Samstag Vormittag im überfüllten Gesundbrunnen-Center. Menschen strömen durch die Gänge, alle auf ihrer ganz persönlichen Mission. Die einen wollen schnell etwas besorgen, die anderen möchten in Ruhe einkaufen, und viele nutzen die Etagen als Marktplatz, wo sie Freunde und Bekannte treffen. Ich habe es eilig, vor mir schlendern drei Personen nebeneinander durch den Gang, es ist kein Herumkommen. Ich scharre buchstäblich mit den Hufen. Da! Eine Nische! Gekonnt schere ich aus, umrunde die Gruppe und – zack! – rempele ich jemanden an, den ich glatt übersehen hatte.
Mit einer entschuldigenden Geste hebe ich die Arme. „Sorry“, sage ich, doch es ist so laut, dass er mich wahrscheinlich nicht hört. Dafür höre ich ihn.
„Was soll das, du XXXXXXX!“, ruft er wütend hinter mir her.
„Idiot!“, schimpfe ich und gehe schnell weiter.
Wer hat angefangen?
Während ich Slalom durchs Center laufe, wirkt die krasse Reaktion dieses Menschen in mir nach. Ich hatte doch deutlich gezeigt, dass es mir leid tat. Warum musste er mich dann so betiteln?
Ich lasse meinen Blick über die Menge schweifen. Was ist überhaupt los mit den Leuten, frage ich mich. Überall so viel Aggressivität. Na gut, ich bin bei meinem Überholmanöver selbst nicht gerade vorausschauend gewesen. Das könnte auch aggressiv auf den Mann gewirkt haben. Die vier möglichen Reaktionen auf eine Bedrohung fallen mir ein: Es sind Angriff, Flucht, Unterwerfung oder, wenn es extrem schlimm kommt, Erstarrung. Das gehe ich gedanklich mal durch. Der Mann fühlte sich durch den Zusammenstoß bedroht und hat mit einem verbalen Angriff reagiert. Was mich wiederum zu einer aggressiven Antwort und danach zur Flucht bewogen hat. Als Kinder hätten wir gegenseitig mit dem Finger aufeinander gezeigt und gerufen: „Der/Die hat angefangen!“
Wo liegt die Ursache?
Im Laufe des Lebens lernt man, dass es sich oft nicht herausfinden lässt, wer nun angefangen hat. Denn jede Handlung entspringt einer vorausgegangenen Ursache, welche wiederum die Wirkung einer viel älteren Ursache ist. Dass der Mann nicht nur „Ey, passen Sie doch auf!“ gerufen, sondern mir eine krasse Beleidigung hinterher geschleudert hat, weist auf ein gewisses Aggressionspotenzial hin. Und das war sicherlich schon vor meinem Schulter-Rempler da. Was selbstverständlich kein Freibrief für sein Verhalten ist. Aber es hilft mir, seine Äußerungen nicht persönlich zu nehmen. Letztlich kommt es nicht darauf an, wer angefangen hat – sondern darauf, dass man unschönes Verhalten nicht zum Anlass nimmt, sich ebenfalls unschön zu verhalten.
Welche Optionen gibt es?
Das ist natürlich leichter gesagt als getan. Denn oft reagiert man, bevor man sich bewusst wird, was eigentlich los ist. Die Kunst ist also, den kleinen Moment zwischen Ereignis und der eigenen Reaktion wahrzunehmen. Hier hat man Spielraum zu wählen, was man jetzt sagen oder tun möchte. Dafür ist es immens wichtig, dass man sich irgendwann vorher mal Gedanken darüber gemacht hat, was man denn anstelle von Aggressivität noch für Optionen hat. Und sich dann bewusst dafür entscheidet, beim nächsten mal anders zu reagieren. Nach einer solchen Entscheidung bietet einem das Leben ausreichend Gelegenheiten, neue Reaktionsweisen zu üben.
Wer kann aufhören?
Im Rempel-Fall hätte ich nach dem unschönen Ausruf des Mannes einfach weitergehen können, ohne ihm auch noch etwas Unfreundliches hinterherzuwerfen. Denn mit „Idiot!“ hatte ich zwar das letzte Wort, aber auch die dazu gehörende negative Energie. Der Mann ist längst weg, aber die schlechten Vibes hab ich am Hacken. Dafür sorgen, dass ich sie nicht an anderer Stelle in die Welt trage, kann nur ich. Wie ich auf etwas reagiere, das liegt allein in meiner Verantwortung. Denn: Am Ende ist es nicht wichtig, wer angefangen hat. Viel wichtiger ist, wie man selbst damit aufhören kann.
