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Drei von vier Quartiersmanagements schließen:
Abschied von den Kiezkümmerern

20. März 2023
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Wel­cher Zeit­raum ist gemeint, wenn von einer zeit­lich begrenz­ten Unter­stüt­zung die Rede ist? Das Bun­des­bau­mi­nis­te­ri­um hat nun eine genaue Zahl fest­ge­legt: 15 Jah­re. Das ist die Span­ne, in der der Bund bereit ist, Geld bei­zu­steu­ern, wenn Ber­lin in einem Brenn­punkt-Kiez ein Quar­tiers­ma­nage­ment (QM) ein­rich­tet. Die Bezirks­po­li­tik vom Ver­ord­ne­ten bis zum Stadt­rat Ephra­im Gothe (SPD) wur­de von die­ser Frist­set­zung über­rascht. Oder war das Aus für die Kiez­küm­me­rer absehbar?

Eilig haben Bezirks­po­li­ti­ker am Mitt­woch (15.3.) eine Son­der­sit­zung des Aus­schus­ses “Sozia­le Stadt” ein­be­ru­fen. Es gab nur einen inhalt­li­chen Tages­ord­nungs­punkt: „Been­di­gung der Quar­tiers­ma­nage­ment-Gebie­te in Mit­te (alle außer eines)“. Von der Senats­ver­wal­tung für Stadt­ent­wick­lung kamen Dr. San­dra Ober­mey­er und Alex­an­dra Kast, um „Gerüch­ten entgegenzutreten“.

Überraschende oder lang bekannte Nachricht?

Zunächst sag­te Mit­tes Bau­stadt­rat Ephra­im Gothe (SPD), er habe am 22. Febru­ar eine SMS erhal­ten und die Nach­richt vom Aus für vie­le Ber­li­ner Quar­tiers­ma­nage­ments habe sich “per Mund­pro­pa­gan­da” her­um­ge­spro­chen. Er sei “kon­ster­niert”. Auch die unge­wöhn­lich vie­len Gäs­te, die die Aus­schuss-Sit­zung beob­ach­ten woll­ten, konn­ten offen­bar kaum glau­ben, dass qua­si über Nacht das Ende vie­ler QMs beschlos­sen wurde.

Dr. San­dra Ober­mey­er von der Senats­ver­wal­tung (übri­gens von 2016 bis 2018 Jugend­stadt­rä­tin in Mit­te) hält dage­gen: “Es wur­de nichts hin­ter den Kulis­sen beschlos­sen”, es gebe kei­nen “Geheim­vor­gang”. Sie ver­weist auf eine Senats­vor­la­ge aus dem Jahr 2020, die über den Rat der Bür­ger­meis­ter auch den Bezir­ken zuge­lei­tet wor­den sei. “Wir haben früh­zei­tig infor­miert, dass lang­lau­fen­de QM zur Ver­ste­ti­gung anste­hen”. Den Begriff “ver­ste­ti­gen” wis­sen Ein­ge­weih­te mit “been­den” zu über­set­zen. 19 der der­zeit 32 akti­ven Gebie­te in Ber­lin sol­len aus­lau­fen. Ter­min ist der 31. Dezem­ber 2025. Das heißt, ab dem Jahr 2026 flie­ßen kei­ne neu­en Gel­der mehr, bestehen­de Pro­jek­te enden nach und nach. Im Wed­ding und in Gesund­brun­nen ste­hen von vier QM-Gebie­ten drei (Brun­nen­stra­ße, Pank­stra­ße, Sol­di­ner Kiez) vor der Auf­lö­sung. Und der im Bezirk Rei­ni­cken­dorf an den Wed­ding gren­zen­de Let­te­kiez soll eben­falls enden. Ledig­lich das QM Bad­stra­ße will Ber­lin vor­erst erhalten.

Dr. San­dra Ober­mey­er will aber nicht mit dem Fin­ger auf den Bund zei­gen, auch wenn es über­ra­schend sei, dass das Minis­te­ri­um die Zahl von 15 Jah­ren fest­ge­legt habe. Denn in der Sache sei die Auf­he­bung man­cher Gebie­te “ein berech­tig­tes Anlie­gen ange­sichts der Lauf­zeit” man­cher Gebie­te. Damit könn­te sie zum Bei­spiel auf das QM Sol­di­ner Kiez anspie­len, das zu den Grün­dungs­ge­bie­ten des Ver­fah­rens gehört. Im nächs­ten Jahr kann die­ses QM ein Vier­tel­jahr­hun­dert Bestehen feiern.

