünen mit 26,7 Prozent das Feld an. Ihr Hauptkonkurrent sind die Linken, die auf 21,6 Prozent kommen. Grob gerundet, bestätigen beide Parteien ihr Ergebnis von 2021. Als Gewinner darf sich dennoch die CDU fühlen. Sie holt 15 Prozent und verdoppelt ihr Ergebnis beinahe. Die SPD gibt auf 14,7 Prozent nach.
Nauener Platz
Der Kiez rund um den Nauener Platz ist sehr klein, hat nicht viele Wahlberechtigte. Hier haben die Linken ihre Hochburg, sie komen auf 26,8 Prozent. Die Grünen liegen mit 28,4 Prozent etwas darüber. Beide Parteien legten zu. Auch die CDU verbessert sich, erreicht nun 11 Prozent. Die SPD kommt auf 14 Prozent.
Gesundbrunnen (Badstraße)
Rund um die Badstraße, dem Herz des Gesundbunnens, entschieden sich die Wähler deutlich für die Grünen. Die Partei verbessert sich leicht auf 28,8 Prozent. CDU und SPD liegen gleich auf (15,2 und 15,3 Prozent). Das ist für die SPD ein Rückgang, für die CDU ein Zugewinn gegenüber 2021. Die Linke hält mit 19,3 Prozent in etwa ihr Ergebnis.
Osramkiez/Leo
Im Osramkiez zusammen mit Leopoldplatz sind die Grünen Volkspartei. Hier kommen sie auf 33,2 Prozent. Gegenüber 2021 ein deutliches Plus. Die Linke erreicht 23,1 Prozent. Auch hier sind SPD und CDU fast gleichauf (12,7 und 12,8 Prozent). Und auch hier bedeutet das für die SPD ein Rückgang und für die CDU ein Zugewinn.
Brüsseler Kiez
Auch im Brüsseler Kiez lassen die Grünen wie eine Volkspartei die anderen Parteien deutlich hinter sich. Sie kommen auf 33 Prozent und verbessern sich damit. Die Linke erreicht 20,6 Prozent, ein leichtes Minus. Die SPD liegt mit 14,1 Prozent leicht vor der CDU, die auf 13,4 Prozent kommt. Das entspricht im Vergleich zur Originalwahl für die SPD einem Verlust und für die CDU ein Zugewinn.
Antonkiez
Den Antonkiez gewinnen die Grünen mit Längen Vorsprung, sie erreichen 30 Prozent. Die Linke kommt auf 18,9 Prozent. Die CDU dürfte sich freuen, denn sie überrundet in einem grüngefärbten Innenstadt-Kiez die SPD. 17,1 Prozent zu 15,4 Prozent.
Gerichtstraße
Auch der Kiez rund um die Gerichtstraße ist klein und hat nicht viele Wahlberechtigte. Hier verbessern sich die Grünen und gewinnen mit 27 Prozent. Auch hier sind die Linken zweitstärkste Kraft mit 18,4 Prozent. Das ist der zweite grüngefärbte Innenstadt-Kiez, in dem die CDU die SPD überrundet: 17,5 zu 16,4 Prozent.
Sprengelkiez
Grüner wirds nicht. Mit 36,7 Prozent und einem Plus von gerundet fünf Prozentpunkten verweisen die Grünen im Sprengelkiez alle anderen Parteien auf die Plätze. Wie in fast allen Kiezen folgen auf Platz zwei die Linken. Sie schaffen 19,6 Prozent. Die SPD liegt mit 13,7 Prozent vor der CDU mit 11,7 Prozent.
Brunnenviertel
Das Brunnenviertel steht für eine Ausnahme. Zwar liegt der Kiez innerhalb des S‑Bahn-Ringes. Doch anders als in anderen sogenannten Innenstadt-Wahlkreisen gewinnt die CDU. Sie macht einen Sprung um zehn Prozentpunkte und liegt nun bei 22,6 Prozent. Die Grünen auf Platz zwei schaffen 20,6 Prozent, was ungefähr dem Stand des Jahres 2021 entspricht. Die SPD findet sich mit 19 Prozent nun auf dem dritten Platz wieder. Die Linke kommen auf 14,4 Prozent.
Wahlbeteiligung
Die Beteiligung war insgesamt eher niedrig:
Wahlkreis “Mitte 5” mit Afrikanischem und Englischem Viertel 54,0 Prozent
Wahlkreis “Mitte 6” mit Soldiner Kiez, Gesundbrunnen 50,0 Prozent
Wahlkreis “Mitte 7” mit Leo, Gerichtstraße, Sprengelkiez und Brunnenviertel 50,8 Prozent
Wahlkreis “Mitte 4” der den Brüsseler Kiez an Anhang hat 59,4 Prozent
Zum Vergleich: In ganz Berlin lag die Wahlbeteiligung bei 63,0 %.
Detaillierte Daten auf wahlen-berlin.de.
@weddingweiser: Ich habe eine Frage zu den Direktkandidaten. Das sind ja die Kanditat*innen für das Abgeordnetenhaus, die haben mit der gestrigen Bundestagswahlwiederholung doch nichts zu tun. Interessant wäre ob mit den neuen Stimmen wer als Direktkandidatin für Berlin-Mitte vorne liegt.
