Eingeweiht am 22. Juni 1914, war die Errichtung des Jüdischen Krankenhauses an der Iranischen Straße (ehemals Exerzierstraße) Ecke Heinz-Galinksi-Straße (ehemals Schulstraße) ein finanzieller Kraftakt für die Jüdische Gemeinde. Insgesamt kostete der Krankenhaus-Neubau über 3,25 Millionen Mark. Kurze Zeit vorher (ab 1899) entstand im Wedding das deutlich größere Rudolf-Virchow-Krankenhaus (eröffnet 1906). In diesem Beitrag geht es um die innovativen Maßnahmen zur Verbesserung der hygienischen Bedingungen, die bei der Eröffnung des Jüdischen Krankenhauses besonders betont wurden.
Jüdisches Krankenhaus: Von der Idee zur Planung – 1903 bis 1910
Im Jahr 1903 – kurz nach der Einweihung des dritten Jüdischen Altersheim (Geschichte des Jüdischen Altersheims) an der Exerzierstraße (heutigen Iranischen Straße) – begannen die Beratungen über den Neubau eines Jüdischen Krankenhauses auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Es vergingen gut drei Jahre bis Der Gemeindebote im Oktober 1906 berichtete: „Das neue große Krankenhaus, das die jüdische Gemeinde auf dem von der Stadt Berlin erworbenen Gelände an der Schul- und Exerzierstraße erbaut, wird im nächsten Frühjahr in Angriff genommen werden. Auf dem elf Morgen großen Terrain befindet sich jetzt die Laubenkolonie Nordkap, die 226 Lauben zählt“.
Im Frühjahr 1906 erfolgte die Ausschreibung für die Krankenhausentwürfe. Es konnten sich Architekten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz mit ihren Entwürfen beteiligen. Diese mussten bis zum 01.10.1906 eingereicht werden. Interessierte konnten vom 15.12. bis zum 29.12.1906 von 10 bis 15 Uhr die zahlreichen Entwürfe in der Aula der Knabenschule in der Großen Hamburger Straße einsehen. Das Preisgericht vergab zwei erste Preise. Diese gingen an Karl Bonatz (Straßburg) und die Architekten Reimer und Körte, wobei nur letztere 1910 mit der finalen Ausarbeitung ihrer Pläne beauftragt wurden. Ein Preisgeld erhielt auch der Architekt Wilhelm Grieme aus Wilmersdorf. Zum Ankauf empfohlen wurden die beiden Entwürfe von: H. Schmieden (Baurat, Berlin) und J. Boethke (Regierungsbaumeister, Berlin) sowie Alexander Hohrath (Dresden) und Paul Hohrath (München).
Baufortschritt an der Exerzierstraße und ein neues Schwesternheim – 1910 bis 1914
Im Sommer 1912 waren die Hauptgebäude des neuen Jüdischen Krankenhauses im Rohbau fertig. Das Verwaltungsgebäude an der Exerzierstraße sogar fast vollendet. Es heißt: „Das Krankenhaus erhält eine der modernsten hygienischen Anforderungen entsprechende große Entbindungsstation“, so ein Bericht im Gemeindebote vom 02.08.1912.
Zu diesem Zeitpunkt begannen die Bauarbeiten auf dem unmittelbar südwestlich anschließenden Grundstück an der Exerzierstraße zur Errichtung des neuen Schwesternheims – heute Iranische Straße 4. Über die räumliche Anordnung heißt es: „Der hinter dem Haus befindliche Garten wird direkt in das Krankenhaus führen, ohne daß die Aerzte, die Oberin oder Schwestern die Straße zu überqueren brauchen“, berichtet Dr. Bloch’s Wochenschrift am 14.06.1912. Über die zukünftige Kapazität steht geschrieben: „Das neue Schwesternheim wird allen modernen Anforderungen genügen und Raum für 80 Schwestern und 20 Schülerinnen bieten“, denn allein das neue Krankenhaus brauchte über 40 Schwestern.
Umgeben von Grünanlagen: Das Gesamtareal und die hygienischen Maßnahmen in den beiden Hauptgebäuden
Auf dem weitläufigen Grundstück mit einer Fläche von knapp 40 ha entstanden bis 1914 das Verwaltungsgebäude, Haupt-Krankengebäude, Wirtschaftsgebäude, der Infektions-Pavillon, ein Gebäude für die Gynäkologische Anstalt sowie Entbindungsstation und an der Schulstraße das Leichenhaus und Laboratorium sowie ein Pförtnerhaus. In den Neubau sind die Abteilungen des alten Jüdischen Krankenhauses – es befand sich ab 1861 in der Auguststraße – eingezogen. Alle Gebäude verfügten über elektrisches Licht und viele innovative Lösungen.
