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Hohe Hygienestandards und moderne Ausstattung: Das Jüdische Krankenhaus

18. Oktober 2020
Herbert Sonnenfeld, Durchreiche zwischen OP und Instrumentensterilisation im Jüdischen Krankenhaus in Berlin, Iranische Straße 2, ca. 1935; Jüdisches Museum Berlin, Ankauf aus Mitteln der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin
Her­bert Son­nen­feld, Durch­rei­che zwi­schen OP und Instru­men­ten­ste­ri­li­sa­ti­on im Jüdi­schen Kran­ken­haus in Ber­lin, Ira­ni­sche Stra­ße 2, ca. 1935; Jüdi­sches Muse­um Ber­lin, Ankauf aus Mit­teln der Stif­tung Deut­sche Klas­sen­lot­te­rie Berlin

Ein­ge­weiht am 22. Juni 1914, war die Errich­tung des Jüdi­schen Kran­ken­hau­ses an der Ira­ni­schen Stra­ße (ehe­mals Exer­zier­stra­ße) Ecke Heinz-Galink­si-Stra­ße (ehe­mals Schul­stra­ße) ein finan­zi­el­ler Kraft­akt für die Jüdi­sche Gemein­de. Ins­ge­samt kos­te­te der Kran­ken­haus-Neu­bau über 3,25 Mil­lio­nen Mark. Kur­ze Zeit vor­her (ab 1899) ent­stand im Wed­ding das deut­lich grö­ße­re Rudolf-Virch­ow-Kran­ken­haus (eröff­net 1906). In die­sem Bei­trag geht es um die inno­va­ti­ven Maß­nah­men zur Ver­bes­se­rung der hygie­ni­schen Bedin­gun­gen, die bei der Eröff­nung des Jüdi­schen Kran­ken­hau­ses beson­ders betont wurden.

Herbert Sonnenfeld, Der Operationssaal im Jüdischen Krankenhaus in Berlin, Iranische Straße 2, Berlin ca. 1935; Jüdisches Museum Berlin, Ankauf aus Mitteln der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin
Her­bert Son­nen­feld, Der Ope­ra­ti­ons­saal im Jüdi­schen Kran­ken­haus in Ber­lin, Ira­ni­sche Stra­ße 2, Ber­lin ca. 1935; Jüdi­sches Muse­um Ber­lin, Ankauf aus Mit­teln der Stif­tung Deut­sche Klas­sen­lot­te­rie Berlin 

Jüdi­sches Kran­ken­haus: Von der Idee zur Pla­nung – 1903 bis 1910

Im Jahr 1903 – kurz nach der Ein­wei­hung des drit­ten Jüdi­schen Alters­heim (Geschich­te des Jüdi­schen Alters­heims) an der Exer­zier­stra­ße (heu­ti­gen Ira­ni­schen Stra­ße) – began­nen die Bera­tun­gen über den Neu­bau eines Jüdi­schen Kran­ken­hau­ses auf der gegen­über­lie­gen­den Stra­ßen­sei­te. Es ver­gin­gen gut drei Jah­re bis Der Gemein­de­bo­te im Okto­ber 1906 berich­te­te: „Das neue gro­ße Kran­ken­haus, das die jüdi­sche Gemein­de auf dem von der Stadt Ber­lin erwor­be­nen Gelän­de an der Schul- und Exer­zier­stra­ße erbaut, wird im nächs­ten Früh­jahr in Angriff genom­men wer­den. Auf dem elf Mor­gen gro­ßen Ter­rain befin­det sich jetzt die Lau­ben­ko­lo­nie Nord­kap, die 226 Lau­ben zählt“.

