Der Wedding. Endliche Weiten. Dies sind die Abenteuer der Bewohner des Wohnhauses in der Müllerstraße 42, die schon oft zuvor da gewesene Gentrifizierung bekämpfen und dahin gehen, wo schon viele Weddinger zuvor gewesen sind.
Eine Weddingweiser-Original Fortsetzungsgeschichte. Geschrieben von Nethaïs Sandt und Ruben Faust.
Was bisher geschah:
Melina (Musikstudentin) muss mit großem Schrecken feststellen, dass ihr Fahrrad geklaut wurde. Nach einer erfolglosen Suche durch den Wedding entschließt sie sich, einen Trost- Döner in “Mohammads Döner Store” essen zu gehen. Dabei hört Mohammad, Inhaber des Dönerladens und allseits bekannter “Mann des Vertrauens”, ihren Sorgen geduldig zu. (Folge 1 zum Nachlesen)
Ein paar Tage später kommt Herr Brown aus seiner Wohnung heraus und beginnt, seiner täglichen Beschäftigung nachzugehen. „Was würde ich jetzt doch alles für einen guten Earl Grey-Tee geben“, ist ein Gedanke, der Herrn Brown sehr oft kommt. „Wie gern hätte ich jetzt einen schönen, weißen Pudelhund namens James, der morgens bellt und mir die Zeitung ans Sofa bringt. Eine Katze namens Jasmin, die mich argwöhnisch vom Fensterbrett aus beäugt, während ich die Tasten meiner geliebten Schreibmaschine herunterdrücke. Eine wunderschöne Frau, die mir ein liebliches Lächeln zuwirft, ehe sie los zur Arbeit muss. Arbeit…“ Das Wort hat einen bitteren Beiklang. Er sieht an sich herunter und kommt nicht umhin als die dunklen, braunen Flecken auf seiner Hausmeistertracht zu sehen.
Niemals im Leben hätte er gedacht, dass er irgendwann in einem Altbau landen würde, in einer kleinen Wohnung im Erdgeschoss. Sein Traum, Bestseller-Autor in England zu werden, vernichtet, mit Füßen getreten. Ehelos, kinderlos, haustierlos. Egal, wie er es betrachtet, er ist im Leben gescheitert.
Missmutig tränkt er den Wischmopp in den schwarzen Eimer mit Wasser. Mit einem großen Platschen schlägt der Wischmopp dann wenig später auf den dreckigen Boden des Hauses auf. Herr Brown fängt an zu schrubben. Immer schön in Schlangenlinien, so, wie man es ihm beigebracht hat.
Nach zehn Minuten macht er eine kleine Pause, kramt in seiner Brusttasche und holt den grauen Flachmann raus. Das Zeug drin schmeckt bei weitem nicht so gut wie ein Earl Grey-Tee, aber es macht ihn stumpf gegenüber negativen Gedanken, von denen er mittlerweile viel zu viele hat. Und mit etwas gutem Willen lässt sich das Brennen in seiner Kehle gut aushalten.
Ein Geräusch lässt ihn aufhorchen. Jemand hat eine Tür geöffnet. Er fragt sich, wem die Schritte wohl gehören, die gerade die Treppenstufen (frisch gewischt!) herunterkommen. Ist es einer der beiden Studenten, die im vierten Stock rechts wohnen und von denen er zwar die Namen vergessen hat, sich aber sicher ist, dass irgendwas zwischen den beiden läuft? Die beiden leugnen es immer wieder, aber wenn Mann und Frau in einer kleinen Wohnung zusammenwohnen, ist es sehr wahrscheinlich, dass die Funken fliegen, wie sonst was. Und wenn es keiner der Studenten ist, dann vielleicht die beiden Knirpse im dritten Stock rechts. Hakim und Ahmed, das Ausländergeschwisterpaar. Herr Brown muss gestehen, dass er deren Eltern nie gesehen hat, aber gegen die beiden Jungs im Alter von ungefähr fünfzehn hat er nichts. Sie ignorieren ihn und er ignoriert sie. Eine angenehme Koexistenz. Mit wem er gar nicht klar kommt, ist das Elternpaar aus dem Prenzlauer Berg (1. Stock links). Albert und Elena sind die Definition von aufgeblasen und viel zu engagiert. Wie oft hat er sich die Prahlereien von ihnen anhören müssen! Ihr Kind Elisa habe schon im Alter von drei Jahren die Querflöte gelernt und spiele ausgezeichnet. Außerdem würde sie jeden Samstag in eine Schauspielgruppe gehen und schwimmen tue sie auch noch! Da sind sie aber ganz stolz, auf ihre kleine Elisa. Ob er schon wüsste, dass sie ausschließlich vegan leben würden? Aber natürlich. Ob er schon auf der Demonstration gegen den Klimawandel gewesen wäre? Noch nicht, aber hier ein Flyer für ihn. Von ihnen stammt auch das riesige Plakat im Erdgeschoss, wo sie in fetten Druckbuchstaben die Bewohner des Hauses dazu auffordern, an einer gemeinsamen Hausversammlung teilzunehmen. Es ist ja eine schöne Idee, dass sie wirklich denken, sie könnten die Hausneurenovierung und anschließende Neuvermietung aufhalten, aber er weiß es besser. Das alles ist eine Nummer zu hoch für alle.