Zu den besonderen hygienischen Maßnahmen gehörte, dass im Untergeschoss des Verwaltungsgebäudes, mit direktem Zugang von außen, eine Badestube für die Schwestern eingerichtet wurde, die von der Pflege infektiöser Kranker aus der Stadt heimkehrten. Im eigentlichen Krankengebäude gab es einen Flügel für die Frauen und einen für die Männer. Dazwischen das Treppenhaus mit Aufzug vom Keller bis zum Dachgeschoss. Die Böden in den Krankenzimmern erhielten Linoleum, die Flure und Vorräume Korklinoleum und Bäder sowie Operationsräume Fliesen. Besonderen Wert wurde auf die Ausführung der Türen (1,10 x 2,20m) gelegt, denn sie erhielten beidseitig Linoleum und die Umrahmung der Tür bis 1,8 m glasierte Fliesen, um die oft berührten Oberflächen einfach reinigen zu können. Ferner wurden sämtliche Leitungen – in bewußtem Gegensatz zu anderen Krankenhausbauten – verdeckt verlegt und Konsolen so angebracht, dass sie mit der Wand unmittelbar verbunden waren und allseitig abgewischt werden konnten. Hierfür kamen Konsolen in hammerfest porzellan-emaillierten Gusseisen zum Einsatz.
Besonderes Augenmerk galt den OP-Sälen. Für den großen OP-Saal wurde auf vier Dinge geachtet: 1. Vermeidung schlecht zu reinigender Schmutzablagerungen; 2. Vermeidung des sich oft herabsinkenden kalten Luftzugs; 3. Fernhalten von ärztlichen Besuchern und 4. Einfaches öffnen der Fenster im Glasvorbau, so die Beschreibung im Zentralblatt der Bauverwaltung. Dementsprechend wurden alle Wände und Böden ohne Vorsprünge ausgeführt. Es gab im eigentlichen OP-Saal keine Heizkörper sondern es wurden eiserne Doppelfenster so weit auseinander gerückt, dass ein 50 cm breiter Umgang entstand, der die Heizung aufnimmt. So konnte eine gleichmäßige Erwärmung des OP-Saals erreicht werden. Zudem wurden Heizkörper zwischen äußeren Glasdach und innerer Glasdecke platziert. Verzichtet wurde auf die Zuführung von Frischluft durch Kanäle. In einem separaten Raum erfolgte die Vorbereitung der Instrumente. In der Wand befand sich eine Öffnung, um im OP-Saal die Instrumente in Empfang zu nehmen. Ferner gab es im Krankenhaus extra Räume zum Wechseln der Verbände.
Kleine Pavillonbauten für mehr Sicherheit: Leichenhaus, Infektionshaus und Entbindungshaus
Ebenfalls als fortschrittlich kann der Leichentransport bezeichnet werden, denn das Leichenhaus war über unterirdische Gänge mit den Stationen verbunden: „Im Keller sind die Leichenkammern, im Erdgeschoß zwei Sektionsräume und ein Zimmer für mikroskopische Untersuchungen, in der ersten Etage solche für bakteriologische, serologische und chemische Untersuchungen, während im Obergeschoss ein pathologisch-anatomisches Museum errichtet wird“, so der Gemeindebote vom 24.07.1914. Wichtig für den Krankenhausbetrieb war der separate Infektions-Pavillon mit 30 Betten für Masern‑, Scharlach- und Diphtheriekranke und eine Quarantänestation. Für eine größtmögliche Sicherheit gab es vier völlig gegeneinander abgetrennte Eingänge. Auch gab es einen Aufzug in dem zweigeschossigen Gebäude für die Speisen, die nur durch Durchreichen vom Aufzug aus in die Abteilung gegeben wurden.
Auf dem Gelände des neuen Jüdischen Krankenhauses gab es ebenfalls für bestmögliche hygienische Bedingungen einen separaten zweigeschossigen Pavillonbau für Entbindungen mitsamt gynäkologischer Abteilung: „Im Erdgeschoß befindet sich die Entbindungsstation mit 10 Betten, in einem Flügel des Gebäudes die Säle für aseptische und septische Entbindungen, denen im oberen Geschoß die Operationssäle für gynäkologische Operationen entsprechen“.
Fortschritt: Pavillonarchitektur, pflegeleichte Materialien und abgestimmte Hygienekonzepte
Die Gegensätze könnten nicht größer sein, denn während die Fassaden der Gebäude eher konservativ traditionell wirken, wurde sehr viel Wert auf die hygienischen Bedingungen gelegt. Eigens hierfür entwickelte innenarchitektonische Lösungen setzte man um. Ebenso kamen moderne Materialien in den Räumen zum Einsatz, um ein optimales Reinigungsergebnis zu erzielen. Somit gehörte das Jüdische Krankenhaus bei seiner Eröffnung im Juni 1914 mit zu den modernsten Krankenhausbauten Berlins.
Zum Autor: Carsten Schmidt (Dr. phil.), promovierte am Friedrich-Meinecke-Institut der FU Berlin. Sein Interessensschwerpunkt für Stadtgeschichte verfolgt einen interdisziplinären Ansatz zwischen Gesellschaft- und Architekturgeschichte. Er ist Autor des Buchs: Manhattan Modern, Architektur als Gesellschaftsauftrag und Aushandlungsprozess, 1929–1969, und freut sich über Anregungen und Kritik.