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Müller42 #2: Die Wasserlache

27. März 2020
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Der Wed­ding. End­li­che Wei­ten. Dies sind die Aben­teu­er der Bewoh­ner des Wohn­hau­ses in der Mül­lerstra­ße 42, die schon oft zuvor da gewe­se­ne Gen­tri­fi­zie­rung bekämp­fen und dahin gehen, wo schon vie­le Wed­din­ger zuvor gewe­sen sind. 

Eine Wed­ding­wei­ser-Ori­gi­nal Fort­set­zungs­ge­schich­te. Geschrie­ben von Net­haïs Sandt und Ruben Faust.

Was bis­her geschah:
Melina (Musik­stu­den­tin) muss mit gro­ßem Schre­cken fest­stel­len, dass ihr Fahr­rad geklaut wur­de. Nach einer erfolg­lo­sen Suche durch den Wed­ding ent­schließt sie sich, einen Trost- Döner in “Moham­mads Döner Store” essen zu gehen. Dabei hört Moham­mad, Inha­ber des Döner­la­dens und all­seits bekann­ter “Mann des Ver­trau­ens”, ihren Sor­gen gedul­dig zu. (Fol­ge 1 zum Nach­le­sen)

Ein paar Tage spä­ter kommt Herr Brown aus sei­ner Woh­nung her­aus und beginnt, sei­ner täg­li­chen Beschäf­ti­gung nach­zu­ge­hen. „Was wür­de ich jetzt doch alles für einen guten Earl Grey-Tee geben“, ist ein Gedan­ke, der Herrn Brown sehr oft kommt.  „Wie gern hät­te ich jetzt einen schö­nen, wei­ßen Pudel­hund namens James, der mor­gens bellt und mir die Zei­tung ans Sofa bringt. Eine Kat­ze namens Jas­min, die mich arg­wöh­nisch vom Fens­ter­brett aus beäugt, wäh­rend ich die Tas­ten mei­ner gelieb­ten Schreib­ma­schi­ne her­un­ter­drü­cke.  Eine wun­der­schö­ne Frau, die mir ein lieb­li­ches Lächeln zuwirft, ehe sie los zur Arbeit muss. Arbeit…“  Das Wort hat einen bit­te­ren Bei­klang. Er sieht an sich her­un­ter und kommt nicht umhin als die dunk­len, brau­nen Fle­cken auf sei­ner Haus­meis­ter­tracht zu sehen.
Nie­mals im Leben hät­te er gedacht, dass  er irgend­wann in einem Alt­bau lan­den wür­de, in einer klei­nen Woh­nung im Erd­ge­schoss. Sein Traum, Best­sel­ler-Autor in Eng­land zu wer­den, ver­nich­tet, mit Füßen getre­ten. Ehe­los, kin­der­los, haus­tier­los.  Egal, wie er es betrach­tet, er ist im Leben geschei­tert.
Miss­mu­tig  tränkt er den Wisch­mopp in den schwar­zen Eimer mit Was­ser. Mit einem gro­ßen Plat­schen schlägt der Wisch­mopp dann wenig spä­ter auf den dre­cki­gen Boden des Hau­ses auf. Herr Brown fängt an zu schrub­ben. Immer schön in Schlan­gen­li­ni­en, so, wie man es ihm bei­gebracht hat.

Nach zehn Minu­ten macht er eine klei­ne Pau­se, kramt in sei­ner Brust­ta­sche und holt den grau­en Flach­mann raus. Das Zeug drin schmeckt bei wei­tem nicht so gut wie ein Earl Grey-Tee, aber es macht ihn stumpf gegen­über nega­ti­ven Gedan­ken, von denen er mitt­ler­wei­le viel zu vie­le hat. Und mit etwas gutem Wil­len lässt sich das Bren­nen in sei­ner Keh­le gut aus­hal­ten.
Ein Geräusch lässt ihn auf­hor­chen. Jemand hat eine Tür geöff­net. Er fragt sich, wem die Schrit­te wohl gehö­ren, die gera­de die Trep­pen­stu­fen (frisch gewischt!) her­un­ter­kom­men. Ist es einer der bei­den Stu­den­ten, die im vier­ten Stock rechts woh­nen und von denen er zwar die Namen ver­ges­sen hat, sich aber sicher ist, dass irgend­was zwi­schen den bei­den läuft? Die bei­den leug­nen es immer wie­der, aber wenn Mann und Frau in einer klei­nen Woh­nung zusam­men­woh­nen, ist es sehr wahr­schein­lich, dass die Fun­ken flie­gen, wie sonst was.  Und wenn es kei­ner der Stu­den­ten ist, dann viel­leicht die bei­den Knirp­se im drit­ten Stock rechts.  Hakim und Ahmed, das Aus­län­der­ge­schwis­ter­paar. Herr Brown muss geste­hen, dass er deren Eltern nie gese­hen hat, aber gegen die bei­den Jungs im Alter von unge­fähr fünf­zehn hat er nichts. Sie igno­rie­ren ihn und er igno­riert sie. Eine ange­neh­me Koexis­tenz.  Mit wem er gar nicht klar kommt, ist das Eltern­paar aus dem Prenz­lau­er Berg (1. Stock links). Albert und Ele­na sind die Defi­ni­ti­on von auf­ge­bla­sen und viel zu enga­giert.  Wie oft hat er sich die Prah­le­rei­en von ihnen anhö­ren müs­sen! Ihr Kind Eli­sa habe schon im Alter von drei Jah­ren die Quer­flö­te gelernt und spie­le aus­ge­zeich­net. Außer­dem wür­de sie jeden Sams­tag in eine Schau­spiel­grup­pe gehen  und schwim­men tue sie auch noch! Da sind sie aber ganz stolz, auf ihre klei­ne Eli­sa. Ob er schon wüss­te, dass sie aus­schließ­lich vegan leben wür­den? Aber natür­lich. Ob er schon auf der Demons­tra­ti­on gegen den Kli­ma­wan­del  gewe­sen wäre? Noch nicht, aber hier ein Fly­er für ihn.  Von ihnen stammt auch das rie­si­ge Pla­kat im Erd­ge­schoss, wo sie in fet­ten Druck­buch­sta­ben die Bewoh­ner des Hau­ses dazu auf­for­dern, an einer gemein­sa­men Haus­ver­samm­lung teil­zu­neh­men. Es ist ja eine schö­ne Idee, dass sie wirk­lich den­ken, sie könn­ten die Haus­neu­re­no­vie­rung und anschlie­ßen­de Neu­ver­mie­tung auf­hal­ten, aber er weiß es bes­ser.  Das alles ist eine Num­mer zu hoch für alle.

