Das Wort Kiez ist vermutlich slawischen Ursprungs und wird vor allem in Berlin positiv gebraucht. Ein Kiez ist eine überschaubare Insel im Ozean der Millionenstadt. Die Menschen, die dort mit einem zusammenleben, sind idealerweise gute Nachbarn. Das traditionsreiche Paul Gerhardt Stift hat schon vor einiger Zeit einen Prozess angestoßen, um sich seinen Nachbarn – im Planerdeutsch heißt dieses Umfeld „Parkviertel“ – zu öffnen. Vorläufiger Abschluss dieses Prozesses ist die Eröffnung des Stadtteilzentrums am 30. November. Wir haben uns mit Stefan Kurzke-Maasmeier vom Paul Gerhardt Stift darüber unterhalten, was diese neue Zentrum für den Kiez bedeutet.
Was genau ist ein Stadtteilzentrum?
Unter dem Dach des „Zukunftshaus Wedding“ im Paul Gerhardt Stift versammeln sich unterschiedliche Projekte und Arbeitsbereiche. Neben dem Familienzentrum, dem Refugium für Flüchtlinge, der für Sommer 2014 geplanten Kita, ist dies v.a. die Entwicklung eines neuen Stadtteilzentrums (STZ), das am 30. November seine Pforten öffnet.
Das STZ wird aus zwei Säulen bestehen. Zum einen zieht das Familienzentrum mit seinen vielfältigen Angeboten in das neue Haus ein und wird sein Programm bedarfsgerecht weiterentwickeln. Ab 2014 kommen neue Formate für Senioren oder Jugendliche sowie Beratungsangebote für Menschen mit Schulden hinzu. Zudem wird die Vernetzung mit anderen Institutionen im Stadtteil intensiviert. So wurden in den letzten Monaten einige Kooperationsvereinbarungen getroffen oder werden derzeit vorbereitet. Zum anderen soll das STZ mit seinem „Café Klosterhof“, das u.a. von der Schülerfirma „Lecker Schmecker Bäcker“ der ISS Schule am Schillerpark betrieben wird, zu einem Treffpunkt werden. Ob es weitere Angebote, z.B. eine Suppenküche, geben kann, wird noch geprüft. Mit seinen Seminarräumen bietet das STZ für Gruppen und Initiativen aus dem Stadtteil einen Ort der Begegnung. Das Paul Gerhardt Stift möchte mit dem STZ einen sichtbaren Beitrag zur sozialen und kulturellen Förderung des Stadtteils leisten und den Grundstein für einen Knotenpunkt nachbarschaftlichen Engagements legen.
Inwiefern ändert sich am Auftrag des Paul Gerhardt Stifts etwas?
Der Auftrag ändert sich eigentlich nicht, denn mit dem STZ knüpft das Stift an seinen Gründungsaufruf von 1876 an, in dem es heißt, dass unsere Arbeit „allen zu dienen [hat], soweit Kraft und Vermögen reicht, und will keinen ausschließen, er sei, wer er sei, und heiße, wie er wolle.“ Unsere Vorstellung ist, dass sich im STZ, das der zentralen Baustein des Zukunftshauses Wedding werden soll, unterschiedliche Generationen und Gruppen unter einem Dach treffen können. Es ist offen für Frauen, Männer, Kinder, Familien, Jugendliche und Senioren, Menschen mit Behinderungen, hilfe- und ratsuchende Menschen aller Nationalitäten und Glaubensgemeinschaften. Dass wir in den Häusern und Einrichtungen der Kirche Vielfalt und Inklusion lebensnotwendig brauchen und schützen müssen, ist keine neue Erfindung, sondern der Grund, auf dem wir stehen. Theologisch ist der christliche Glauben stark von Paulus beeinflusst, der, theologisch gesprochen, einen „Geist Gottes“ verkündet, der die Mauern zwischen den Menschen niederreißt und über die Grenzen von Kulturen und Religionen hinaus wirkt. Unser Auftrag ist deshalb selbstverständlich grundsätzlich an die prophetischen Wurzeln der Kirche, an die Bibel zurückgebunden. Die darin formulierte „Option für die Armen“, für die an den Rand Gedrängten und Vernachlässigten weitet den Blick hin zu jenen Menschen im Stadtteil, die in besonderer Weise auf Unterstützung und Hilfe angewiesen sind. Wichtig aber ist: das STZ und damit das ganze PGS ist zwar ein Haus in christlicher Tradition, jedoch für alle! Dietrich Bonhoeffer hat gesagt, dass Kirche nur dann Kirche sein kann, wenn sie für andere da ist, und zwar helfend und dienend, nicht herrschend oder missionierend. Das ist unser bleibender Auftrag.
Wie wurde das Stift umgebaut?
