Wir sind der viertcoolste Bezirk der Welt! Der Wedding ist plötzlich “offiziell” cool, sehenswert und die Mieten sind auch noch richtig günstig. Zumindest sagt das die englische Zeitschrift Time Out. Viele Jahrzehnte lang galt der Spruch „Der Wedding kommt“ als Witz, aber nun haben wir es endlich schwarz auf weiß.
Das Ganze ist so spektakulär , dass sogar die Bild-Zeitung einen Artikel aus dem Hut zaubert und sich einmal quer durch den nicht wirklich repräsentativen Weddinger Bevölkerungsdurchschnitt fragt. Allgemeiner Tenor: Der Wedding ist schön, alles schicki. Sogar Araber und Türken wurden laut dem Interview schon gesichtet, für den Charme. Wenn jetzt noch rauskommt, dass im Wedding Polen, Somalier, Russen…. wohnen würden. Der Wedding ein Melting Pot? Nee, davon hätte man doch schon mal etwas mitbekommen, oder nicht? Verrückt, was die Bild so herausfindet.
Als ich 2016 zum ersten Mal einen Sight-Seeing Bus im Sprengelkiez sah, hoffte ich noch, der hat sich nur verfahren. Möglicherweise war es aber auch ein Test.
Dass man dort gerne wohnt, wo man sich wohl fühlt, ist ja kein Geheimnis, auch wenn Ende der 2000er viele Menschen – wahrscheinlich weil es günstig war – in den Wedding gezogen sind, bevor dann auch hier die Preise durch die Decke gingen – so leben doch alle gerne hier. Weil der Wedding ist, wie er ist.
Mit jedem Artikel für den Weddingweiser stelle auch ich mir die Frage, ob ich auch mit schuld bin an dem Hype. Als Andrej Holm (ehemaliger Staatssekretär für Wohnen) auf einer Podiumsdiskussion zum Thema „So wollen wir Deutsche Wohnen & Co enteignen“ meinte, den Investoren sei es egal, ob in den Stadtviertel nun die Studentenhipster leben oder nicht, es gehe einzig um Spekulation, da beruhigte mich das sehr: Die Geldkarawane wird wohl einfach weiterziehen. Egal, wer dort wohnt.
Dieses „Cool finden“ vom Echten einer Stadt, sei es Barcelona, Berlin oder einer Stadt irgendwo in Osteuropa ist ja an sich nicht neu. Die Menschen und Touristen suchen das Authentische. Sie verschwinden aber auch wieder. Zurück bleiben die Bewohner, die jeden Tag in ihrem Viertel zu kämpfen haben, sei es die nächste Mieterhöhung, unbeständige Mietverträge von Galerien, Stadtteiltreffs oder Hausaufgabenhilfen, überall gibt es Druck von außen.
Man kann schon fast froh sein, dass dieser Artikel, der leider kommen musste, jetzt erschienen ist. In einer Zeit, in der das Thema Mieten und Verdrängung durch die vielen Mietinitiativen politisch ganz oben steht, auch wenn immer noch viel zu wenig unternommen wird und der geplante Mietendeckel am Ende doch so einige Löcher haben wird.
Ich bleibe immer noch bei der These, dass der Wedding nicht so kommen wird. Nicht in der Form wie Neukölln; ein Stadtteil, der vor unseren Augen explodierte und gentrifiziert wurde. Die Mieten hier sind einfach schon zu hoch, als dass sich die Leute niederlassen, die etwas wagen werden, mit wenig Geld auf der hohen Kante. Damit meine ich nicht, dass hier nicht gerade gentrifiziert wird. Es wird nur anders werden.
Es liegt somit vielleicht auch ein bisschen an uns, einfach öfter in den Laden unten im Haus zu gehen, ins Café Leo, in die Schilleroase im Schillerpark, oder in den Western Store in der Kameruner. Diese sind hier nur beispielhaft für die vielen Kiezläden genannt, welche den Wedding ausmachen. Des weiteren gibt es viele Initiativen im gesamten Wedding, die sich gemeinschaftlich gegen den Mietenwahnsinn wehren. Sei es die Mietenberatung im Soldiner Kiez, die Beratung im Kiezhaus Agnes Reinhold oder Sprechstunden bei Abgeordneten.
Ob nun die Kieze von Rollkoffern überrannt werden, die das Monster Airbnb in sich hinein schlingt oder nicht, wird man sehen. Der Druck auf Berlin und den Wedding wird auf jeden Fall nicht weniger – Platz 4 hin oder her. Vielleicht war es genau jetzt an der Zeit, noch einmal daran erinnert zu werden, wie schön es hier bis jetzt noch ist. Das schließt Veränderungen nicht aus, aber man muss aufpassen, dass die Ersten nicht irgendwann die Letzten sind.
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