Folgen für die Anwohner

Schwer abzu­schät­zen ist, was die Men­schen im Wed­ding und Gesund­brun­nen spü­ren wer­den. Einer­seits flos­sen in den letz­ten Jahr­zehn­ten Mil­lio­nen Euro in die Gebie­te mit Quar­tiers­ma­nage­ment. Jähr­lich 28 Mil­lio­nen Euro nennt Dr. San­dra Ober­mey­er zur Ori­en­tie­rung. Inklu­si­ve der Bau­pro­jek­te sind es über die Jah­re gerech­net durch­schnitt­lich zwi­schen fünf­hun­dert­tau­send und einer Mil­li­on Euro jähr­lich pro Gebiet. Anwoh­ner bemer­ken vor allem die Bau­maß­nah­men wie zum Bei­spiel der Umbau des Spiel­plat­zes zwi­schen Kolo­nie- und Dront­hei­mer Stra­ße, die Sanie­rung der Kita Gott­sched­stra­ße oder der Neu­bau des Olof-Pal­me-Zen­trums. Es ist eine lan­ge Lis­te mit Bau­pro­jek­ten, die im Wed­ding und Gesund­brun­nen mit QM-Geld mög­lich wur­den. Ande­rer­seits lässt sich nicht bezif­fern, wie viel Bau­tä­tig­keit der Bezirk auch ohne QM durch das Ein­wer­ben ande­rer Finanz­mit­tel geschafft hät­te. Fakt ist, dass auch in Alt-Mit­te, wo kei­ne QMs ein­ge­rich­tet sind, Kitas gebaut und Spiel­plät­ze saniert werden.

Der Bau des Familienzentrums Wattstraße und viele der Angebote wurden mit Mitteln aus dem Programm "Soziale Stadt" ermöglicht. Foto: Hensel
Der Bau des Fami­li­en­zen­trums Watt­stra­ße und vie­le der Ange­bo­te wur­den mit Mit­teln aus dem Pro­gramm “Sozia­le Stadt” ermög­licht. Foto: Hensel

Sehen kön­nen Anwoh­ner auch eini­ge Pro­jek­te, bei denen kein Beton zum Ein­satz kommt. So ist für den Wed­ding mitt­ler­wei­le iden­ti­täts­stif­tend der Pan­ke Par­cours. Das Musik­pro­jekt wur­de in sei­nen Anfangs­jah­ren vom Quar­tiers­ma­nage­ment Sol­di­ner Kiez geför­dert. Spä­ter fan­den die Orga­ni­sa­to­ren ande­re För­der­töp­fe – wobei die Finan­zie­rung für die­ses Jahr noch nicht steht. Inno­va­tiv und mit über­re­gio­na­ler Wahr­neh­mung ist auch das Müll Muse­um Sol­di­ner Kiez, das aktu­ell vom QM finan­ziert wird. Auch die Kul­tur­rei­hen “unver­blümt” und “süß + sal­zig” wur­de von vie­len Men­schen wahr­ge­nom­men. Das QM Brun­nen­vier­tel hat über vie­le Jah­re hin­weg Grün­pro­jek­te geför­dert. Fun Fact: Der Gemein­schafts­gar­ten Mau­er­gar­ten erhielt hier Geburts­hil­fe, weil die west­li­che Hälf­te des Mau­er­parks damals noch for­mal zum Gesund­brun­nen gehörte.

Wel­che Fol­gen die Schlie­ßung eines QM für die Bewoh­ner eines Quar­tier hat, kön­nen am ehes­ten die Men­schen am Gar­ten­platz (QM Acker­stra­ße) und am Sparr­platz (QM Sparr­platz) beant­wor­ten. In die­sen Gebie­ten ende­te QM im Jahr 2020 bezie­hungs­wei­se 2016. 

Ist es ein Pro­blem, dass vie­le sozio­kul­tu­rel­le Pro­jek­te (die kei­ne Bau­vor­ha­ben sind), auf­grund der QM-Regeln befris­tet sind? Dr. San­dra Ober­mey­er sagt: “Quar­tiers­ma­nage­ment regt an, ist Ideen­ge­ber”. Ephra­im Gothe sagt: “Was wir brau­chen, sind dau­er­haf­te Struk­tu­ren”, da müss­ten Lokal­po­li­ti­ker aller Par­tei­en ihre Kon­tak­te nut­zen, um das “auf die Senats­ebe­ne zu tra­gen und in die lau­fen­den Koalitionsverhandlungen.”

Dein Quartier wählt! ... nicht mehr. Auch die Bürgerbeteiligung in den Quartiersräten endet. Foto: Hensel
Dein Quar­tier wählt! … nicht mehr. Auch die Bür­ger­be­tei­li­gung in den Quar­tiers­rä­ten endet mit dem Ende der QMs. Foto: Hensel

Suche nach Mittel der Wahl für guten Zweck 

Die grund­sätz­li­che Idee des 1999 gestar­te­ten Pro­gramms Quar­tiers­ma­nage­ment ist es, Kiezen mit schlech­ten Sozi­al­da­ten zu hel­fen. Stadt­tei­le, in denen Kin­der­ar­mut beson­ders hoch ist oder auf­fäl­lig vie­le Arbeits­lo­se woh­nen, sol­len eine zusätz­li­che Unter­stüt­zung erhal­ten. Ziel ist es, dass sol­che Quar­tie­re wie­der Tritt fas­sen und den Anschluss an den Ber­li­ner Durch­schnitt fin­den. “Kiez­küm­me­rer” fin­det Dr. San­dra Ober­mey­er des­halb als Eti­kett für QM treffend.

