Mastodon

Beim Wahlergebnis denke ich…

12. Oktober 2021

Vor zwei Wochen haben wir unse­re Kreu­ze gemacht. Wäh­rend im Bund und in Ber­lin flei­ßig vor‑, nach- und zwi­schen­son­diert wird, Men­schen auf Man­da­te ver­zich­ten, ande­re nach­zäh­len las­sen, um ihres viel­leicht doch behal­ten zu kön­nen, müs­sen wir uns sam­meln. Es geht uns wie unse­ren Leser:innen: das Wahl­er­geb­nis muss vom Ohr über den Bauch zum Hirn und lang­sam etwas sacken. Wie fin­den wir das nun, das Ergeb­nis? Sind wir zufrie­den, über­rascht, sau­er oder ent­täuscht? Was uns zur Wahl – vor allem im Bezirk – durch Kopf geht, haben wir hier notiert. Sechs Stim­men aus der Wed­ding­wei­ser-Redak­ti­on nach der Wahl.

Wandbild in der North Side Gallery im Park am Nordbahnhof
Wand­bild in der North Side Gal­lery im Park am Nord­bahn­hof. Foto: Hensel

Dominique Hensel

Über­rascht hat mich das Ergeb­nis der Bezirks­wahl nicht. Ich wäre sogar irri­tiert gewe­sen, wäre es nicht so gekom­men. Es liegt an mei­nem Beruf als Lokal­jour­na­lis­tin, dass ich viel rum­kom­me im Wed­ding und mit den ver­schie­dens­ten Per­so­nen­grup­pen spre­che. Dabei fällt mir seit zwei, drei Jah­ren auf, dass sich ein Wan­del voll­zo­gen hat. Wo ich im Wed­ding hin­kom­me, sind plötz­lich jun­ge Men­schen, die Din­ge selbst in die Hand neh­men und für die der Kli­ma­wan­del und die Ver­kehrs­wen­de die wich­tigs­ten The­men sind. Sie räu­men frei­tags Müll von den Stra­ße – im Namen des Kli­mas und nicht allein der Sau­ber­keit wegen. Sie bau­en Hoch­bee­te bei Sport­ver­ei­nen, sie gehen in die Quar­tiers­rä­te, enga­gie­ren sich für Park­letts, für Kiez­blocks, grün­den Initia­ti­ven für nach­hal­ti­gen Wan­del und kämp­fen für die Wie­der­be­le­bung des Park­ca­fés Reh­ber­ge. Der Geist von Fri­days for Future ist im Wed­ding ange­kom­men. Auch auf den Wahl­pla­ka­ten konn­te man das sehen: Jun­ge Erwach­se­ne wol­len etwas bewe­gen, drän­gen auch in die Poli­tik und kan­di­die­ren für die ver­schie­dens­ten Par­tei­en. Ich freue mich, dass die­se nächs­te Gene­ra­ti­on jetzt die Gele­gen­heit dazu bekommt.

Andrei Schnell

Im Bezirks­par­la­ment haben die Grü­nen 18 Sit­ze gewon­nen und benen­nen des­halb drei Stadt­rä­te. In Rei­ni­cken­dorf ist es die CDU, die 18 Sit­ze gewann und drei Stadt­rä­te hat. Da bleib ich kühl, kein Gefühl. Ein Auf­re­ger ist für mich das hier: Nie­mand dis­ku­tiert über den Zukunfts­pakt Ver­wal­tung. Er sorgt dafür, dass bei der Wahl erst­mals die Zahl len­ken­den Stadt­rä­te von fünf auf sechs steigt. Das ist toll. Unbe­merkt blieb aber, dass die Bezir­ke (wie­der ein­mal) ent­mach­tet wur­den. Denn der Zukunfts­pakt sagt nicht etwa: Vor­ort­ent­schei­dun­gen sind das Herz der Demo­kra­tie. Nein, mehr zen­tra­les Durch­re­gie­ren ist das Ziel. “Gesamt­städ­ti­sches Geschäfts­pro­zess­ma­nage­ment”. Ein Unwort als Zau­ber­wort? Lie­be Leu­te, regt euch auf! Über eine Poli­tik, die Bezirks­wah­len zu Sym­bol­wah­len her­ab­stu­fen möchte.