Illus­tra­ti­on: Net­hais Sandt


Herr Brown nimmt noch einen Schluck. Nicht, dass er da taten­los zuse­hen wür­de. Sei­ne Arbeit, so erbärm­lich sie auch sein mag, hängt von die­sem Haus ab.
Die Schrit­te haben mitt­ler­wei­le ange­hal­ten. Viel­leicht gehö­ren sie Frau Faterl (2. Stock links). Die­se Frau scheint immer guter Lau­ne zu sein. Purer Son­nen­schein.  Biss­chen gestresst. Sie hat nie Zeit gefun­den, mit ihm mehr als ein paar Sät­ze aus­zu­tau­schen.  Aus Bay­ern, glaubt er.
Herr Brown hebt den Wisch­mopp und tränkt ihn erneut ins Was­ser. Viel­leicht hat er ein biss­chen zu viel getrun­ken oder er ver­trägt den Alko­hol nicht mehr so gut wie frü­her, aber er ver­fehlt den Eimer und stößt ihn um. Das dre­cki­ge Was­ser brei­tet sich in einer gro­ßen Lache aus.
Ein bedroh­li­cher Schat­ten ist plötz­lich über ihn. Er hebt den Kopf. Da er gegen die Son­ne blickt, erkennt er zunächst nur einen klei­nen, gedrun­ge­nen Sche­men mit Haa­ren, die ein­zeln vom Kopf abste­hen. Die Arme in die Hüf­ten gestemmt, knurrt die Gestalt: „Der steht da mit sein Wisch­mopp wie ein Abe­e­ta­denk­mal! Ick kie­ke dir schon ne jan­ze Wei­le zu, aber Arbee­ten sieht janz anders aus!“  Doro­thea (Erd­ge­schoss links, ihm gegen­über) deu­tet ent­rüs­tet auf sei­nen Flach­mann. „Is det Alko­hol? Na hör’ ma, du Aas! So aber nich!“
Herr Brown spürt, wie sei­ne Wan­gen heiß wer­den. Schleu­nigst packt er den Flach­mann zurück in sei­ner Tasche und fängt an, Erklä­run­gen zu stot­tern. Doro­thea winkt jedoch ab und läuft schnau­fend an ihm vor­bei. „Inter­es­siert misch allet ja nich. Laber’ wen anders damit zu.“ Dann sieht sie sei­ne rote Plas­tik­or­chi­dee, die er sei­ner schrift­stel­le­ri­schen Ader fol­gend stets in sei­ner rech­ten Brust­ta­sche bei sich trägt. Sie run­zelt die Stirn, macht den Mund auf, schüt­telt dann aber nur den Kopf und schließt die Tür zu ihrer Woh­nung auf. Ganz kurz glaubt Herr Brown, ein klei­nes Lächeln in ihrem Mund­win­kel erken­nen zu kön­nen.  Dann ver­schwin­det sie in ihrer Woh­nung.
Er weiß nicht wes­halb, aber auf ein­mal hat er kei­ne Lust mehr auf Alko­hol.  Pfei­fend wischt er die Lache mit dem Wisch­mopp auf, die Wan­gen immer noch vor Hit­ze glü­hend. Es ist fast so, als wäre das klei­ne Unge­schick nie passiert.

Fort­set­zung folgt!

Alle Figu­ren und Namen sind rein fik­tio­nal und jede Über­ein­stim­mung mit der Rea­li­tät ist nur zufällig.

Müller42 ist eine Wed­ding­wei­ser-Text­rei­he von Ruben Faust und Net­hais Sandt. Sie wird immer diens­tags und frei­tags weitergeführt. 

1 Comment Leave a Reply

  1. Die Geschich­ten aus der 42 sind ein­fach herz­er­fri­schend. Ich freue mich schon auf die Fort­set­zung. Da glänzt ein Talent !

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