Mastodon

Karneval und der Wedding

15. Februar 2021
Foto: Klaus Lebe­de, Prinzengarde

An der när­ri­schen Zeit kommt man, ob man es mag oder nicht, in man­chen Gegen­den nicht vor­bei. Anders in Ber­lin. Hier weiß kein Mensch, wann Alt­wei­ber gefei­ert wird oder Rosen­mon­tag. Allen­falls bekommt man es in den Abend­nach­rich­ten mit, und dann fühlt es sich so exo­tisch an wie ein ent­fern­ter Krieg oder ein Vul­kan­aus­bruch in Indo­ne­si­en. Zwei unse­rer Autoren sind in Kar­ne­vals­ge­gen­den auf­ge­wach­sen. Und haben ernst­haft im Wed­ding zwei Kar­ne­vals­ver­ei­ne entdeckt!

Wolle mer se reilasse?

In mei­ner Hei­mat­ge­gend in Rhein­land-Pfalz wird der Win­ter ein­ge­teilt in die Zeit vor der “Fas­se­nacht” und in die Zeit danach. Mei­ne Eltern waren nie in einer Kar­ne­vals­ge­sell­schaft und so sind wir als Kin­der auch nicht in die Tra­di­tio­nen hin­ein­ge­wach­sen. Klar, der Besuch des Umzugs mit “Kamel­le-Sam­meln” gehör­te für uns dazu, und auch die Fern­seh­sit­zun­gen aus dem nahen Mainz wur­den mit einer Mischung aus Abscheu und Begeis­te­rung gese­hen. Ich erin­ne­re mich an einen Kos­tüm­wett­be­werb in der Grund­schu­le, den ich gewon­nen hat­te, weil mich eine Bekann­te mei­ner Eltern mit viel Freu­de in einen Zau­be­rer ver­wan­delt hat­te. Das war es dann aber auch, und als ich nach Ber­lin zog, fehl­te mir ehr­lich gesagt nichts von dem gan­zen Zir­kus, der das Rhein­land in der 5. Jah­res­zeit in Atem hält. Vor ein paar Jah­ren habe ich mir mal die Bas­ler Fas­nacht ange­se­hen, das war in der Tat ein sehr gespens­ti­sches und atmo­sphä­ri­sches Event, das mit allem ande­ren Kar­ne­va­lis­ti­schen in Deutsch­land wenig zu tun hat. 

Joa­chim Faust

Als Rhein­län­de­rin, die nur 35 Minu­ten von Köln auf­ge­wach­sen ist, ist es mir ein Bedürf­nis, die­se Jah­res­zeit Kar­ne­val zu nen­nen, nicht Fasching. Genau wie der kor­rek­te Nar­ren­ruf ‚Alaaf‘ heißt und nicht etwa ‚Hel­au‘. Ja, da kön­nen Kölner:innen und vie­le Rheinländer:innen auch mal humor­los sein.

Karneval im Rheinland
Unse­re Autorin als Kind im Karneval

Lan­ge Zeit war ich selbst in einem Kar­ne­vals­ver­ein mei­nes Hei­mat­orts tätig und tanz­te in der loka­len Gar­de. Bis heu­te ist Kar­ne­val ein wich­ti­ger Anlass für mich, die 600 Kilo­me­ter Bahn zu fah­ren und die letz­ten fünf Tage der Ses­si­on ‚jeck‘ zu sein.

Eigent­lich ist Kar­ne­val aber viel mehr als die Tage zwi­schen Alt­wei­ber und Rosen­mon­tag, sie bil­den, wenn man so will, ledig­lich das ‚Fina­le‘. Ich erin­ne­re mich an die Auf­trit­te ab dem 11.11. Jedes Wochen­en­de hat sich der Ver­ein auf den Weg in vie­le Städ­te NRWs gemacht, um auf den ver­schie­dens­ten Kar­ne­vals­sit­zun­gen aufzutreten.

Für die­je­ni­gen, die nicht wis­sen, was eine ‚Kar­ne­vals­sit­zung‘ über­haupt ist: Es han­delt sich um ver­schie­de­ne Ver­an­stal­tun­gen im Kar­ne­val, von Kin­der- über Damen- und Her­ren­sit­zun­gen bis hin zu Senio­ren­sit­zun­gen fin­det man vie­le Vari­an­ten, aber eines haben sie gemein­sam: Das Pro­gramm ist immer sehr viel­fäl­tig. Es wird gesun­gen und getanzt, auch Reden wer­den gehal­ten und – nicht zu ver­ges­sen – die Sit­zun­gen fin­den kos­tü­miert statt.

