Irgendwie leben wir Weddinger mit unseren Nachbarstadtteilen in der gleichen Gegend namens Berlin. Und wie in einer Wohnstraße oder einem Mietshaus müssen wir uns irgendwie miteinander arrangieren. Und da haben wir alle unsere Charaktermerkmale – wie im wahren Leben.
Reinickendorf: Wir Weddinger machen uns gern darüber lustig, dass dort alles „so spießig“ ist. Aber wenn wir ehrlich sind, sind die Grenzen zwischen uns und dem nördlichen Nachbarn doch sehr fließend. Meistens weiß man es noch nicht mal genau, vor allem rund um die Aroser Allee und die Holländerstraße: Wo ist da genau Wedding, wo Reinickendorf? Ohne sichtbare Demarkationslinie geht der Wedding in Reinickendorf über, und jahrzehntelang bildeten beide Bezirke ja auch den gleichen, nämlich den französischen Sektor. Am Franz-Neumann-Platz oder an der Provinzstraße ist der Nachbarstadtteil mindestens genau so bunt, abgefuckt und in die Jahre gekommen wie Teile des Weddings. Ja, wir sind eigentlich Brüder, die zwei verschiedene Lebenswege eingeschlagen haben. Aber die gleichen Wurzeln haben wir doch.
Pankow: Es brauchte nicht erst die Mauer, um die beiden Nachbarn als sehr unterschiedlich zu empfinden: Hier der dichtbesiedelte Arbeiterbezirk mit Mietskasernen und Fabriken, dort das große Dorf mit ausreichend Landluft für das Bürgertum. Zwar eint uns die Panke, die von beiden Stadtteilen mehr oder weniger lieblos behandelt wird, auch benutzen wir an der Wollankstraße den gleichen S‑Bahnhof. Ansonsten leben die Pankower aber in ihrer schicken Schöner-Wohnen-Blase, und der laute, prollige Nachbar wird ihnen für immer genau so fremd bleiben wie umgekehrt. Das ist ein bisschen schade, denn eigentlich würden sich die beiden Stadtteile super ergänzen. Ganz tief in seinem Herzen wünscht sich der Pankower vielleicht, es an Silvester einmal so richtig krachen zu lassen. Und die Weddingerin aus dem Soldiner Kiez träumt vielleicht von einer schön dekorierten Festtagstafel für die ganze Familie, wie sie die Pankower zu hohen Feiertagen auftischen.
Prenzlauer Berg: Diese beiden Zwillinge wurden bei der Geburt getrennt. Stammen zwar beide aus dem gleichen Arbeitermilieu, gingen dann aber getrennte Wege. “Der Wedding ist nicht so verkrampft hip, er ist nicht so glücklich schwanger und nicht so selten Berlin wie der Prenzlauer Berg, dafür hat er mehr Normalität und mehr Istanbul”, schrieb einmal jemand. Schon immer durch eine Bahntrasse und 30 Jahre durch eine Mauer getrennt, muss man schon über eine „Böse-“ Brücke oder durch einen dunklen Tunnel, wenn man den Nachbarn mal besuchen will. Dafür kann man aber jeweils in andere Universen abtauchen: eine gutbürgerliche, brave Welt hinter sanierten Fassaden im Prenzlauer Berg, und eine prekäre, migrantisch geprägte Welt im Sozialbau auf der Weddinger Seite. In beiden Welten gibt es zum Glück viele Ausnahmen von der Regel, und im Alltag können die beiden Nachbarn eigentlich ganz gut nebeneinander leben. Solange man sich in Ruhe lässt.
Alt-Mitte: Dieser Nachbar würde die Weddinger noch nicht mal im Treppenhaus grüßen. Die Bernauer Straße und die Mauergedenkstätte halten uns auf Abstand. Zum Glück ist das in einer Großstadt völlig okay, wo Anonymität unter Nachbarn dazugehört. Es gibt keine gemeinsamen Partys, man besucht nicht die selben Restaurants, und Gelegenheiten, sich zu begegnen, sind auf ein Minimum beschränkt. Auch baulich bevorzugen die Menschen aus der Rosenthaler Vorstadt eher die Eigentumswohnung im sanierten Altbau, während das kahlschlagsanierte Brunnenviertel eher den Charme einer Plattenbausiedlung besitzt. Eigentlich ist es verrückt, dass das wohlsituierte Mitte den armen Schlucker Wedding in den gleichen Bezirk hineinadoptiert hat.
Moabit: Leider wohnen die besten Freunde nicht immer in Sichtweite. Denn um uns zu sehen, müssen wir uns besuchen und einmal über den Kanal, den Westhafen und die Ringbahn fahren. Ansonsten haben wir oft die gleichen Ansichten, wohnen in vergleichbaren Verhältnissen und nehmen uns nicht viel in Sachen Multi-Kulti, rauer Charme und soziale Brennpunkte. Uns verbindet noch viel mehr – in unserer schönen Bezirksfamilie mit dem wohlklingenden Namen Mitte sind wir beide die bucklige Verwandtschaft, über die die Bessergestellten eher die Nase rümpfen. Zum Glück haben wir da aber ein dickes Fell und können damit gut leben.
Hallo ein Faust!
Ganz toll beschrieben, ein bißchen ironisch und lustig zugleich.
Liebe Grüße aus Ostreinickendorf.
Marina Tkotz
Ja, gemeinsam die bucklige Verwandtschaft zu sein, verbindet 🙂
Und nicht nur das.
Schönen Gruß aus Moabit!
Wer weiß schon so genau, wo die Grenze nach Reinickendorf verläuft. Ich dachte, dass ich innerhalb des Wedding umziehe, als ich in den Siedlungen um die Reginhardstraße eine Wohnung gesucht habe. Doch dann erfuhr ich: „Ostreinickendorf“ – noch nicht mal einen richtigen Namen haben wir. Wir sind das ungeliebte städtische Schmuddelkind der tonangebenden dörflichen Vororte.
Inzwischen weiß ich: Würde hier in „Ostreinickendorf“ eine Umfrage gestartet, so gäbe es eine klare Mehrheit für den Übertritt nach Pankow. Da wären wir dann die „Pankower Residenz“. Die meisten hier gehen sowieso in Pankow oder Gesundbrunnen einkaufen.