Das Weddinger Projekt »Flüchtlinge Willkommen« vermittelt geflüchtete Menschen an Wohngemeinschaften in ganz Deutschland. Egal, ob Studenten-WG, Familienwohnung oder Singlehaushalt – jeder kann ein freies Zimmer zur Verfügung stellen. Jonas Kakoschke, einer der Initiatoren, erklärt wie das funktioniert und was in der deutschen Flüchtlingspolitik schief läuft. Mit ihm sprach Hannah Wagner.
Viele Flüchtlingsorganisationen sammeln Sachspenden oder organisieren Freizeitgestaltung, euer Projekt dagegen vermittelt Geflüchtete an WGs. Was ist die Idee hinter dem Konzept?
Jonas: Geflüchtete Menschen leben nach ihrer Ankunft in Deutschland in der Regel in Massenunterkünften. Diese liegen oft am Stadtrand und sind in unseren Augen stigmatisierend, da sie den dort lebenden Menschen die Möglichkeit nehmen, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und mit Nicht-Geflüchteten in Kontakt zu kommen. Wohngemeinschaften zwischen Geflüchteten und Nicht-Geflüchteten bieten eine tolle Möglichkeit, Vorurteile auf beiden Seiten abzubauen und in einen Dialog zu treten.
Der erste Geflüchtete, der vermittelt wurde, war Bakary aus Mali – und zwar an deine eigene WG.
Jonas: Genau, Bakarys Einzug im vergangenen Dezember war quasi der Startpunkt für unser Projekt, auch wenn das damals noch nicht geplant war: Meine Freundin Mareike hatte eine Zusage für einen Job in Kairo bekommen und so war in unserer Wohnung für zehn Monate ein Zimmer frei. Wir haben uns dazu entschieden, das Zimmer nicht ganz normal zu vermieten, sondern einem Geflüchteten zur Verfügung zu stellen. Anfangs dachten wir, dass ein großer bürokratischer Aufwand auf uns zukommen würde, aber überraschenderweise verlief Bakarys Einzug dann total unkompliziert. Also haben wir den Plan gefasst, eine Plattform zu gründen, um unsere Erfahrungen zu teilen und das Konzept publik zu machen. Nach nicht mal einem Jahr haben wir schon über 40 geflüchtete Menschen vermitteln können.
Eine Wohngemeinschaft meldet sich bei euch und stellt ein Zimmer zur Verfügung. Wie geht es weiter?
Jonas: Jede WG, die sich bei uns meldet, muss zunächst ein Anmeldeformular ausfüllen, auf dem unter anderem abgefragt wird, wie viele Leute in der Wohnung leben oder welche Sprachen gesprochen werden. Auf dieser Grundlage suchen wir dann nach einem Geflüchteten, der in diese WG passt. Dazu arbeiten wir mit Partnerorganisationen wie AWO und Caritas und mit Projekten, die sich auf lokaler Ebene für Geflüchtete einsetzen, zusammen. Wenn wir dann jemanden gefunden haben, kümmern wir uns um einen Paten, der dem Geflüchteten als Ansprechpartner zur Seite steht und beim ersten Kennenlernen mit den WG-Bewohnern dabei ist. Es können sich aber natürlich auch Geflüchtete direkt bei uns melden, dann vermitteln wir einfach andersherum.
Können nur Menschen vermittelt werden, die legal in Deutschland leben?
Jonas: Nein, wir sind komplett statusoffen, das heißt, wir vermitteln auch Menschen, die »illegalisiert« in Deutschland leben. In unseren Augen ist es unmenschlich, Menschen in Gruppen einzuteilen und zu sagen, ob jemand legal oder illegal geflüchtet ist.
Geflüchtete haben kurz nach ihrer Ankunft in Deutschland in der Regel nicht genug Geld, um sich ein Zimmer in einer WG leisten zu können. Wer übernimmt die Mietkosten?
