Im Sprengelkiez gibt es eine vergleichsweise langjährige Nachbarschaftskultur im Stadtteil. Das SprengelHaus wurde im vergangenen September 20 Jahre alt und fast 50 Vereine und Organisationen sind im SprengelHaus aktiv. Ebenso feierte 2022 die benachbarte Osterkirche 111 Jahre, der Verein „Aktiv im Kiez e.V.“ 20 Jahre und auch der „Lebendige Adventskalender“ wird seit 20 Jahren gepflegt.
Eine Nachbarschaft lebt auch von Menschen: ein Interview mit Siemen Dallmann, der seit über 20 Jahren im Sprengelkiez lebt und ehrenamtlich in den Projekten aktiv ist.
Siemen, Du kamst im Jahr 1978 spontan und begeistert nach Berlin (West), hast die 1970er in dieser damals recht aufmüpfigen Stadt genossen, bist seit etwa 2001 im Sprengelkiez ansässig und hast begonnen, deine städtische Heimat mitzugestalten. Was waren deine ersten Aktivitäten?
Durch eine Freundin, die hier im Tauschring aktiv war, wurde ich einbezogen in den Nachbarschaftsladen, der damals noch in der Torfstraße war. Hier gründete ich auch den Verein Aktiv im Kiez e.V. mit. Ich war von Anfang an aktiv im Quartiersrat (QR). Der QR wurde erst Ende 2016 aufgelöst, daraus ging der Runde Tisch Sprengelkiez hervor, denn die Verstetigung der QM-Arbeit wurde als wichtig angesehen.
Später habe ich die dokumentierenden Fotoarbeiten übernommen. Ich kannte alle Projekte und wurde auch angefragt als Kiezfotograf, weil ich als sensibler und korrekter Fotograf bekannt war.
Später habe ich auch für den Kiezboten, der sogar schon seit über 25 Jahren gedruckt und verteilt wird, Fotos gemacht. Ich schreibe seit Jahren auch für den Kiezboten.
Siemen, wie empfindest du die Atmosphäre im Kiez?
Früher hatten wir ein Trinkerproblem am Sparrplatz. Andere setzten sich dafür ein, die Lage zu verbessern und zu mediatieren. Ich meinte vor allem, dass man die Trinker mit einbeziehen sollte in die Lösung. So haben wir auch mit ihnen gesprochen, noch heute grüßen mich etliche von Ihnen.
Auch sonst ist es heute so, dass ich zehn Minuten oder noch früher das Haus verlasse, weil ich auf meinen Wegen hier und da Aufenthalt nehmen muss, da sich viele Gespräche ergeben, wenn man den ein oder anderen trifft, den man über die Jahre kennengelernt hat. Der Sprengelkiez ist für mich wie ein Dorf in meiner Heimat in Ostfriesland.
Du hast etliche Projekte und Vereine mitgegründet. Womit ging es los?
Mein erster Verein im Sprengelkiez war „Aktiv im Kiez e.V.“, bei dem ich seit dem Jahr 2009 auch den Vorsitz innehabe. Dort verwirklichten wir Projekte wie die Pflege des Gartens der Brüder-Grimm-Schule und den Lebendigen Adventskalender. Wir waren auch drei Jahre der Herausgeber des Kiezboten, haben in der Sprengelstraße 15, im Nachbarschaftsladen in Kooperation mit zwei Anwälten eine Hartz IV-Beratung aufgebaut und vieles mehr. Später schlief der Verein etwas ein.
Aber auch der Runde Tisch Sprengelkiez ist Veranstalter von nachbarschaftlichen Events. Das ging dort auch ohne Mitgliedschaft in einem Verein.
Wir gründeten beim Runden Tisch Sprengelkiez die AG Klima und die AG Verkehr. In der AG Verkehr war auch Norbert Schneider aus dem Brüsseler Kiez als Mitgründer dabei. Später waren wir erstaunt, dass das Bezirksamt auf unsere Beobachtungen, Ausarbeitungen und Konzepte zurückgriff und diese auch umsetzte.
Du sprachst auch den Lebendigen Adventskalender an, der nun auch 20 wurde…
Zusammen mit dem bereits leider verstorbenen Klaus Wolfermann habe ich den Lebendigen Adventskalender unter Beteiligung vieler Organisationen und privater Nachbarn eingerichtet und wir hatten letztlich bereits Nachfolger zur Übernahme gesucht. Mittlerweile, wie also im Dezember 2022, ist nach den Auflagen in der Coronazeit der Lebendige Adventskalender wieder besucht wie zuvor.