Durch den Umbau konnten wir neue Räumlichkeiten für das STZ schaffen und gleichzeitig unser altes Mutterhaus barrierefrei umbauen, in dem wir nun einen neuen Fahrstuhl nutzen können, der alle vier Geschosse miteinander verbindet. Die Außenanlage ist zu einem Forum, einem Hof der Begegnung umgestaltet, eine neue große Küche ist entstanden, der Festsaal wurde für Veranstaltungen hergerichtet und vieles andere mehr. Die Bauarbeiten haben etwa 1,4 Millionen Euro gekostet und über ein Jahr gedauert. Ohne die großzügige Förderung der Stiftung Deutsche Klassenlotterie sowie der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt hätten wir dieses Projekt nicht bewerkstelligen können. Das Stift selbst hat aus Eigenmittel etwa 250.000 Euro hinzugegeben. Aber wir sind sicher, dass wir durch diese Investition gute Angebote für den Stadtteil schaffen werden, das Geld ist also vernünftig angelegt.
Sind neue Mitarbeiter hinzugekommen?
Im Familienzentrum konnten wir durch Mittel der EU in diesem Jahr eine neue Stelle für das Bildungsprojekt „Die Fabel“ akquirieren, in dem es um Bildungspatenschaften und Familienarbeit im Stadtteil geht. Der neue Kollege ist wie einen andere Mitarbeiterin im Familienzentrum auch türkischsprachig und deshalb für uns eine wichtige Brücke in die Community vor Ort. Aber wir werden noch mehr Personal benötigen, um das STZ mit Leben zu füllen. Derzeit versuchen wir Gelde des Landes für eine Strukturförderung zu erhalten, damit wir noch eine weitere Stelle für Soziale Arbeit realisieren können. Gleichzeitig wären wir ohne die Hilfe unserer Mitarbeiter, die über das Job-Center finanziert werden, und v.a. unsere Ehrenamtlichen natürlich nicht wirklich gut vorbereitet. Im neuen Jahr kommen noch drei Stadtteilmütter dazu, die in der aufsuchenden Familienarbeit eingesetzt werden. Wer sich bei uns engagieren möchte, ist dazu herzlich eingeladen.
Worauf können sich Anwohner freuen?
Die Anwohner können sich neben den beliebten Kursen und Angeboten des Familienzentrums darauf freuen, dass sie mithelfen können, das Haus auch zu ihrem Haus zu machen. Langfristig sollen hier lokale Entwicklungspartnerschaften zwischen Stift, Zivilgesellschaft, Kommune und anderen örtlichen Akteuren (Schüler- und Bürgerinitiativen, Wirtschaft etc.) entstehen. Zudem soll ein Konzept zur nachbarschaftlichen Unterstützung (Besuchsdienst) für Personen entstehen, die aus gesundheitlichen und/oder altersbedingten Gründen nicht selbstständig an den Angeboten eines STZ vor Ort teilnehmen können. Bürgerinnen und Bürger aus der Nachbarschaft sollen die Möglichkeit erhalten, ihre Fähigkeiten und Aktivitäten für andere zu entfalten, ihre Eigenverantwortung zu stärken, neue freundschaftliche Verbindungen aufzubauen und neue Perspektiven zu entwickeln. Wir freuen uns auf den Stadtteil und die Bewohner der Bezirksregion Parkviertel und natürlich auch auf alle anderen.
Eröffnung STZ am 30. November
Um 14 Uhr wird im Beisein des Bezirksbürgermeisters Dr. Christian Hanke “das rote Band” durchgeschnitten. Am Nachmittag stellen sich die Arbeitsbereiche des Stifts vor. Um 17 Uhr gibt es einen Empfang; Tanz mit der renommierten Formation “Trio Scho”. Der Eintritt ist frei, um Spenden wird gebeten.
Website des Paul-Gerhardt-Stifts
Müllerstraße 56–58 nahe Barfusstraße
13349 Berlin
[email protected]
Tel.: (030) 450 05–0
Fax: (030) 450 05–100
[…] Informationsveranstaltung im Stadtteil- und Familienzentrum richtet sich hauptsächlich an diejenigen Eltern, deren Schulkinder nächstes Jahr die sechs Jahre […]
[…] Paul-Gerhardt-Stift […]
[…] Im Landesprogramm „Berliner Familienzentren“ wurden bis Ende 2013 insgesamt 24 Familienzentren gefördert. In diesem und im kommenden Jahr sollen sieben weitere Orte für Familien entstehen. In Mitte gibt es jetzt drei Familienzentren, die über das Programm gefördert werden: auf der Fischerinsel, in der Rathenower Straße in Moabit und nun auch in der Osloer Straße im Soldiner Kiez. Darüber hinaus gibt es weitere Familienzentren, die sich anders finanzieren, beispielsweise in der Wattstraße im Brunnenviertel und am Nauener Platz. Außerdem gibt es für den nordwestlichen Wedding das Stadtteilzentrum im Paul-Gerhardt-Stift. […]