Vor zwei Wochen haben wir unsere Kreuze gemacht. Während im Bund und in Berlin fleißig vor‑, nach- und zwischensondiert wird, Menschen auf Mandate verzichten, andere nachzählen lassen, um ihres vielleicht doch behalten zu können, müssen wir uns sammeln. Es geht uns wie unseren Leser:innen: das Wahlergebnis muss vom Ohr über den Bauch zum Hirn und langsam etwas sacken. Wie finden wir das nun, das Ergebnis? Sind wir zufrieden, überrascht, sauer oder enttäuscht? Was uns zur Wahl – vor allem im Bezirk – durch Kopf geht, haben wir hier notiert. Sechs Stimmen aus der Weddingweiser-Redaktion nach der Wahl.
Dominique Hensel
Überrascht hat mich das Ergebnis der Bezirkswahl nicht. Ich wäre sogar irritiert gewesen, wäre es nicht so gekommen. Es liegt an meinem Beruf als Lokaljournalistin, dass ich viel rumkomme im Wedding und mit den verschiedensten Personengruppen spreche. Dabei fällt mir seit zwei, drei Jahren auf, dass sich ein Wandel vollzogen hat. Wo ich im Wedding hinkomme, sind plötzlich junge Menschen, die Dinge selbst in die Hand nehmen und für die der Klimawandel und die Verkehrswende die wichtigsten Themen sind. Sie räumen freitags Müll von den Straße – im Namen des Klimas und nicht allein der Sauberkeit wegen. Sie bauen Hochbeete bei Sportvereinen, sie gehen in die Quartiersräte, engagieren sich für Parkletts, für Kiezblocks, gründen Initiativen für nachhaltigen Wandel und kämpfen für die Wiederbelebung des Parkcafés Rehberge. Der Geist von Fridays for Future ist im Wedding angekommen. Auch auf den Wahlplakaten konnte man das sehen: Junge Erwachsene wollen etwas bewegen, drängen auch in die Politik und kandidieren für die verschiedensten Parteien. Ich freue mich, dass diese nächste Generation jetzt die Gelegenheit dazu bekommt.
Andrei Schnell
Im Bezirksparlament haben die Grünen 18 Sitze gewonnen und benennen deshalb drei Stadträte. In Reinickendorf ist es die CDU, die 18 Sitze gewann und drei Stadträte hat. Da bleib ich kühl, kein Gefühl. Ein Aufreger ist für mich das hier: Niemand diskutiert über den Zukunftspakt Verwaltung. Er sorgt dafür, dass bei der Wahl erstmals die Zahl lenkenden Stadträte von fünf auf sechs steigt. Das ist toll. Unbemerkt blieb aber, dass die Bezirke (wieder einmal) entmachtet wurden. Denn der Zukunftspakt sagt nicht etwa: Vorortentscheidungen sind das Herz der Demokratie. Nein, mehr zentrales Durchregieren ist das Ziel. “Gesamtstädtisches Geschäftsprozessmanagement”. Ein Unwort als Zauberwort? Liebe Leute, regt euch auf! Über eine Politik, die Bezirkswahlen zu Symbolwahlen herabstufen möchte.
Joachim Faust
Wenn man sich mit der Berliner Verwaltung und der Bezirkspolitik beschäftigt, ist man schnell verwirrt. Die Bezirke mit etwa 300.000 Einwohnern entsprechen zwar mittelgroßen Großstädten wie Mannheim oder Bielefeld, haben aber keine eigene Rechtspersönlichkeit und sind ziemlich zahnlose Tiger. Sie können nur die vom Senat zugewiesenen Haushaltsmittel auf die verschiedenen Ressorts verteilen. Der Senat kann laut Artikel 67 der Verfassung jederzeit in Planungen eingreifen und den Bezirk entmachten. An anderen Stellen ist hingegen oft unklar, wer in der zweistufigen Verwaltung Berlins wofür zuständig ist. Die Größe der mit der Brechstange zusammengeschusterten Fusionsbezirke bringt zusätzlich eine große Bürgerferne mit sich – was haben die migrantisch geprägten Weddinger Kieze mit dem touristischen Gendarmenmarkt oder der Karl-Marx-Allee zu tun? Das alles kann schnell frustrieren. Trotzdem: Das ehrenamtliche Engagement der Bezirksverordneten und auch die Arbeit mancher Bezirksstadträt:innen nötigen mir Respekt ab, und ich versuche, mit meiner Stimme auch die Zusammensetzung des Bezirksparlaments zu beeinflussen. Gerade weil ich mich in diesem Jahr besonders geärgert habe und das bei der Bezirkswahl zum Ausdruck bringen wollte.