Aufkleber von Fridays for Future
Auf­kle­ber von Fri­days for Future. Foto: Hensel

Joachim Faust

Wenn man sich mit der Ber­li­ner Ver­wal­tung und der Bezirks­po­li­tik beschäf­tigt, ist man schnell ver­wirrt. Die Bezir­ke mit etwa 300.000 Ein­woh­nern ent­spre­chen zwar mit­tel­gro­ßen Groß­städ­ten wie Mann­heim oder Bie­le­feld, haben aber kei­ne eige­ne Rechts­per­sön­lich­keit und sind ziem­lich zahn­lo­se Tiger. Sie kön­nen nur die vom Senat zuge­wie­se­nen Haus­halts­mit­tel auf die ver­schie­de­nen Res­sorts ver­tei­len. Der Senat kann laut Arti­kel 67 der Ver­fas­sung jeder­zeit in Pla­nun­gen ein­grei­fen und den Bezirk ent­mach­ten. An ande­ren Stel­len ist hin­ge­gen oft unklar, wer in der zwei­stu­fi­gen Ver­wal­tung Ber­lins wofür zustän­dig ist. Die Grö­ße der mit der Brech­stan­ge zusam­men­ge­schus­ter­ten Fusi­ons­be­zir­ke bringt zusätz­lich eine gro­ße Bür­ger­fer­ne mit sich – was haben die migran­tisch gepräg­ten Wed­din­ger Kieze mit dem tou­ris­ti­schen Gen­dar­men­markt oder der Karl-Marx-Allee zu tun? Das alles kann schnell frus­trie­ren. Trotz­dem: Das ehren­amt­li­che Enga­ge­ment der Bezirks­ver­ord­ne­ten und auch die Arbeit man­cher Bezirksstadträt:innen nöti­gen mir Respekt ab, und ich ver­su­che, mit mei­ner Stim­me auch die Zusam­men­set­zung des Bezirks­par­la­ments zu beein­flus­sen. Gera­de weil ich mich in die­sem Jahr beson­ders geär­gert habe und das bei der Bezirks­wahl zum Aus­druck brin­gen wollte.

Oliwia Nowakowska

Vie­le mei­ner Freun­de und Bekann­ten leben im Wed­ding, die meis­ten von ihnen sind Stu­die­ren­de. Vor den Wah­len haben wir uns viel über die Par­tei­en und ihre Vor­ha­ben unter­hal­ten, dabei zeich­ne­te sich ein Bild ab, das schein­bar reprä­sen­ta­tiv für den Wed­ding ist: Ver­kehrs­wen­de, Sicher­heit im Kiez und bezahl­ba­res Woh­nen waren beson­ders wich­ti­ge The­men. Des­halb hat mich das Wahl­er­geb­nis auch nicht über­rascht. Da ich als ehe­ma­li­ge Kiez­re­por­te­rin des Sol­di­ner Kiez die ange­spann­te Wohn­si­tua­ti­on mit­er­lebt habe über­rascht mich auch die hohe Zustim­mung der Bewoh­ner und Bewoh­ne­rin­nen, Woh­nun­gen von Inves­to­ren­be­sitz in kom­mu­na­len Besitz zu über­füh­ren nicht. Ins­ge­samt freue ih mich sehr, dass jun­ge Men­schen und ihre The­men sich auch im Wed­ding durch­setz­ten – der Wan­del ist zu spüren! 

Andaras Hahn

Vom End­ergeb­nis ver­lief die Wahl für mich fast wie erwar­tet. Auch wenn ich nicht damit gerech­net hät­te, dass die Grü­nen im Wed­ding ver­lie­ren, die Lin­ke dafür dazu­ge­winnt. Die Wäh­le­rin­nen haben schein­bar doch zwi­schen Bun­des­tags­trend und Bezirk in Ihren Ent­schei­dun­gen auf­merk­sam abgewogen.

