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Kommentar: Die Ersten könnten die Letzten sein

20. September 2019
Graffiti an Hauswand
Graf­fi­ti an Hauswand

Wir sind der viert­cools­te Bezirk der Welt! Der Wed­ding ist plötz­lich “offi­zi­ell” cool, sehens­wert und die Mie­ten sind auch noch rich­tig güns­tig. Zumin­dest sagt das die eng­li­sche Zeit­schrift Time Out. Vie­le Jahr­zehn­te lang galt der Spruch „Der Wed­ding kommt“ als Witz, aber nun haben wir es end­lich schwarz auf weiß.

Das Gan­ze ist so spek­ta­ku­lär , dass sogar die Bild-Zei­tung einen Arti­kel aus dem Hut zau­bert und sich ein­mal quer durch den nicht wirk­lich reprä­sen­ta­ti­ven Wed­din­ger Bevöl­ke­rungs­durch­schnitt fragt. All­ge­mei­ner Tenor: Der Wed­ding ist schön, alles schi­cki. Sogar Ara­ber und Tür­ken wur­den laut dem Inter­view schon gesich­tet, für den Charme. Wenn jetzt noch raus­kommt, dass im Wed­ding Polen, Soma­li­er, Rus­sen…. woh­nen wür­den. Der Wed­ding ein Mel­ting Pot? Nee, davon hät­te man doch schon mal etwas mit­be­kom­men, oder nicht? Ver­rückt, was die Bild so herausfindet.

Als ich 2016 zum ers­ten Mal einen Sight-See­ing Bus im Spren­gel­kiez sah, hoff­te ich noch, der hat sich nur ver­fah­ren. Mög­li­cher­wei­se war es aber auch ein Test. 

Dass man dort ger­ne wohnt, wo man sich wohl fühlt, ist ja kein Geheim­nis, auch wenn Ende der 2000er vie­le Men­schen – wahr­schein­lich weil es güns­tig war – in den Wed­ding gezo­gen sind, bevor dann auch hier die Prei­se durch die Decke gin­gen – so leben doch alle ger­ne hier. Weil der Wed­ding ist, wie er ist.

Mit jedem Arti­kel für den Wed­ding­wei­ser stel­le auch ich mir die Fra­ge, ob ich auch mit schuld bin an dem Hype. Als Andrej Holm (ehe­ma­li­ger Staats­se­kre­tär für Woh­nen) auf einer Podi­ums­dis­kus­si­on zum The­ma „So wol­len wir Deut­sche Woh­nen & Co ent­eig­nen“ mein­te, den Inves­to­ren sei es egal, ob in den Stadt­vier­tel nun die Stu­den­ten­hips­ter leben oder nicht, es gehe ein­zig um Spe­ku­la­ti­on, da beru­hig­te mich das sehr: Die Geld­ka­ra­wa­ne wird wohl ein­fach wei­ter­zie­hen. Egal, wer dort wohnt.

Die­ses „Cool fin­den“ vom Ech­ten einer Stadt, sei es Bar­ce­lo­na, Ber­lin oder einer Stadt irgend­wo in Ost­eu­ro­pa ist ja an sich nicht neu. Die Men­schen und Tou­ris­ten suchen das Authen­ti­sche. Sie ver­schwin­den aber auch wie­der. Zurück blei­ben die Bewoh­ner, die jeden Tag in ihrem Vier­tel zu kämp­fen haben, sei es die nächs­te Miet­erhö­hung, unbe­stän­di­ge Miet­ver­trä­ge von Gale­rien, Stadt­teil­treffs oder Haus­auf­ga­ben­hil­fen, über­all gibt es Druck von außen.

Man kann schon fast froh sein, dass die­ser Arti­kel, der lei­der kom­men muss­te, jetzt erschie­nen ist. In einer Zeit, in der das The­ma Mie­ten und Ver­drän­gung durch die vie­len Miet­in­itia­ti­ven poli­tisch ganz oben steht, auch wenn immer noch viel zu wenig unter­nom­men wird und der geplan­te Mie­ten­de­ckel am Ende doch so eini­ge Löcher haben wird.

Ich blei­be immer noch bei der The­se, dass der Wed­ding nicht so kom­men wird. Nicht in der Form wie Neu­kölln; ein Stadt­teil, der vor unse­ren Augen explo­dier­te und gen­tri­fi­ziert wur­de. Die Mie­ten hier sind ein­fach schon zu hoch, als dass sich die Leu­te nie­der­las­sen, die etwas wagen wer­den, mit wenig Geld auf der hohen Kan­te. Damit mei­ne ich nicht, dass hier nicht gera­de gen­tri­fi­ziert wird. Es wird nur anders werden.

Es liegt somit viel­leicht auch ein biss­chen an uns, ein­fach öfter in den Laden unten im Haus zu gehen, ins Café Leo, in die Schil­le­r­oa­se im Schil­ler­park, oder in den Wes­tern Store in der Kame­ru­ner. Die­se sind hier nur bei­spiel­haft für die vie­len Kiez­lä­den genannt, wel­che den Wed­ding aus­ma­chen. Des wei­te­ren gibt es vie­le Initia­ti­ven im gesam­ten Wed­ding, die sich gemein­schaft­lich gegen den Mie­ten­wahn­sinn weh­ren. Sei es die Mie­ten­be­ra­tung im Sol­di­ner Kiez, die Bera­tung im Kiez­haus Agnes Rein­hold oder Sprech­stun­den bei Abge­ord­ne­ten.

Ob nun die Kieze von Roll­kof­fern über­rannt wer­den, die das Mons­ter Airbnb in sich hin­ein schlingt oder nicht, wird man sehen. Der Druck auf Ber­lin und den Wed­ding wird auf jeden Fall nicht weni­ger – Platz 4 hin oder her. Viel­leicht war es genau jetzt an der Zeit, noch ein­mal dar­an erin­nert zu wer­den, wie schön es hier bis jetzt noch ist. Das schließt Ver­än­de­run­gen nicht aus, aber man muss auf­pas­sen, dass die Ers­ten nicht irgend­wann die Letz­ten sind.

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Andaras Hahn

Andaras Hahn ist seit 2010 Weddinger. Er kommt eigentlich aus Mecklenburg-Vorpommern. Schreibt assoziativ, weiß aber nicht, was das heißt und ob das gut ist. Macht manchmal Fotos: @siehs_mal
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