Im Brunnenviertel nebst Gesundbrunnencenter habe ich schon ganz anderes erlebt, besser überlebt. Dies en detail zu schildern, würde die Grenze der Netiquette deutlich überschreiten, weswegen ich mir die Mühe spare.
“Wo liegt die Ursache?” – Daran, dass so viele Leute in so ein enges dunkles Center reingequetscht werden.
In den früheren Einkaufsstraßen war mehr Platz, weniger Hetze – und auch mehr Platz, sich irgendwo entspannt (und ohne Konsumzwang) hinzusetzen…
P. S. Dasselbe ist mir im KaDeWe auch schon mehrmals passiert. Das Gesundbunnencenter ist um einiges voller vor als andere Center (z. B. Schönhauser oder Potsdamer Arkaden oder Borsighallen). Und weils voller ist, gibts im Gesundbrunnen natürlich auch mehr menschliche Kontakte dieser oder jener Art …
Klar passiert es auch im KaDeWe, dass man jemanden anrempelt, denn dort ist es ja auch manchmal voll!
Der Unterschied liegt halt im weiteren Umgang mit diesem unbeabsichtigten menschlichen Kontakt!
Dort wird man eben nicht angeblafft oder gar mit Fäkalausdrücken bedacht, sondern … s.u….
Hallo in die Runde
also ich für meinen Teil meide größtenteils Menschenansammlungen, anderer seits verhalte ich mich grundsätzlich defensiv überall dort wo rempeln angesagt ist , zb volle BVG Bahnöfe – züge
Was aber immer fantastisch klappt ist : werde ich angerempelt kommt von mir ein .… nix passiert alles gut / sollte ich mal rempeln .… Entschuldigung und ein fester Blick in die Augen und immer LÄCHELN !! ganz wichtig da kommt dann nix mehr vom Anderen (kein Wxxxxer oder Hxxxxsohn oä) wenn doch .… weiter lächeln und notfalls eine beschwichtigende Geste mit der Hand, ungefähr so
https://bildagentur.panthermedia.net/m/lizenzfreie-bilder/9186614/frau-die-stop-geste-mit-der/
oder so
https://ethica-rationalis.org/geste-der-versoehnung-ein-ethisches-dilemma-was-denken-sie/
in diesem Sinne rempelfreie Woche
Nachvollziehbar, wenn man sich so ungeschickt im Gesundbrunnencenter bewegt!
Mag aber durchaus auch an der dortigen Klientel liegen! Eine derartige Grobheit ist mir im KaDeWe noch nie passiert!
Man entschuldigt sich gegenseitig und gut ist! Das ist einfach nur gelernte und angewandte Höflichkeit!
Mensch Jupp Schmitz
haste wieder mal meinen Humor getroffen.… dortige Klientel.… :))))) aber nicht deutlicher werden, das wäre nicht woke :))
Im KDW kann mir das nicht passieren, weil ich dort nur ganze 2x im Leben einkaufen war.…
Netten Sonntag noch
Sorry – aber es gibt tatsächlich Unterschiede in der Klientel des Gesundbrunnencenters und dem KaDeWe!
Nur 2x dagewesene? Tja – einfach mal wieder hin und Atmosphäre und nette, höfliche Leute genießen. Vorsicht: Könnte aber auch nen Kulturschock auslösen.. 😂
ist mir bewußt mit dem Klientel-Unterschied
mich schockt so leicht nix mehr , wenn man zw Müller und Schönhauser pendelt 😉
Wieso? Er hat doch Recht. Das ist ja in den Borsighallen schon anders. Es liegt am Klientel.
In Städten und großen Gemengen gibt es diese Ungleichzeitigkeiten von Reaktionen, selbst wenn alle Passanten in Höflichkeitesregeln geschult sind. Man rempelt versehentlich jemanden in dessen schönen Moment beim Schlendern an, den er genießen wollte und störte heftig; dann geht jemanden ggfls. die Störung als Beschimpfung über die Lippen.
Es fragt sich, welche Regeln wie weit reichend im Gewühl noch gelten können.
Mit dem sachten, bedachten Geschubse in den Städten und bei den Events müssen wir leben, denke ich!