Als die Videothek im Erdgeschoss des schmucklosen Nachkriegsbaus Müllerstraße 55 ihre Pforten schloss, stand einfach nur ein weiterer Laden leer. Das 70er-Jahre-Gebäude gegenüber der neuen Müllerhalle ist eins von der Sorte, die es im Wedding häufig gibt. Doch schon bald nach der Schließung kehrte überraschend neues Leben ein: Diesmal aber kein Casino, kein Pflegedienst und auch kein Geschäft … Ein Künstler und ein Musiker haben die ehemalige Videothek zu einem Kunstraum gemacht. Die Zwischennutzung gab es im Sommer 2018.
Die Schaufenster sind blind, die Ladentür steht heute jedoch offen. Im Probenraum im Keller treffe ich den Musiker Nino, der das Voodoo55 mitbetreibt. Der 28-jährige Musiker hat die leerstehende Videothek mit dem spanischen Künstler Anton zusammen gemietet. „Alles ist doch besser als Leerstand“, sagt der blonde Slowene augenzwinkernd, und er untertreibt maßlos: Denn die 130 Quadratmeter große Gewerbefläche mit den nackten grauen Wänden, den kunstvoll arrangierten hängenden, herausgerissenen Deckenleuchten ist ein neuer Kunstraum der Extraklasse, dessen Kulturschaffende es irgendwie ins betuliche Parkviertel verschlagen hat. Großformatige, ausdrucksstarke Bilder zieren einige Wände, Betonpfeiler gliedern die ansonsten kahlen Flächen. Große Lettern sind auf den zugeklebten Fensterscheiben ausgespart, wie “We love you having here” oder “Warning!! It’s magic”.
Der Reiz des Neuen
„An fast jedem Tag ist hier etwas los“, erzählt Nino. Der Verein Pass the crayon bietet Kunstworkshops für benachteiligte und Flüchtlingskinder in den Räumen an. Ansonsten gibt es hier Tanzperformances, Ausstellungen, Fotoshootings, Konzerte – und das Publikum kommt aus ganz Berlin an diesen noch als Geheimtipp gehandelten Kunstraum. „Hier gibt’s noch was Neues zu entdecken“, sagt Nino. In den ansonsten übersättigten Szenekiezen ist alles schon ausprobiert worden, nur der raue, unprätentiöse Wedding mit seiner vorstädtisch-kühlen Müllerstraße hat noch den Reiz des Neuen. Alles andere als clean.„Der Wedding ist ein Jungle“, so nennt Nino das, und weil viele Straßennamen hier afrikanisch sind, schien den Machern der Name „Voodoo55“ mehr als angemessen.
Wie bei so vielen Kunsträumen sind die Tage des Voodoo55 bereits gezählt. Der Eigentümer des Hauses wollte eine künstlerische Zwischennutzung bis zum Sommer, bevor das Haus saniert, mit Neubauten im Hinterhof ergänzt und vielleicht eine Kantine im Erdgeschoss eingerichtet wird. Bis dahin, das habe ich mir vorgenommen, werde ich sicher auch einmal zu einer Veranstaltung in die frühere Videothek zurückkehren.
UPDATE
Inzwischen ist aus dem Raum ein schickes Sushi-Restaurant geworden: UMI
[…] der Weddingweiser hatte darüber berichtet, nachzulesen: hier! Einen Veranstaltungs-Bericht mit Fotostrecke gibt es von Vizthink hier und […]