Im Früh­jahr 1906 erfolg­te die Aus­schrei­bung für die Kran­ken­haus­ent­wür­fe. Es konn­ten sich Archi­tek­ten aus Deutsch­land, Öster­reich und der Schweiz mit ihren Ent­wür­fen betei­li­gen. Die­se muss­ten bis zum 01.10.1906 ein­ge­reicht wer­den. Inter­es­sier­te konn­ten vom 15.12. bis zum 29.12.1906 von 10 bis 15 Uhr die zahl­rei­chen Ent­wür­fe in der Aula der Kna­ben­schu­le in der Gro­ßen Ham­bur­ger Stra­ße ein­se­hen. Das Preis­ge­richt ver­gab zwei ers­te Prei­se. Die­se gin­gen an Karl Bonatz (Straß­burg) und die Archi­tek­ten Rei­mer und Kör­te, wobei nur letz­te­re 1910 mit der fina­len Aus­ar­bei­tung ihrer Plä­ne beauf­tragt wur­den. Ein Preis­geld erhielt auch der Archi­tekt Wil­helm Grie­me aus Wil­mers­dorf. Zum Ankauf emp­foh­len wur­den die bei­den Ent­wür­fe von: H. Schmie­den (Bau­rat, Ber­lin) und J. Boeth­ke (Regie­rungs­bau­meis­ter, Ber­lin) sowie Alex­an­der Hohr­ath (Dres­den) und Paul Hohr­ath (Mün­chen).

Bau­fort­schritt an der Exer­zier­stra­ße und ein neu­es Schwes­tern­heim – 1910 bis 1914

Im Som­mer 1912 waren die Haupt­ge­bäu­de des neu­en Jüdi­schen Kran­ken­hau­ses im Roh­bau fer­tig. Das Ver­wal­tungs­ge­bäu­de an der Exer­zier­stra­ße sogar fast voll­endet. Es heißt: „Das Kran­ken­haus erhält eine der moderns­ten hygie­ni­schen Anfor­de­run­gen ent­spre­chen­de gro­ße Ent­bin­dungs­sta­ti­on“, so ein Bericht im Gemein­de­bo­te vom 02.08.1912.

Zu die­sem Zeit­punkt began­nen die Bau­ar­bei­ten auf dem unmit­tel­bar süd­west­lich anschlie­ßen­den Grund­stück an der Exer­zier­stra­ße zur Errich­tung des neu­en Schwes­tern­heims – heu­te Ira­ni­sche Stra­ße 4. Über die räum­li­che Anord­nung heißt es: „Der hin­ter dem Haus befind­li­che Gar­ten wird direkt in das Kran­ken­haus füh­ren, ohne daß die Aerz­te, die Obe­rin oder Schwes­tern die Stra­ße zu über­que­ren brau­chen“, berich­tet Dr. Bloch’s Wochen­schrift am 14.06.1912. Über die zukünf­ti­ge Kapa­zi­tät steht geschrie­ben: „Das neue Schwes­tern­heim wird allen moder­nen Anfor­de­run­gen genü­gen und Raum für 80 Schwes­tern und 20 Schü­le­rin­nen bie­ten“, denn allein das neue Kran­ken­haus brauch­te über 40 Schwestern.

Umge­ben von Grün­an­la­gen: Das Gesamt­are­al und die hygie­ni­schen Maß­nah­men in den bei­den Hauptgebäuden

Auf dem weit­läu­fi­gen Grund­stück mit einer Flä­che von knapp 40 ha ent­stan­den bis 1914 das Ver­wal­tungs­ge­bäu­de, Haupt-Kran­ken­ge­bäu­de, Wirt­schafts­ge­bäu­de, der Infek­ti­ons-Pavil­lon, ein Gebäu­de für die Gynä­ko­lo­gi­sche Anstalt sowie Ent­bin­dungs­sta­ti­on und an der Schul­stra­ße das Lei­chen­haus und Labo­ra­to­ri­um sowie ein Pfört­ner­haus. In den Neu­bau sind die Abtei­lun­gen des alten Jüdi­schen Kran­ken­hau­ses – es befand sich ab 1861 in der August­stra­ße – ein­ge­zo­gen. Alle Gebäu­de ver­füg­ten über elek­tri­sches Licht und vie­le inno­va­ti­ve Lösungen.

