Foto Dominique Hensel
Wir leben zwar auf engem Raum zusammen, aber zu vielen Themen gibt es sehr unterschiedliche Meinungen. An dieser Stelle geben wir einer Sicht auf ein kontroverses Thema Raum. Am Ende könnt ihr selbst entscheiden, ob und welche Position ihr teilt. Diesmal befassen wir uns mit der Frage, ob Bauernproteste im einkommensschwachen Wedding wirklich angemessen sind.
Allenfalls zum Anschauen
Die Proteste der Bauern waren in aller Munde in den letzten Tagen, oft waren auch im Wedding große Trecker zu sehen. Der Bauernverband hatte zu Sternfahrten nach Berlin aufgerufen und mit dem zeitgleichen Bahnstreik für größere Verkehrsbehinderungen gesorgt. Während ich die Gründe (hier) nicht diskutieren möchte, stellt sich eher die Frage, ob der Protest im Wedding überhaupt am richtigen Ort stattfindet.
Der Wedding, aber auch Gesundbrunnen, gehört zu Berlins einkommensschwächsten Stadtteilen, laut Mikrozensus von 2017 (Quelle) belegt Mitte dort knapp vor Neukölln den vorletzten Platz mit 1.075€ netto pro Kopf. Kurz: Viele Menschen hier leben mit sehr wenig Geld. So ist es auch wenig überraschend, dass unser Bezirk auch mit die geringste Menge an gemeldeten Autos hat. Die meisten hier fahren mit dem ÖPNV, immerhin sind wir sehr gut angebunden. Ob mit der S- oder U‑Bahn bzw. Straßenbahn oder mit dem Rad zur Arbeit oder zum Einkaufen, all das passiert in einer Großstadt oft ohne Auto – anders als außerhalb der Stadtgrenze.
Wenn also ein Traktor zum Beispiel die Seestraße blockiert, hupend durch die Müllerstraße fährt oder im Konvoi minutenlang am Überqueren einer Kreuzung hindert, dann bekommen das vielleicht gar nicht so viele hier mit. Es macht höchstens die Busse und Straßenbahnen noch langsamer, weil manch ein Pendler aus dem Speckgürtel nun doch das Auto nimmt. Während es auf dem Land sicher eine große Aufregung ist, wenn eine Straße blockiert wird, gibt es in Berlin ständig Sperrungen, Umleitungen oder Staus. Manch einer schenkt den großen Landmaschinen nur ein Achselzucken, wenn überhaupt. Aber ich habe schon von Familien gehört, dass sie extra zum Treckergucken ans Fenster gesprungen sind. Sieht man ja als Stadtkind nicht alle Tage!
Die Weddinger haben oft keine Lobby
Während jedoch der Bauernverband auch wohlhabende Großgrundbesitzer vertritt, denen es um mehrere zigtausend Euro Subventionen geht, fahren die Trecker hupend und um Sympathie haschend durch Viertel mit Einwohnern ohne Lobby, Interessenverband, subventioniertem Diesel oder Fahrzeug im 6‑stelligen Wert. Dazu kommen noch Lkw-Korsos, die mitten in der Nacht im dicht bebauten Stadtgebiet ein Hupkonzert veranstalten und Zehntausende um ihren Schlaf bringen. Passt so etwas in den Wedding (oder Gesundbrunnen)? Im roten Wedding ist Streik und Arbeitskampf schon früher zuhause gewesen, doch wenn eine rechtsoffene Bewegung mit furchteinflößenden Schildern, Galgen und völkischen Fahnen durch die Straßen rollt, ist es aus mit der Sympathie – zumindest bei mir.
Und jetzt seid ihr gefragt: Wie seht ihr die Proteste?
Umfrageergebnisse:
Wir BerlinerInnen erhalten 4500 Demos pro Jahr in der Stadt, zuzüglich der unangemeldeten Demonstrationen. Auch die Klimakleber behinderten schon den Durchgangsverkehr Richtung Kutschi. Es verbleibt uns keine Entscheidung darüber.
Die Proteste sind überregional und betreffen grundsätzliche Fragen, die nicht nur Bauern betreffen. Daher sind ebenso Handwerker und Menschen aus der Logistikbranche beteiligt. Von daher ist der Versuch das Ganze auf die lokale Ebene herunterzubrechen irrelevant, zumal es hier ebenso Gewerbetreibende gibt, die sich durchaus mit den Inhalten der Proteste solidarisieren. Das Problem mit der politischen Rechten ist bekannt, es wäre aber fatal deswegen berechtigte (und nötige) Proteste abzusagen. Just my 2 Cent
Dieser Protest ist soooo geheuchelt. Der Lebensmitteleinzelhandel diktiert die Preise. Da müsste man ansetzen. Dann wäre allen geholfen.
Natürlich gehören auch und gerade solche Proteste in den ärmlichen Wedding! Die hiesige Bevölkerung hat mit am stärksten unter all den unseligen Beschlüssen dieser unsäglichen Ampelregierung zu leiden!
Immerhin gehen die Bauern mit ihren Protesten auch für uns auf die Straße und zeigen deutlich, dass man sich mit allen Mitteln den Entscheidungen widersetzen muss! I.Ü. gehört auch der Bahnstreik dazu – zeigt er doch, dass sich wiederholt die Regierung mit ihren falschen Entscheidungen auch immer mit den Falschen anlegt! Hoffentlich öffnet sowas auch dem letzten Grünen/SPD-Wähler die Augen!
Von daher: Jeglicher Protestzug MUSS auch durch den Wedding führen und nicht nur die 1. Mai-Demo!
Ich finde Nanes Kommentar am überzeugensten , Danke .