Über­rascht hat mich aber die­ser „Bock“, den man am Wahl­sonn­tag spür­te und auch in den Tagen zuvor. Die Men­schen woll­ten mit ihrem Kreuz etwas zum Aus­druck brin­gen und das lag in der Luft. Mei­ner Mei­nung nach ist schon seit Jah­ren eine gewis­se Geil­heit auf Ver­än­de­rung und Teil­nah­me ent­stan­den. Das sieht man am Volks­ent­scheid, an der Stadt­teil­ver­tre­tung und ande­ren Kiez­in­itia­ti­ven und am Ende auch von Fri­days for Future und Co. Und war­um? Weil Leu­te mit­ge­stal­ten wol­len, ver­än­dern wol­len, aber vor allem: Weil ein­fach alles zu lan­ge dau­ert. Es kann nicht sein, dass Fahr­rad­we­ge im Wed­ding ver­spro­chen wer­den, aber die­se Ver­spre­chen immer aufs Neue gebro­chen wer­den, dann lasst es halt. Kom­mu­ni­ziert ehr­lich – dann wären die Wäh­le­rIn­nen auch bereit Feh­ler oder ver­fehl­te Zie­le zu ver­zei­hen und vor allem zu ver­ste­hen. Aber so wird das alles nichts. Die­se natür­li­che Ver­lang­sa­mung von Abläu­fen mag schon immer so gewe­sen sein, (Ver­wal­tung etc.) ihr steht aber eine moti­vier­te Zivil­ge­sell­schaft gegen­über, die das nicht mehr ver­ste­hen will, nur weil es nun schon immer so ist.

So ist es gut, dass vie­le der Polit­ke­rIn­nen die­ses Jahr jün­ger sind und moti­viert wir­ken. Und man kann nur hof­fen, dass sie die gesam­ten 5 Jah­re mit die­sem Elan sich für Ihre Stadt/Bezirk/Kiez/Straße ein­set­zen. Es wird Zeit, dass die mehr Ein­fluss bekom­men, die geil auf Poli­tik sind und nicht die, die geil auf Pos­ten sind.

PS: Außer­dem plä­die­re ich immer noch für eine:n Wedding-Bürgermeister:in. Mit­te mit Wed­ding + Moa­bit ist dann viel­leicht doch eine zu gro­ße Aufgabe.

Eileen Scheier

Als Stadt­teil­ko­or­di­na­to­rin für den Kiez Wed­ding haben mich die im Vor­feld durch­ge­führ­ten Auf­klä­rungs-Kam­pa­gnen der loka­len Akteu­rIn­nen oder Initia­ti­ven beein­druckt und auch nach­hal­tig akti­viert. Kiez­talks, Gesprächs­run­den oder Spa­zier­gän­ge durch die Pla­kat­land­schaft im Kiez waren inhalt­lich gut gefüll­te Aus­tausch­run­den für die Anwoh­ner­schaft. Es war schön zu sehen wie gut die Kan­di­da­ten­be­fra­gung von der Stadt­teil­ver­tre­tung Mensch.Müller auf dem Leo­pold­platz besucht und genutzt wur­de. Span­nend und sport­lich waren die von den Quar­tier­ma­nage­ments durch­ge­führ­ten Stra­ßen-Wahl­pla­kat-Füh­run­gen, die sich die Kan­di­da­ten im Wahl­kreis näher ange­schaut haben. Auch der hart­nä­cki­ge Ein­satz ehren­amt­li­cher Initia­ti­ven die Wahl für den Volk­ent­scheid vor­an­zu­trei­ben war ein kräf­ti­ges Zei­chen für Mit­be­stim­mung wie wir im Kiez leben wol­len. Unter dem Hash­tack „Der Wed­ding räumt auf“ lässt sich nicht nur eine akti­ve Cle­a­nUp Grup­pe im Wed­ding auf­spü­ren, son­dern dar­un­ter ver­ste­he ich den Auf­ruf von Kie­z­an­woh­ne­rIn­nen sich zu betei­li­gen. Ver­ant­wor­tungs­voll dem Kli­ma und dem Kiez gegenüber.

Statement an einem Altglascontainer am Vinetaplatz
State­ment an einem Alt­glas­con­tai­ner am Vin­eta­platz. Foto: Hensel

Dominique Hensel

Dominique Hensel lebt und schreibt im Wedding. Jeden zweiten Sonntag gibt sie hier den Newsüberblick für den Stadtteil. Die gelernte Journalistin schreibt für den Blog gern aktuelle Texte - am liebsten zu den Themen Stadtgärten, Kultur, Nachbarschaft und Soziales. Hyperlokal hat Dominique es auf jeden Fall am liebsten und beim Weddingweiser ist sie fast schon immer.

Schreibe einen Kommentar

Your email address will not be published.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

MastodonWeddingweiser auf Mastodon
@[email protected]

Wedding, der Newsletter. 1 x pro Woche



Unterstützen

nachoben

Auch interessant?