Zu den beson­de­ren hygie­ni­schen Maß­nah­men gehör­te, dass im Unter­ge­schoss des Ver­wal­tungs­ge­bäu­des, mit direk­tem Zugang von außen, eine Bade­stu­be für die Schwes­tern ein­ge­rich­tet wur­de, die von der Pfle­ge infek­tiö­ser Kran­ker aus der Stadt heim­kehr­ten. Im eigent­li­chen Kran­ken­ge­bäu­de gab es einen Flü­gel für die Frau­en und einen für die Män­ner. Dazwi­schen das Trep­pen­haus mit Auf­zug vom Kel­ler bis zum Dach­ge­schoss. Die Böden in den Kran­ken­zim­mern erhiel­ten Lin­ole­um, die Flu­re und Vor­räu­me Kor­klin­ole­um und Bäder sowie Ope­ra­ti­ons­räu­me Flie­sen. Beson­de­ren Wert wur­de auf die Aus­füh­rung der Türen (1,10 x 2,20m) gelegt, denn sie erhiel­ten beid­sei­tig Lin­ole­um und die Umrah­mung der Tür bis 1,8 m gla­sier­te Flie­sen, um die oft berühr­ten Ober­flä­chen ein­fach rei­ni­gen zu kön­nen. Fer­ner wur­den sämt­li­che Lei­tun­gen – in bewuß­tem Gegen­satz zu ande­ren Kran­ken­haus­bau­ten – ver­deckt ver­legt und Kon­so­len so ange­bracht, dass sie mit der Wand unmit­tel­bar ver­bun­den waren und all­sei­tig abge­wischt wer­den konn­ten. Hier­für kamen Kon­so­len in ham­mer­fest por­zel­lan-email­lier­ten Guss­ei­sen zum Einsatz.

Beson­de­res Augen­merk galt den OP-Sälen. Für den gro­ßen OP-Saal wur­de auf vier Din­ge geach­tet: 1. Ver­mei­dung schlecht zu rei­ni­gen­der Schmutz­ab­la­ge­run­gen; 2. Ver­mei­dung des sich oft her­ab­sin­ken­den kal­ten Luft­zugs; 3. Fern­hal­ten von ärzt­li­chen Besu­chern und 4. Ein­fa­ches öff­nen der Fens­ter im Glas­vor­bau, so die Beschrei­bung im Zen­tral­blatt der Bau­ver­wal­tung. Dem­entspre­chend wur­den alle Wän­de und Böden ohne Vor­sprün­ge aus­ge­führt. Es gab im eigent­li­chen OP-Saal kei­ne Heiz­kör­per son­dern es wur­den eiser­ne Dop­pel­fens­ter so weit aus­ein­an­der gerückt, dass ein 50 cm brei­ter Umgang ent­stand, der die Hei­zung auf­nimmt. So konn­te eine gleich­mä­ßi­ge Erwär­mung des OP-Saals erreicht wer­den. Zudem wur­den Heiz­kör­per zwi­schen äuße­ren Glas­dach und inne­rer Glas­de­cke plat­ziert. Ver­zich­tet wur­de auf die Zufüh­rung von Frisch­luft durch Kanä­le. In einem sepa­ra­ten Raum erfolg­te die Vor­be­rei­tung der Instru­men­te. In der Wand befand sich eine Öff­nung, um im OP-Saal die Instru­men­te in Emp­fang zu neh­men. Fer­ner gab es im Kran­ken­haus extra Räu­me zum Wech­seln der Verbände.

Klei­ne Pavil­lon­bau­ten für mehr Sicher­heit: Lei­chen­haus, Infek­ti­ons­haus und Entbindungshaus