Jonas: Das ist ein wichtiger Punkt, denn viele WGs denken zunächst, sie müssten die Mietkosten für ihren neuen Mitbewohner aus eigener Tasche bezahlen. Doch genau das wollen wir nicht. Stattdessen gibt es verschiedene Finanzierungsmöglichkeiten: Zuerst einmal gibt es bestimmte Bundesländer, in denen eine dezentrale Unterbringung gefördert wird, dort kann man eine Kostenübernahme beantragen. Das geht natürlich nur bei Geflüchteten, die legal in Deutschland leben. Die zweite Möglichkeit ist das so genannte »Mikrofunding«, das heißt, die WG-Bewohner sammeln Spenden in ihrem Freundes– und Bekanntenkreis. Sollte das nicht klappen, ist auch ein Mikrofunding über unsere Homepage möglich: Wir vermitteln die jeweilige WG dann an Menschen, die sich in unserer Datenbank als Spender registriert haben.
Eure Homepage richtet sich an Leute, die »den Umgang mit geflüchteten Menschen in Deutschland nicht gut finden«. Was genau läuft schief in der deutschen Flüchtlingspolitik?
Jonas: Unsere derzeitigen Gesetze hindern geflüchtete Menschen daran, in Deutschland anzukommen. Da sind zum einen die bereits angesprochenen Massenunterkünfte, in denen Menschen auf engstem Raum zusammengepfercht werden. Wenn so viele Menschen aus verschiedenen Ländern, Kulturen und Religionen in einer so deprimierenden Umgebung und ohne Beschäftigung zusammen leben, ist es kein Wunder, wenn es dort mitunter zu Streit kommt. Darüber hinaus bekommen Geflüchtete teilweise jahrelang keine Arbeitserlaubnis, obwohl die meisten von ihnen sehr gerne arbeiten würden. Das wiederum fördert das Vorurteil vom Geflüchteten als »Sozialschmarotzer«, der auf Kosten des deutschen Sozialstaats leben will. Dabei ist das völliger Quatsch: Niemand verlässt für Hartz IV sein Heimatland und seine Familie.
Was entgegnest du Leuten, die der Meinung sind, Deutschland könne nicht noch mehr Flüchtlinge aufnehmen?
Jonas: Deutschland kann definitiv noch mehr Flüchtlinge aufnehmen! Es gibt so viele Länder, die viel ärmer sind als Deutschland und deren Flüchtlingszahlen die von Deutschland um ein Vielfaches übersteigen. Als reiches Land ist es unsere Pflicht, diesen Menschen zu helfen. Abgesehen davon sind viele Flüchtlingsbewegungen von Europa mit verursacht. Beispielsweise sind auf dem afrikanischen Kontinent die Folgen der Kolonialisierung noch deutlich spürbar und auch heute ist der hohe europäische Lebensstandard nur dadurch möglich, dass in er in vielen afrikanischen Ländern extrem niedrig ist. Davor die Augen zu verschließen und die Grenzen dicht zu machen, wäre unmenschlich. Wenn ich dann das Wort »Wirtschaftsflüchtling« höre, werde ich sauer: Jemand ist ein hohes Risiko eingegangen und aus seinem Heimatland geflohen, hat Familie und Freunde zurückgelassen. Da habe ich doch nicht das Recht darüber zu urteilen, ob diese Flucht nun berechtigt war oder nicht.
Bei euch in der WG ist gerade ein Zimmer frei, ihr wollt spenden oder einfach nur mehr Informationen über das Projekt?
facebook.com/fluechtlingewillkommen
Dieser Beitrag erschien ursprünglich im Magazin Spree – Stadtstudenten.
Autorin: Hannah Wagner
Wir müssen was tun und alle Menschen mit Initiative machen den ersten Schritt! Weiter so und danke für den Gedankenaustausch!
super sache! ich gehe gerade für ein jahr ins ausland und bin sehr froh, dass mir jemand dort ein zimmer zu einem fairen preis vermietet. wie viel wichtiger ist es hier im eigenen land etwas zu tun, gerade bei den vielen negativmeldungen. danke für euer engagement!!!