Meinung Es war einer dieser Abende, an denen alles mit einem unverfänglichen Gespräch zwischen Fremden begann und mit einer leeren Weinflasche endete. Irgendwann drehte sich das Gespräch um die Verschmutzung der Meere, Klimawandel und das eigene Konsumverhalten. Hitzig wurden Maßnahmen debattiert, für die jedoch immer ein Gegenargument in irgendeinem Teil der Wertschöpfungskette lauerte. Fast zynisch schauten wir alle auf die leere Flasche Wein, bis sich eine der Beteiligten verabschiedete: „Das, was momentan passiert, ist schrecklich, aber was kann ich tun?“
Da war es wieder: Dieses Gefühl der Ohnmacht, das uns nach Katastrophenberichten genauso einholt wie der steigende Meeresspiegel. Doch seit 2012, liebe Konsumenten, sollte das Gefühl zumindest in Sachen Lebensmittelverschwendung ein Ende haben. Denn das Bundeslandwirtschaftsministerium gründete die Initiative Zu gut für die Tonne!. Mit Zahlen, Wissenstest und Ratgebern wendet es sich an eine Zielgruppe: den Endverbraucher. Hauptgründe für unnötiges Wegschmeißen seien laut einer Studie der Uni Stuttgart die mangelnde Wertschätzung der vergleichsweise günstigen Lebensmittel, aber auch die Fehlplanung beim Einkauf und Kochen. Ein wichtiger Schritt in Punkto Bewusstseinswandel – und ja, mir ist jetzt auch bewusst, dass ich öfter in den Kühlschrank schauen sollte, damit ich weiß, welche Lebensmittel noch vorrätig sind. Trotzdem landet bei uns heute noch ein Drittel aller Lebensmittel im Müll, die Hälfte davon wäre vermeidbar. Es sind jährlich 55 Kilo Lebensmittel pro Kopf, die im Abfall landen. Und allein dadurch werden jährlich fast 48 Mio. Tonnen Treibhausgase umsonst ausgeschüttet, ermittelte der WWF.
Angesichts des Klimawandels stelle ich mir die Frage, ob die Honigpolitik, die sich lediglich an den Endverbraucher richtet, reicht. Kann man sich wirklich nur mit Initiativen begnügen? Was ist mit der Industrie, was ist mit der Wirtschaft? Auch Handel und Gastronomiebtriebe verursachen zusammen einen fast so großen Abfallberg wie Verbraucher. Und auch während der Produktion entstehen – wenn auch wesentlich geringer – Verluste. Aus der Wirtschaft kommen bislang nur wenige Ansätze der Verhaltensänderung, aber sie sind schließlich auch freiwillig. So verkauft die Supermarktkette Penny beispielsweise auch Kartoffeln mit Dellen. Außerdem haben einige Startups aus der Misere ein Geschäftsmodell entwickelt: Ein Beispiel ist die App Too good To go, in der Verbraucher überschüssige Speisen der Gastronome vergünstigt erwerben können. Zudem gibt es Ideen wie Foodsharing. Bei dieser werden nach Ladenschluss Lebensmittel, die sonst weggeschmissen würden, abgenommen. Auch die Tafel nimmt aussortiertes Essen an, doch leider macht dies nur 2,4 Prozent aller überschüssigen Lebensmittel aus.
Meiner Meinung nach ist die einzige Instanz, die tatsächlich etwas bewirken kann, die Politik. Zu schön wäre eine nationale Strategie und ein konkreter Maßnahmenplan. Vielleicht auch ein Gesetz, wie es schon eines in Frankreich gibt: Im Nachbarland werden große Supermärkte dazu verpflichtet, alle überschüssigen Lebensmittel an Hilfsorganisationen zu verschenken. Bei Entsorgung von essbaren Lebensmitteln drohen harte Strafen. Immer nur zu warten, bis aus Wirtschaft oder Gesellschaft der #EinfallgegenAbfall kommt, ist ein bisschen zu lasch. Aber leider hat die Koalition ja gerade größere interne Probleme zu regeln, als Sachpolitik zu betreiben. Da kann man den Wählern lieber ein bisschen Honig um den Mund schmieren, sie mit Preisen für Engagement und Ideen belohnen und dabei zusehen, wie auch die nächsten Jahre noch ein Drittel aller Lebensmittel weggeschmissen werden, während auf der ganzen Welt rund 800 Millionen Menschen hungern.
Text/Fotos: Annika Keilen
Die Idee, Lebensmittel vor dem Müll zu retten, liegt der Autorin Annika Keilen sehr am Herzen. In diesem Feld selbst ehrenamtlich engagiert, sieht sie die Menge an Lebensmitteln, für die es oft nur die Tonne als Abnehmer gibt.