Welcher Zeitraum ist gemeint, wenn von einer zeitlich begrenzten Unterstützung die Rede ist? Das Bundesbauministerium hat nun eine genaue Zahl festgelegt: 15 Jahre. Das ist die Spanne, in der der Bund bereit ist, Geld beizusteuern, wenn Berlin in einem Brennpunkt-Kiez ein Quartiersmanagement (QM) einrichtet. Die Bezirkspolitik vom Verordneten bis zum Stadtrat Ephraim Gothe (SPD) wurde von dieser Fristsetzung überrascht. Oder war das Aus für die Kiezkümmerer absehbar?
Eilig haben Bezirkspolitiker am Mittwoch (15.3.) eine Sondersitzung des Ausschusses “Soziale Stadt” einberufen. Es gab nur einen inhaltlichen Tagesordnungspunkt: „Beendigung der Quartiersmanagement-Gebiete in Mitte (alle außer eines)“. Von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung kamen Dr. Sandra Obermeyer und Alexandra Kast, um „Gerüchten entgegenzutreten“.
Überraschende oder lang bekannte Nachricht?
Zunächst sagte Mittes Baustadtrat Ephraim Gothe (SPD), er habe am 22. Februar eine SMS erhalten und die Nachricht vom Aus für viele Berliner Quartiersmanagements habe sich “per Mundpropaganda” herumgesprochen. Er sei “konsterniert”. Auch die ungewöhnlich vielen Gäste, die die Ausschuss-Sitzung beobachten wollten, konnten offenbar kaum glauben, dass quasi über Nacht das Ende vieler QMs beschlossen wurde.
Dr. Sandra Obermeyer von der Senatsverwaltung (übrigens von 2016 bis 2018 Jugendstadträtin in Mitte) hält dagegen: “Es wurde nichts hinter den Kulissen beschlossen”, es gebe keinen “Geheimvorgang”. Sie verweist auf eine Senatsvorlage aus dem Jahr 2020, die über den Rat der Bürgermeister auch den Bezirken zugeleitet worden sei. “Wir haben frühzeitig informiert, dass langlaufende QM zur Verstetigung anstehen”. Den Begriff “verstetigen” wissen Eingeweihte mit “beenden” zu übersetzen. 19 der derzeit 32 aktiven Gebiete in Berlin sollen auslaufen. Termin ist der 31. Dezember 2025. Das heißt, ab dem Jahr 2026 fließen keine neuen Gelder mehr, bestehende Projekte enden nach und nach. Im Wedding und in Gesundbrunnen stehen von vier QM-Gebieten drei (Brunnenstraße, Pankstraße, Soldiner Kiez) vor der Auflösung. Und der im Bezirk Reinickendorf an den Wedding grenzende Lettekiez soll ebenfalls enden. Lediglich das QM Badstraße will Berlin vorerst erhalten.
Dr. Sandra Obermeyer will aber nicht mit dem Finger auf den Bund zeigen, auch wenn es überraschend sei, dass das Ministerium die Zahl von 15 Jahren festgelegt habe. Denn in der Sache sei die Aufhebung mancher Gebiete “ein berechtigtes Anliegen angesichts der Laufzeit” mancher Gebiete. Damit könnte sie zum Beispiel auf das QM Soldiner Kiez anspielen, das zu den Gründungsgebieten des Verfahrens gehört. Im nächsten Jahr kann dieses QM ein Vierteljahrhundert Bestehen feiern.
Folgen für die Anwohner
Schwer abzuschätzen ist, was die Menschen im Wedding und Gesundbrunnen spüren werden. Einerseits flossen in den letzten Jahrzehnten Millionen Euro in die Gebiete mit Quartiersmanagement. Jährlich 28 Millionen Euro nennt Dr. Sandra Obermeyer zur Orientierung. Inklusive der Bauprojekte sind es über die Jahre gerechnet durchschnittlich zwischen fünfhunderttausend und einer Million Euro jährlich pro Gebiet. Anwohner bemerken vor allem die Baumaßnahmen wie zum Beispiel der Umbau des Spielplatzes zwischen Kolonie- und Drontheimer Straße, die Sanierung der Kita Gottschedstraße oder der Neubau des Olof-Palme-Zentrums. Es ist eine lange Liste mit Bauprojekten, die im Wedding und Gesundbrunnen mit QM-Geld möglich wurden. Andererseits lässt sich nicht beziffern, wie viel Bautätigkeit der Bezirk auch ohne QM durch das Einwerben anderer Finanzmittel geschafft hätte. Fakt ist, dass auch in Alt-Mitte, wo keine QMs eingerichtet sind, Kitas gebaut und Spielplätze saniert werden.
Sehen können Anwohner auch einige Projekte, bei denen kein Beton zum Einsatz kommt. So ist für den Wedding mittlerweile identitätsstiftend der Panke Parcours. Das Musikprojekt wurde in seinen Anfangsjahren vom Quartiersmanagement Soldiner Kiez gefördert. Später fanden die Organisatoren andere Fördertöpfe – wobei die Finanzierung für dieses Jahr noch nicht steht. Innovativ und mit überregionaler Wahrnehmung ist auch das Müll Museum Soldiner Kiez, das aktuell vom QM finanziert wird. Auch die Kulturreihen “unverblümt” und “süß + salzig” wurde von vielen Menschen wahrgenommen. Das QM Brunnenviertel hat über viele Jahre hinweg Grünprojekte gefördert. Fun Fact: Der Gemeinschaftsgarten Mauergarten erhielt hier Geburtshilfe, weil die westliche Hälfte des Mauerparks damals noch formal zum Gesundbrunnen gehörte.