Eben­falls als fort­schritt­lich kann der Lei­chen­trans­port bezeich­net wer­den, denn das Lei­chen­haus war über unter­ir­di­sche Gän­ge mit den Sta­tio­nen ver­bun­den: „Im Kel­ler sind die Lei­chen­kam­mern, im Erd­ge­schoß zwei Sek­ti­ons­räu­me und ein Zim­mer für mikro­sko­pi­sche Unter­su­chun­gen, in der ers­ten Eta­ge sol­che für bak­te­rio­lo­gi­sche, sero­lo­gi­sche und che­mi­sche Unter­su­chun­gen, wäh­rend im Ober­ge­schoss ein patho­lo­gisch-ana­to­mi­sches Muse­um errich­tet wird“, so der Gemein­de­bo­te vom 24.07.1914. Wich­tig für den Kran­ken­haus­be­trieb war der sepa­ra­te Infek­ti­ons-Pavil­lon mit 30 Bet­ten für Masern‑, Schar­lach- und Diph­the­rie­kran­ke und eine Qua­ran­tä­ne­sta­ti­on. Für eine größt­mög­li­che Sicher­heit gab es vier völ­lig gegen­ein­an­der abge­trenn­te Ein­gän­ge. Auch gab es einen Auf­zug in dem zwei­ge­schos­si­gen Gebäu­de für die Spei­sen, die nur durch Durch­rei­chen vom Auf­zug aus in die Abtei­lung gege­ben wurden.

Auf dem Gelän­de des neu­en Jüdi­schen Kran­ken­hau­ses gab es eben­falls für best­mög­li­che hygie­ni­sche Bedin­gun­gen einen sepa­ra­ten zwei­ge­schos­si­gen Pavil­lon­bau für Ent­bin­dun­gen mit­samt gynä­ko­lo­gi­scher Abtei­lung: „Im Erd­ge­schoß befin­det sich die Ent­bin­dungs­sta­ti­on mit 10 Bet­ten, in einem Flü­gel des Gebäu­des die Säle für asep­ti­sche und sep­ti­sche Ent­bin­dun­gen, denen im obe­ren Geschoß die Ope­ra­ti­ons­sä­le für gynä­ko­lo­gi­sche Ope­ra­tio­nen entsprechen“. 

Fort­schritt: Pavil­lon­ar­chi­tek­tur, pfle­ge­leich­te Mate­ria­li­en und abge­stimm­te Hygienekonzepte

Die Gegen­sät­ze könn­ten nicht grö­ßer sein, denn wäh­rend die Fas­sa­den der Gebäu­de eher kon­ser­va­tiv tra­di­tio­nell wir­ken, wur­de sehr viel Wert auf die hygie­ni­schen Bedin­gun­gen gelegt. Eigens hier­für ent­wi­ckel­te innen­ar­chi­tek­to­ni­sche Lösun­gen setz­te man um. Eben­so kamen moder­ne Mate­ria­li­en in den Räu­men zum Ein­satz, um ein opti­ma­les Rei­ni­gungs­er­geb­nis zu erzie­len. Somit gehör­te das Jüdi­sche Kran­ken­haus bei sei­ner Eröff­nung im Juni 1914 mit zu den moderns­ten Kran­ken­haus­bau­ten Berlins. 

Zum Autor: Cars­ten Schmidt (Dr. phil.), pro­mo­vier­te am Fried­rich-Meine­cke-Insti­tut der FU Ber­lin. Sein Inter­es­sens­schwer­punkt für Stadt­ge­schich­te ver­folgt einen inter­dis­zi­pli­nä­ren Ansatz zwi­schen Gesell­schaft- und Archi­tek­tur­ge­schich­te. Er ist Autor des Buchs: Man­hat­tan Modern, Archi­tek­tur als Gesell­schafts­auf­trag und Aus­hand­lungs­pro­zess, 1929–1969, und freut sich über Anre­gun­gen und Kritik.

Carsten Schmidt

Zum Autor: Carsten Schmidt (Dr. phil.), promovierte am Friedrich-Meinecke-Institut der FU Berlin. Sein Interessensschwerpunkt für Stadtgeschichte verfolgt einen interdisziplinären Ansatz zwischen Gesellschaft- und Architekturgeschichte. Er ist Autor des Buchs: Manhattan Modern. Im Juni 2023 erschien sein neues Buch Bittersweet - Jüdisches Leben im Roten Wedding, 1871–1933 Zu finden ist er auch auf Twitter.

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