Herr Brown nimmt noch einen Schluck. Nicht, dass er da tatenlos zusehen würde. Seine Arbeit, so erbärmlich sie auch sein mag, hängt von diesem Haus ab.
Die Schritte haben mittlerweile angehalten. Vielleicht gehören sie Frau Faterl (2. Stock links). Diese Frau scheint immer guter Laune zu sein. Purer Sonnenschein. Bisschen gestresst. Sie hat nie Zeit gefunden, mit ihm mehr als ein paar Sätze auszutauschen. Aus Bayern, glaubt er.
Herr Brown hebt den Wischmopp und tränkt ihn erneut ins Wasser. Vielleicht hat er ein bisschen zu viel getrunken oder er verträgt den Alkohol nicht mehr so gut wie früher, aber er verfehlt den Eimer und stößt ihn um. Das dreckige Wasser breitet sich in einer großen Lache aus.
Ein bedrohlicher Schatten ist plötzlich über ihn. Er hebt den Kopf. Da er gegen die Sonne blickt, erkennt er zunächst nur einen kleinen, gedrungenen Schemen mit Haaren, die einzeln vom Kopf abstehen. Die Arme in die Hüften gestemmt, knurrt die Gestalt: „Der steht da mit sein Wischmopp wie ein Abeetadenkmal! Ick kieke dir schon ne janze Weile zu, aber Arbeeten sieht janz anders aus!“ Dorothea (Erdgeschoss links, ihm gegenüber) deutet entrüstet auf seinen Flachmann. „Is det Alkohol? Na hör’ ma, du Aas! So aber nich!“
Herr Brown spürt, wie seine Wangen heiß werden. Schleunigst packt er den Flachmann zurück in seiner Tasche und fängt an, Erklärungen zu stottern. Dorothea winkt jedoch ab und läuft schnaufend an ihm vorbei. „Interessiert misch allet ja nich. Laber’ wen anders damit zu.“ Dann sieht sie seine rote Plastikorchidee, die er seiner schriftstellerischen Ader folgend stets in seiner rechten Brusttasche bei sich trägt. Sie runzelt die Stirn, macht den Mund auf, schüttelt dann aber nur den Kopf und schließt die Tür zu ihrer Wohnung auf. Ganz kurz glaubt Herr Brown, ein kleines Lächeln in ihrem Mundwinkel erkennen zu können. Dann verschwindet sie in ihrer Wohnung.
Er weiß nicht weshalb, aber auf einmal hat er keine Lust mehr auf Alkohol. Pfeifend wischt er die Lache mit dem Wischmopp auf, die Wangen immer noch vor Hitze glühend. Es ist fast so, als wäre das kleine Ungeschick nie passiert.
Fortsetzung folgt!
Alle Figuren und Namen sind rein fiktional und jede Übereinstimmung mit der Realität ist nur zufällig.
Müller42 ist eine Weddingweiser-Textreihe von Ruben Faust und Nethais Sandt. Sie wird immer dienstags und freitags weitergeführt.
Die Geschichten aus der 42 sind einfach herzerfrischend. Ich freue mich schon auf die Fortsetzung. Da glänzt ein Talent !