Welche Folgen die Schließung eines QM für die Bewohner eines Quartier hat, können am ehesten die Menschen am Gartenplatz (QM Ackerstraße) und am Sparrplatz (QM Sparrplatz) beantworten. In diesen Gebieten endete QM im Jahr 2020 beziehungsweise 2016.
Ist es ein Problem, dass viele soziokulturelle Projekte (die keine Bauvorhaben sind), aufgrund der QM-Regeln befristet sind? Dr. Sandra Obermeyer sagt: “Quartiersmanagement regt an, ist Ideengeber”. Ephraim Gothe sagt: “Was wir brauchen, sind dauerhafte Strukturen”, da müssten Lokalpolitiker aller Parteien ihre Kontakte nutzen, um das “auf die Senatsebene zu tragen und in die laufenden Koalitionsverhandlungen.”
Suche nach Mittel der Wahl für guten Zweck
Die grundsätzliche Idee des 1999 gestarteten Programms Quartiersmanagement ist es, Kiezen mit schlechten Sozialdaten zu helfen. Stadtteile, in denen Kinderarmut besonders hoch ist oder auffällig viele Arbeitslose wohnen, sollen eine zusätzliche Unterstützung erhalten. Ziel ist es, dass solche Quartiere wieder Tritt fassen und den Anschluss an den Berliner Durchschnitt finden. “Kiezkümmerer” findet Dr. Sandra Obermeyer deshalb als Etikett für QM treffend.
Während der Sitzung am Mittwoch äußerte Dr. Sandra Obermeyers Zweifel, ob diese gute Idee mit dem richtigen Mittel verfolgt wird. “Wir müssen aber prüfen, ob wir mit Quartiersmanagement nicht andere Mittel verhindert haben.” Außerdem verweist sie auf ein Problem aufgrund von Förderrichtlinien, weil Berlin über das QM-Verfahren Gelder der Städtebauförderung abruft. Mit diesem Hinweis steht die Frage im Raum, ob es grundsätzlich möglich ist, mit einem Förderinstrument, das auf Baumaßnahmen zielt, einem Sozialraum ganzheitlich zu helfen. “Wir können nicht alles auffangen mit QM”, nicht alle Probleme ließen sich mit QM lösen, sagt Dr. Sandra Obermeyer.
Baustadtrat Ephraim Gothe hebt die sozialen Probleme in vielen Kiezen hervor. “Die aktuellen Quartiersmanagementgebiete sind sinnvoll platziert”, wenn sie sich nicht dort befänden, wo sie eingerichtet sind, “wo sonst?” Es müsse auch für den Bund einleuchtend sein, dass, wenn QM nicht mehr verwendet werden könne, es andere Förderinstrumente brauche. “Ist es Bundesidee, dass es für die betroffenen Gebiete keine Nachfolge gibt?” Seine Frage lässt sich zuspitzen: Will die Bundesregierung die Schwachen hängen lassen?
Was ist überhaupt ein Quartiersmanagement?
Quartiersmanagement war vor über 20 Jahren neuartig. In Deutschland entstand die Städtebauförderung am 1. August 1971. Von Anfang an war es ein Gemeinschaftsprogramm von Bund und Ländern. Zunächst gingen die Programme die Sanierung von historischen Stadtkernen an, die noch immer Weltkriegsschäden aufwiesen. Später hießen die Programme “Stadtumbau” oder “städtebauliche Erneuerung”. Das Programm “Soziale Stadt” erfanden Bund und Länder im Jahr 1999. Das Berliner Quartiersmanagement war von Anfang Teil des Programms “Soziale Stadt” (später Umbenennung in “Sozialer Zusammenhalt”). Eine Besonderheit gegenüber ausschließlichen Baugeldern ist, die “fortlaufende Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern”. Beteiligung “nutzt lokales Wissen, schafft Akzeptanz und aktiviert die Nachbarschaft”. Und weiter: “Ziel des Programms ist es, ein neues Verantwortungsbewusstsein für das Zusammenleben im Stadtteil zu schaffen.” (Zitate Webseite www.quartiersmanagement-berlin.de) Wichtiges Mittel, um diese Ziele zu erreichen, sind Quartiersräte und Aktionsfondsjurys, die sich aus Bewohnern und ansässigen Einrichtungen zusammensetzen. Tätig wird QM bei fünf Themen: Integration und Nachbarschaft, Bildung, Öffentlicher Raum, Gesundheit und Bewegung sowie Beteiligung und Vernetzung.
Transparenzhinweis: Autor Andrei Schnell hat mehrere Jahre für das QM-Ackerstraße und das QM-Soldiner-Kiez freiberuflich als Webredakteur gearbeitet. Zusammen mit Dominique Hensel und Sulamith Sallmann betreute er im Namen des Weddingweisers bis Dezember 2022 zwei Jahre lang als Dienstleister die Webseite des QM-Pankstraße und dessen Social-Media-Kanäle.
Danke für den guten Artikel!!