Oliwia Nowakowska
Viele meiner Freunde und Bekannten leben im Wedding, die meisten von ihnen sind Studierende. Vor den Wahlen haben wir uns viel über die Parteien und ihre Vorhaben unterhalten, dabei zeichnete sich ein Bild ab, das scheinbar repräsentativ für den Wedding ist: Verkehrswende, Sicherheit im Kiez und bezahlbares Wohnen waren besonders wichtige Themen. Deshalb hat mich das Wahlergebnis auch nicht überrascht. Da ich als ehemalige Kiezreporterin des Soldiner Kiez die angespannte Wohnsituation miterlebt habe überrascht mich auch die hohe Zustimmung der Bewohner und Bewohnerinnen, Wohnungen von Investorenbesitz in kommunalen Besitz zu überführen nicht. Insgesamt freue ih mich sehr, dass junge Menschen und ihre Themen sich auch im Wedding durchsetzten – der Wandel ist zu spüren!
Andaras Hahn
Vom Endergebnis verlief die Wahl für mich fast wie erwartet. Auch wenn ich nicht damit gerechnet hätte, dass die Grünen im Wedding verlieren, die Linke dafür dazugewinnt. Die Wählerinnen haben scheinbar doch zwischen Bundestagstrend und Bezirk in Ihren Entscheidungen aufmerksam abgewogen.
Überrascht hat mich aber dieser „Bock“, den man am Wahlsonntag spürte und auch in den Tagen zuvor. Die Menschen wollten mit ihrem Kreuz etwas zum Ausdruck bringen und das lag in der Luft. Meiner Meinung nach ist schon seit Jahren eine gewisse Geilheit auf Veränderung und Teilnahme entstanden. Das sieht man am Volksentscheid, an der Stadtteilvertretung und anderen Kiezinitiativen und am Ende auch von Fridays for Future und Co. Und warum? Weil Leute mitgestalten wollen, verändern wollen, aber vor allem: Weil einfach alles zu lange dauert. Es kann nicht sein, dass Fahrradwege im Wedding versprochen werden, aber diese Versprechen immer aufs Neue gebrochen werden, dann lasst es halt. Kommuniziert ehrlich – dann wären die WählerInnen auch bereit Fehler oder verfehlte Ziele zu verzeihen und vor allem zu verstehen. Aber so wird das alles nichts. Diese natürliche Verlangsamung von Abläufen mag schon immer so gewesen sein, (Verwaltung etc.) ihr steht aber eine motivierte Zivilgesellschaft gegenüber, die das nicht mehr verstehen will, nur weil es nun schon immer so ist.
So ist es gut, dass viele der PolitkerInnen dieses Jahr jünger sind und motiviert wirken. Und man kann nur hoffen, dass sie die gesamten 5 Jahre mit diesem Elan sich für Ihre Stadt/Bezirk/Kiez/Straße einsetzen. Es wird Zeit, dass die mehr Einfluss bekommen, die geil auf Politik sind und nicht die, die geil auf Posten sind.
PS: Außerdem plädiere ich immer noch für eine:n Wedding-Bürgermeister:in. Mitte mit Wedding + Moabit ist dann vielleicht doch eine zu große Aufgabe.
Eileen Scheier
Als Stadtteilkoordinatorin für den Kiez Wedding haben mich die im Vorfeld durchgeführten Aufklärungs-Kampagnen der lokalen AkteurInnen oder Initiativen beeindruckt und auch nachhaltig aktiviert. Kieztalks, Gesprächsrunden oder Spaziergänge durch die Plakatlandschaft im Kiez waren inhaltlich gut gefüllte Austauschrunden für die Anwohnerschaft. Es war schön zu sehen wie gut die Kandidatenbefragung von der Stadtteilvertretung Mensch.Müller auf dem Leopoldplatz besucht und genutzt wurde. Spannend und sportlich waren die von den Quartiermanagements durchgeführten Straßen-Wahlplakat-Führungen, die sich die Kandidaten im Wahlkreis näher angeschaut haben. Auch der hartnäckige Einsatz ehrenamtlicher Initiativen die Wahl für den Volkentscheid voranzutreiben war ein kräftiges Zeichen für Mitbestimmung wie wir im Kiez leben wollen. Unter dem Hashtack „Der Wedding räumt auf“ lässt sich nicht nur eine aktive CleanUp Gruppe im Wedding aufspüren, sondern darunter verstehe ich den Aufruf von KiezanwohnerInnen sich zu beteiligen. Verantwortungsvoll dem Klima und dem Kiez gegenüber.