Wie ging es weiter mit Aktiv im Kiez e.V.?
Für die Organisation und Verwaltung verschiedener neu gegründeter Projekte möchten wir die Gemeinnützigkeit für den Verein erwerben und sind dran an dem Verfahren, das man dazu bei der Finanzbehörde einleiten muss.
So haben wir neue Mitgliedschaften geworben und den Verein wieder mit Leben erfüllt.
Siemen, macht ihr auch etwas für Senioren?
Ich selber bin derzeit auf einer halben Stelle über das Bezirksamt im SprengelHaus beschäftigt und organisiere die Seniorenarbeit. Des weiteren bin ich mit 20 % im Kirchenkreis Nord Ost, wo ich in der Flüchtlingsarbeit arbeite, also mich um Familien und einzelne Personen kümmere, die im Kirchenasyl sind. Das ist eine Aufgabe, die mir sehr viel Spaß macht und die ich auch nach meiner Berentung fortführen werde.
Was waren weitere deiner politischen Aktivitäten?
Über eine getauschte Mailadresse meiner Freundin bin ich zunächst zufällig an die ersten Infos zur Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) geraten. Diese Initiative hat mich sofort gefesselt und ich stieg ein. Wir gründeten im Sommer 2004 einen Verein, Ende des Jahres wurde die Parteigründung in einer Urabstimmung beschlossen, die im Januar 2005 stattfand. Ich war zunächst im Vorstand der Bezirksgruppe Mitte, zum Schluss sogar im Geschäftsführenden Vorstand des Landesverband Berlin der WASG. Hier habe ich mich sehr intensiv mit den Bezirksgruppen befasst. Ich informierte und vermittelte dort zwischen all den vielen Gruppierungen. Ich wollte jedoch eigenständig mit der WASG bleiben und trat daher noch im Juni 2007 aus, bevor die Fusion mit Die Linke entstand.
Wie hast du die Arbeit im Kiez, die teils anspruchsvoll ist, bewältigt?
Ich habe beispielsweise eine Ausbildung in Stadtteilmediation im SprengelHaus absolviert.
Was ist das Besondere am Spregelkiez im Umfeld der angrenzenden Stadtteile, denn nicht alle Kieze realisieren ein so hohes Angebot mit Beteiligung der Anwohnerschaft?
Wir haben keine schneidende Verkehrsstraße im Wohngebiet, die die Bürger trennt und abschreckt. Hinzu kommt, dass wir zwei Kirchengemeinden haben, den wunderbaren sogar schon 50 Jahre alten TELUX Abenteuerspielplatz nebst dem daneben angesiedelten Kinderbauernhof, die Julateg Wedding e.V. Weiterhin haben wir den Nachbarschaftsladen, in dem man Räume für nicht-private, aber vielfältige Zwecke auf Zeit mieten kann.
Siemen, zum Abschluss eine Frage zu deinen eigenen Wünschen für eine schöne nachbarschaftlich aktive Zeit im Alter. Da ich annehme, dass du auch ab Renteneintritt im Kiez bleiben wirst, möchte ich gern fragen, was du dir für dich selber beim Altern im Sprengelkiez vorstellst, planst und wünschst.
Ich werde erst einmal ein paar Jahre so weitermachen, die Kräfte weiterhin bündeln. Und ich hoffe, dass es mir gesundheitlich auch so vergönnt sein wird. Ich sage immer: „Ich bin gut integriert im Kiez!“
Ich gebe Kiezspaziergänge für Seniorinnen und Senioren zweimal im Jahr. Auch bin ich seit neun Jahren im Vorstand des Gemeindekirchenrats (GKR) und ein paar weitere regelmäßige monatliche Termine mit Andacht und Gesprächsrunde gehören auch zu meinen Aktivitäten. Das ist schon ein fast voller Terminkalender!
Gespräch, Text und Fotos © Renate Straetling
Adressen im Sprengelkiez und Links
SprengelHaus Interkulturelles Gemeinwesen Zentrum mit Gesundheitsförderung
Sprengelstraße 15
13353 Berlin
Telefon: 03045028524
E Mail: [email protected]
https://sprengelhaus-wedding.de
www.runder-tisch-sprengelkiez.de
www.lebendiger-adventskalender-online.de
Kiezbote auf Facebook
www.facebook.com/groups/1529547430613099
Nachbarschaft “Aktiv im Kiez“
https://www.facebook.com/nachbarschaftsladen/
Lang lebe der Siemen!