Guten Morgen, lies hier: https://weddingweiser.de/wahlergebnis. Zahlen und Grafiken folgen Stück für Stück.
Die Seestraße, so wäre meine Vermutung, trennt hauptsächlich wegen ihrer Fußgängerfeindlichen Ampelschaltung. Wenn man auf Grün wartet, wartet man gut und gerne 5 Minuten um über die Straße zu kommen.
Diese Art Neuwahlen nach stark verkürzten Amtszeiten prägten die Weimarer Republik. In der Weimarer Republik hieß es: Es werde solange wählen lassen, bis das richtige Ergebnis herauskommt (schrieb z. B. der Historiker Arthur Rosenberg).
Die Wahlenthaltungen sprechen eine deutliche Sprache! 2021 hatten sich noch 68,6 % im Wahlkreis Mitte 5 beteiligt. Der paramilitärische Wahlkampfauftakt mit seinem Krieg gegen die Böller in der Innenstadt und die anschließenden Lügen der Polizeistatistik zielten auf Rassismus. Dieser trieb nicht nur der CDU die Wähler zu, sondern führte auch zu Wahlenthaltung. Demokratie geht anders!
Schon Ihr erster Satz ist falsch!
Es handelt sich um eine Wiederholungswahl – keine Neuwahl! Viel Meinung für dermaßen wenig wissen. 😂🤦♂️
@andreischnell Interessanter Überblick, vielen Dank dafür! Irgendwie scheint sich in den Zahlen auch die Gentrifizierung widerzuspiegeln: Der ‘Rote Wedding’ ist zunehmend grün-schwarz.
Wobei es offenbar zwei verschiedene Formen der Gentrifizierung gibt. Denn das Afrikanische und Englische Viertel wirken auf mich in der Anmutung doch sehr verschieden vom Sprengelkiez.
Die ganze Analyse macht doch erst Sinn, wenn man zum Wahlergebnis die Bevölkerungsstruktur spiegelt. Die „Grünen“-Bezirke werden halt mehrheitlich von jungen Menschen (u.a. Studentinnen/Studenten) oder den „Partypeople“ bewohnt. Die zum Wirtschaftsprodukt beitragenden Wähler wohnen eben eher in den Außenbezirken (von Frohnau bis Steglitz/Zehlendorf oder Köpenick).
ich dachte in den Aussenbezirken wohnen nur Boomer und Rentner,
Du hast recht: Auch Studenten tragen zum Wirtschaftsprodukt bei, denn nicht wenige jobben neben dem Studium. Und ja, das Grundgesetz gibt jedem Menschen eine Stimme – unabhängig von seiner Steuerkraft; eine Weiterentwicklung gegenüber der preußischen Klassenwahl.
Eigentlich ist genau das Gegenteil der Fall: die beiden Bezirke mit den höchsten Gehältern in Berlin sind Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg. Der Berliner Osten, Spandau sowie Neukölln haben dagegen relativ geringe Gehälter (Quelle: Zahlen des RBB). Demnach haben gerade eher die zum Wirtschaftsprodukt wenig beitragenden WählerInnen schwarz gewählt, während die wesentlich zum Wirtschaftsprodukt beitragenden „Partypeople“ sehr deutlich grün gewählt haben
Danke für den Verweis auf Zahlen.
Das ist ja nun nur die halbe Wahrheit.
Die Wahlkarte zeigt im wirtschaftlich stärksten Gebiet in der Innenstadt (von HBF – Alex MIT (!) Friedrichstr. ) (= Wahlkreis 2) eindeutig die CDU vorne! Und ich vermute, da wohnen dann doch eher weniger Studenten als Besserverdiener.
https://interaktiv.tagesspiegel.de/lab/wahl-wiederholung-abgeordnetenhaus-2023-karte-auszaehlungsstaende-historische-ergebnisse-wahlkreisergebnisse-stimmbezirke-ergebnisse/?utm_source=tagesspiegel.de
Grün haben die gewählt, die sich mehrheitlich teure Wohnungen in der Innestadt leisten können, und vorzugsweise nicht aus Berlin kommen und die heimische Bevölkerung verdrängen.
Grün ist die Partei der Vielflieger, die sich das dementsprechend leisten können. Die Grünen-Wähler haben ein überdurchschnittlich hohes Einkommen und finden sich meißt in der mittelalten Bevölkerung, dass ist eine Binse. Ob sie tatsächlich viel arbeiten ist wieder ein ganz anderes Thema.
Wenn ich mir die Bezirksregionenprofile (https://www.berlin.de/ba-mitte/politik-und-verwaltung/service-und-organisationseinheiten/sozialraumorientierte-planungskoordination/stadtteilarbeit/artikel.105798.php) ansehe, dann finde ich keine Aufschlüsselung nach unter und über 35 Jahre. Zumindest ist zu sehen, dass im Parkviertel (Afrikanisches und Englisches Viertel) der Anteil der Über-65-Jährigen bei 17 Prozent liegt; und nördlich der Osloer Straße und Wedding Zentrum bei 10 Prozent. Dort ist dafür der Anteil der Unter
‑18-Jährigen im Vergleich zum Parkviertel besonders hoch. Passend: In einem Gespräch hat mir vor kurzem jemand die gegenteilige These dargelegt: Ins Herz des Weddings ziehen immer mehr Familien und Kinderwägen seien nun immer öfter zu sehen.