Seit­dem ich im Wed­ding woh­ne, ver­mis­se ich jedes Jahr die gan­ze Ses­si­on. Denn sie hat die grau­en Mona­te von Novem­ber bis Febru­ar, wenn vie­le grund­los schlecht gelaunt sind, irgend­wie auf­ge­frischt. Die Wochen­en­den waren bunt, laut und spa­ßig, es war eben was los.

Aber Kar­ne­val bedeu­tet für mich vor allem auch Gleich­heit. An den letz­ten fünf Tagen der Ses­si­on, an denen Kar­ne­val nicht nur von den ‚Nerds‘ gefei­ert wird, son­dern auch von vie­len ande­ren Men­schen, kom­men alle kos­tü­miert zusam­men. In unse­ren Rol­len der Cowboys/Cowgirls, ver­schie­de­ner Tie­re, Feen oder Super­hel­den sind wir alle aus­ge­las­sen und ver­ges­sen kurz den stres­si­gen All­tag. Jung und Alt schun­keln mit­ein­an­der, es wird gebützt (Bützche=Küsschen), getrun­ken und eben gefei­ert, ohne Vor­ur­tei­le, denn man ist dann eben eine Fee oder ein Super­held. Die­se feh­len­de Tra­di­ti­on ist für mich ein nega­ti­ver Punkt der Haupt­stadt, des­halb habe ich mich gefreut, als ich erfuhr, dass es im Wed­ding Kar­ne­vals­ver­ei­ne gibt. Ob ich an einer Sit­zung teil­neh­men wür­de? Ich wür­de mir defi­ni­tiv ein Bild davon machen, denn man soll ja nicht urtei­len, bevor man etwas nicht selbst erlebt, aber ehr­li­cher­wei­se sind mei­ne Anfor­de­run­gen an eine Sit­zung oder einen Ver­ein sehr hoch und ich bin mir nicht sicher, ob ein Ver­ein außer­halb des Rhein­lands dem gerecht wer­den kann.

Ich schrei­be die­sen Text am Abend des Kar­ne­vals­sams­tag. Unter ande­ren Umstän­den wäre ich heu­te jeck in Köl­le, das fällt ver­ständ­li­cher­wei­se die­ses Jahr für alle Nar­ren und När­rinn­nen aus. Uns bleibt nichts ande­res übrig, als sich auf nächs­tes Jahr zu freu­en. Also mei­ner­seits: Kar­ne­val 2022 – Alaaf!, Köl­le – Alaaf!, Wed­ding – Alaaf!

Oli­wia Nowakowska

Und was ist mit dem Wedding?

Quel­le: narrenkappe-berlin.de

Im Wed­ding hat doch tat­säch­lich ein Ver­ein zur Pfle­ge des kar­ne­va­lis­ti­schen Brauch­tums sei­nen Sitz, der Nar­ren­kap­pe e.V. Auch hier gibt es (außer in die­sem Jahr) Sit­zun­gen und im Vor­feld wird flei­ßig für die Tanz­auf­trit­te geübt. Unter Lei­tung der Trai­ne­rin Mar­ti­na Giersch wird geprobt, und es gibt Auf­trit­te zu meh­re­ren Anläs­sen. “Neben Jugend­ar­beit und Leis­tungs­sport oder gesell­schaft­li­chem Enga­ge­ment wäh­rend der Ses­si­on unter­stüt­zen wir vie­le sozia­le Pro­jek­te”, schreibt der Ver­ein auf sei­ner Web­site. So wer­den seit Jah­ren auch Senio­ren­events ver­an­stal­tet. “Mit unse­ren Tän­zen, Gesang und gespro­che­nen Bei­trä­gen auf den zahl­rei­chen Aktio­nen, tra­gen wir geziel­te Kurz­weil in die Her­zen unse­rer Zuschau­er.” Und eine Recher­che ergab: Auch die Prin­zen­gar­de hat ihren Sitz im Wed­ding! Dort spie­len ver­schie­de­ne Corps (wie Show­tanz) eine gro­ße Rolle. 

Na dann, da bleibt uns nur zu sagen: Ber­lin Hei Jo! (Alaaf und Hel­au sind in Ber­lin jeden­falls tabu). Auch wenn in die­sem Jahr vie­les ausfällt… 

weddingweiserredaktion

Die ehrenamtliche Redaktion besteht aus mehreren Mitgliedern. Wir als Weddingerinnen oder Weddinger schreiben für unseren Kiez.

Schreibe einen Kommentar

Your email address will not be published.

MastodonWeddingweiser auf Mastodon
@[email protected]

Wedding, der Newsletter. 1 x pro Woche



Unterstützen

nachoben