Nur einer fehlt: Spandau. Alle anderen mit Stadtentwicklung betrauten Stadträte der zwölf Berliner Bezirke schreiben einen Brief an die Fraktionen der Bundesregierung. Die Bezirkspolitiker fordern, dass der Vorkauf wieder möglich wird. Im Wedding und im Gesundbrunnen gab es in den letzten Jahren einige Fälle, in denen Investoren leer ausgingen und Mieter durch landeseigene Wohnungsgesellschaften oder Genossenschaften geschützt wurden. Weil Gerichte den Vorkauf erschwerten, fordern die Stadträte nun, das Bundesgesetz zu ändern. Hier der Brief im Wortlaut:
Vorkaufsrecht in Sozialen Erhaltungsgebieten -
Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 9.11.2021
Sehr geehrte Frau Schröder, sehr geehrte Frau Tausend, sehr geehrter Herr Föst,
als für Stadtentwicklung zuständige Stadträtinnen und Stadträte der Bezirke von Berlin möchten wir an Sie appellieren, durch eine gesetzliche Klarstellung im § 26 BauGB dafür zu sorgen, dass die Ausübung des Vorkaufsrechts in Gebieten mit Sozialer Erhaltungssatzung (in Berlin Verordnung) auch weiterhin rechtssicher auf das Ziel gerichtet werden kann, die Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung auch für die Zukunft nachhaltig zu sichern.
Die Berliner Bezirke konnten seit 2017 mit Hilfe des Berliner Senats, den städtischen Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften insgesamt 96 Häuser mit 2.674 Wohnungen über das
Vorkaufsrecht erwerben. Gleichzeitig konnten über 384 Abwendungsvereinbarungen mit geschätzt 10.700 Wohnungen erhaltungsrechtlich gesichert werden.
Angesichts des anhaltenden Drucks des freien Marktes, Wohnhäuser insbesondere in Lagen mit sozial schwächerer Bevölkerungsstruktur – und somit in den ausgewiesenen Milieuschutzgebiete – zu erwerben und renditeorientiert zu verwerten, halten wir die Reaktivierung dieses Instruments für geboten.
Außerdem möchten wir darauf hinweisen, dass der Handel mit Wohnhäusern in unverminderter Geschwindigkeit fortschreitet, insofern sollte hier ein schnellstmögliches Gesetzgebungsverfahren gefunden werden.
In Erwartung einer rechtsetzenden Initiative und baldiger Antwort verbleiben wir
mit freundlichen Grüßen
=Zitat Ende=
Anlass
Nachdem ein Gericht die einfache Anwendung des Vorkaufsrechtes kippte und der öffentlichen Hand Hürden auferlegte, können die Bezirke Mieter bei einem Eigentümerwechsel ihres Wohnhauses schlechter schützen. Sie können bei einem Verkauf eines Miethauses nicht mehr in den Vertrag hineinspringen und so einen Investor verhindern. Hinzu kommt, dass Investoren versuchen, bereits unterschriebene Abwendungsvereinbarungen gerichtlich anzufechten. Abwendungen sind eine Vorstufe des Vorkaufs, durch die Mieterrechte gestärkt werden, auch ohne dass der Bezirk den Investor verhindert.
Das Vorkaufsrecht müsste auf Bundesebene im Baugesetz neu und gerichtsfest formuliert werden. Ein entsprechender Vorschlag aus Berlin wurde bislang nicht beraten.
Über die Absender
Mit dem Brief richten sich Politiker der untersten politische Ebene – der Gemeinde – an die höchste Ebene, die Bundesebene. Der in Berlin für Stadtentwicklung zuständige Senator Andreas Geisel (SPD) wird informiert. Auffällig ist, dass sieben der elf Stadträte der SPD angehören (drei der Partei Die Grünen und einer der Linken). Zugespitzt könnte man sagen: SPD-Politiker schreiben SPD-Politikern einen Brief. Die beabsichtigte Wirkung liegt also offensichtlich weniger in dem Schreiben, sondern vielmehr darin, dass die Öffentlichkeit an dem Thema dranbleibt. Zum Beispiel über Plattformen wie change.org oder dem Bundestag (openpetition.de).
Für Mitte hat Stadtrat Ephraim Gothe den Brief unterschrieben.
Formal hat Spandau keinen Stadtrat für Stadtentwicklung. Dennoch bleibt erstaunlich, dass keiner der sechs Spandauer Stadträte das Thema zu seinem Ressort zugehörig empfindet.
Über die Empfänger
Der Brief richtet sich an die baupolitischen Sprecher der Bundestagsfraktionen. Fraktionen ernennen für viele politische Themen einzelne Politiker, die im Namen der jeweiligen Fraktion sprechen. Der Brief richtet sich an die Ampelparteien. Daniel Föst ist für die FDP, Christine Johanna Schröder ist für die Grünen und Claudia Tausend ist für SPD Mitglied des Bundestages.
Auf Bundesebene für Stadtentwicklung zuständig ist das Bundesbauministerium, geführt von Klara Geywitz von der SPD. Sie erhält den Brief “nachrichtlich”. Dass das Bauministerium den Begriff Stadtentwicklung im Namen trägt, ist eine Wiederaufnahme bundesdeutscher Tradition, die von 1950 bis 1998 bestand. Dann folgte ein knappes Vierteljahrhundert, in dem Stadtentwicklung nicht im Namen eines Ministeriums erwähnt wurde.