Wäh­rend der Sit­zung am Mitt­woch äußer­te Dr. San­dra Ober­mey­ers Zwei­fel, ob die­se gute Idee mit dem rich­ti­gen Mit­tel ver­folgt wird. “Wir müs­sen aber prü­fen, ob wir mit Quar­tiers­ma­nage­ment nicht ande­re Mit­tel ver­hin­dert haben.” Außer­dem ver­weist sie auf ein Pro­blem auf­grund von För­der­richt­li­ni­en, weil Ber­lin über das QM-Ver­fah­ren Gel­der der Städ­te­bau­för­de­rung abruft. Mit die­sem Hin­weis steht die Fra­ge im Raum, ob es grund­sätz­lich mög­lich ist, mit einem För­der­instru­ment, das auf Bau­maß­nah­men zielt, einem Sozi­al­raum ganz­heit­lich zu hel­fen. “Wir kön­nen nicht alles auf­fan­gen mit QM”, nicht alle Pro­ble­me lie­ßen sich mit QM lösen, sagt Dr. San­dra Obermeyer.

Bau­stadt­rat Ephra­im Gothe hebt die sozia­len Pro­ble­me in vie­len Kiezen her­vor. “Die aktu­el­len Quar­tiers­ma­nage­ment­ge­bie­te sind sinn­voll plat­ziert”, wenn sie sich nicht dort befän­den, wo sie ein­ge­rich­tet sind, “wo sonst?” Es müs­se auch für den Bund ein­leuch­tend sein, dass, wenn QM nicht mehr ver­wen­det wer­den kön­ne, es ande­re För­der­instru­men­te brau­che. “Ist es Bun­des­idee, dass es für die betrof­fe­nen Gebie­te kei­ne Nach­fol­ge gibt?” Sei­ne Fra­ge lässt sich zuspit­zen: Will die Bun­des­re­gie­rung die Schwa­chen hän­gen lassen?

Was ist überhaupt ein Quartiersmanagement?

Quar­tiers­ma­nage­ment war vor über 20 Jah­ren neu­ar­tig. In Deutsch­land ent­stand die Städ­te­bau­för­de­rung am 1. August 1971. Von Anfang an war es ein Gemein­schafts­pro­gramm von Bund und Län­dern. Zunächst gin­gen die Pro­gram­me die Sanie­rung von his­to­ri­schen Stadt­ker­nen an, die noch immer Welt­kriegs­schä­den auf­wie­sen. Spä­ter hie­ßen die Pro­gram­me “Stadt­um­bau” oder “städ­te­bau­li­che Erneue­rung”. Das Pro­gramm “Sozia­le Stadt” erfan­den Bund und Län­der im Jahr 1999. Das Ber­li­ner Quar­tiers­ma­nage­ment war von Anfang Teil des Pro­gramms “Sozia­le Stadt” (spä­ter Umbe­nen­nung in “Sozia­ler Zusam­men­halt”). Eine Beson­der­heit gegen­über aus­schließ­li­chen Bau­gel­dern ist, die “fort­lau­fen­de Betei­li­gung von Bür­ge­rin­nen und Bür­gern”. Betei­li­gung “nutzt loka­les Wis­sen, schafft Akzep­tanz und akti­viert die Nach­bar­schaft”. Und wei­ter: “Ziel des Pro­gramms ist es, ein neu­es Ver­ant­wor­tungs­be­wusst­sein für das Zusam­men­le­ben im Stadt­teil zu schaf­fen.” (Zita­te Web­sei­te www.quartiersmanagement-berlin.de) Wich­ti­ges Mit­tel, um die­se Zie­le zu errei­chen, sind Quar­tiers­rä­te und Akti­ons­fonds­ju­rys, die sich aus Bewoh­nern und ansäs­si­gen Ein­rich­tun­gen zusam­men­set­zen. Tätig wird QM bei fünf The­men: Inte­gra­ti­on und Nach­bar­schaft, Bil­dung, Öffent­li­cher Raum, Gesund­heit und Bewe­gung sowie Betei­li­gung und Vernetzung.

Trans­pa­renz­hin­weis: Autor And­rei Schnell hat meh­re­re Jah­re für das QM-Acker­stra­ße und das QM-Sol­di­ner-Kiez frei­be­ruf­lich als Web­re­dak­teur gear­bei­tet. Zusam­men mit Domi­ni­que Hen­sel und Sula­mith Sall­mann betreu­te er im Namen des Wed­ding­wei­sers bis Dezem­ber 2022 zwei Jah­re lang als Dienst­leis­ter die Web­sei­te des QM-Pank­stra­ße und des­sen Social-Media-Kanäle. 

Andrei Schnell

Meine Feinde besitzen ein Stück der Wahrheit, das mir fehlt.

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