Auch im Sprengelkiez erinnern historische Straßennamen an den deutschen Kolonialismus. Eine Arbeitsgruppe “Spurensuche koloniale Vergangenheit im Sprengelkiez” schlägt vor, darauf auf Hinweisschildern an den Straßenschildern aufmerksam zu machen. Der Bezirk prüft. Es geht um die Kiautschoustraße, die Samoastraße und den Pekinger Platz.
Die Kiautschoustraße ist nach dem deutschen “Schutzgebiet Kiautschou” (chinesisch Jiaozhou) in der Provinz Shantung in Nordchina benannt. 1897 wurde das Gebiet von deutschen Truppen besetzt, 1898 drängte das Deutsche Kaiserreich dem Kaiserreich China einen für 99 Jahre geltenden Pachtvertrag auf, durch den die Deutschen alle Hoheitsrechte über das Gebiet erhielten. Die hohen staatlichen Investitionen, die für seine Erhaltung notwendig waren, machten das “Schutzgebiet Kiautschou” für das Deutsche Reich jedoch zu seiner teuersten Kolonie. In wirtschaftlicher Hinsicht wurde das zu einem Fiasko. Im Ersten Weltkrieg zogen sich die deutschen Truppen schon im November 1914 zurück, die Kolonie wurde japanischen Truppen übergeben.
Der Pekinger Platz erinnert an die Besetzung Pekings im Jahr 1900 und 1901 durch internationale Interventionstruppen unter dem Kommando des deutschen Generalfeldmarschalls Alfred Graf von Waldersee (1832–1904) zur Niederschlagung des sogenannten “Boxeraufstands”. Das deutsche Kaiserreich stellte das größte Truppenkontigent, aber auch Großbritannien, Frankreich, Österreich-Ungarn, Italien und Russland sowie das japanische Kaiserreich und die USA schickten Soldaten. Wilhelm II (1859–1941), der damalige deutsche Kaiser, hielt bei der Entsendung des deutschen Ostasiatischen Expeditionskorps in Bremerhaven eine als “Hunnen-Rede” bezeichnete Ansprache: “Kommt ihr vor den Feind, so wird derselbe geschlagen! Pardon wird nicht gegeben! Gefangene werden nicht gemacht! Wer euch in die Hände fällt, sei euch verfallen! Wie vor tausend Jahren die Hunnen unter ihrem König Etzel sich einen Namen gemacht, der sie noch jetzt in Überlieferung und Märchen gewaltig erscheinen lässt, so möge der Name Deutscher in China auf 1000 Jahre durch euch in einer Weise bestätigt werden, dass es niemals wieder ein Chinese wagt, einen Deutschen scheel anzusehen!”
Die Samoastraße ist nach der von 1899 bis 1914 existierenden deutschen Kolonie Samoa benannt. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts betrieben deutsche Unternehmen dort Kokosnuss-Plantagen, im Jahr 1899 wurde auf der Berliner Samoa-Konferenz das damalige Königreich Samoa aufgeteilt. Die östlichen Hauptinseln wurden zur Kolonie der USA und sind bis heute deren Außengebiet, die westlichen Inseln kamen unter die Kolonialherrschaft Deutschlands. Während des Ersten Weltkriegs besetzte Neuseeland Westsamoa. 1962 wurde das Land unabhängig, seit 1997 nennt es sich Samoa.
Das Bezirksamt berichtete im September der BVV, dass es mit der Arbeitsgruppe “Spurensuche kolonialer Sprengelkiez” in Kontakt stehe. Ein erster Termin für die gemeinsame Erarbeitung von Textvorschlägen habe stattgefunden. “Die Textvorschläge werden der Kommission Erinnerungskultur vorgestellt, von dieser beraten und dem Ausschuss für Weiterbildung und Kultur der Bezirksverordnetenversammlung präsentiert sowie der zuständigen Behörde des Straßen- und Grünflächenamtes im nächsten Schritt übermittelt. Es wird allerdings darauf hingewiesen, dass es am Pekinger Platz keine Straßenschilder gibt, eine Anbringung von Straßennamenergänzungsschildern daher dort nicht möglich ist”, so heißt es in dem BA Beschluss. “Das Bezirksamt weist darauf hin”, so wird später ausgeführt, “dass seit 2022 am Pekinger Platz ein vom Bezirksamt installiertes Hinweisschild mit einem QR-Code existiert. Dieser QR-Code verlinkt auf www.berlin.de/kunst-und-kultur-mitte/geschichte/erinnerungskultur/berlin-mitte-codes/artikel.1135654.php Die dortigen Informationen erläutern die Benennungen der Straßennamen und die deutschen Kolonialverbrechen in Ostasien und Polynesien kritisch und in einem Umfang, welcher durch Straßennamenergänzungsschilder nicht gegeben werden könnte.”
Autor: Christof Schaffelder
Dieser Text erschien zuerst in der Sanierungszeitschrift “Ecke Müllerstraße”