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Stadtteile rund um den Wedding:
Ein nette Nachbarschaft haben wir da

27. Dezember 2023
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Irgend­wie leben wir Wed­din­ger mit unse­ren Nach­bar­stadt­tei­len in der glei­chen Gegend namens Ber­lin. Und wie in einer Wohn­stra­ße oder einem Miets­haus müs­sen wir uns irgend­wie mit­ein­an­der arran­gie­ren. Und da haben wir alle unse­re Cha­rak­ter­merk­ma­le – wie im wah­ren Leben. 

Rei­ni­cken­dorf: Wir Wed­din­ger machen uns gern dar­über lus­tig, dass dort alles „so spie­ßig“ ist. Aber wenn wir ehr­lich sind, sind die Gren­zen zwi­schen uns und dem nörd­li­chen Nach­barn doch sehr flie­ßend. Meis­tens weiß man es noch nicht mal genau, vor allem rund um die Aro­ser Allee und die Hol­län­der­stra­ße: Wo ist da genau Wed­ding, wo Rei­ni­cken­dorf? Ohne sicht­ba­re Demar­ka­ti­ons­li­nie geht der Wed­ding in Rei­ni­cken­dorf über, und jahr­zehn­te­lang bil­de­ten bei­de Bezir­ke ja auch den glei­chen, näm­lich den fran­zö­si­schen Sek­tor. Am Franz-Neu­mann-Platz oder an der Pro­vinz­stra­ße ist der Nach­bar­stadt­teil min­des­tens genau so bunt, abge­fuckt und in die Jah­re gekom­men wie Tei­le des Wed­dings. Ja, wir sind eigent­lich Brü­der, die zwei ver­schie­de­ne Lebens­we­ge ein­ge­schla­gen haben. Aber die glei­chen Wur­zeln haben wir doch.

Pan­kow: Es brauch­te nicht erst die Mau­er, um die bei­den Nach­barn als sehr unter­schied­lich zu emp­fin­den: Hier der dicht­be­sie­del­te Arbei­ter­be­zirk mit Miets­ka­ser­nen und Fabri­ken, dort das gro­ße Dorf mit aus­rei­chend Land­luft für das Bür­ger­tum. Zwar eint uns die Pan­ke, die von bei­den Stadt­tei­len mehr oder weni­ger lieb­los behan­delt wird, auch benut­zen wir an der Wollank­stra­ße den glei­chen S‑Bahnhof. Ansons­ten leben die Pan­kower aber in ihrer schi­cken Schö­ner-Woh­nen-Bla­se, und der lau­te, prol­li­ge Nach­bar wird ihnen für immer genau so fremd blei­ben wie umge­kehrt. Das ist ein biss­chen scha­de, denn eigent­lich wür­den sich die bei­den Stadt­tei­le super ergän­zen. Ganz tief in sei­nem Her­zen wünscht sich der Pan­kower viel­leicht, es an Sil­ves­ter ein­mal so rich­tig kra­chen zu las­sen. Und die Wed­din­ge­rin aus dem Sol­di­ner Kiez träumt viel­leicht von einer schön deko­rier­ten Fest­tags­ta­fel für die gan­ze Fami­lie, wie sie die Pan­kower zu hohen Fei­er­ta­gen auftischen. 

Prenz­lau­er Berg: Die­se bei­den Zwil­lin­ge wur­den bei der Geburt getrennt. Stam­men zwar bei­de aus dem glei­chen Arbei­ter­mi­lieu, gin­gen dann aber getrenn­te Wege. “Der Wed­ding ist nicht so ver­krampft hip, er ist nicht so glück­lich schwan­ger und nicht so sel­ten Ber­lin wie der Prenz­lau­er Berg, dafür hat er mehr Nor­ma­li­tät und mehr Istan­bul”, schrieb ein­mal jemand. Schon immer durch eine Bahn­tras­se und 30 Jah­re durch eine Mau­er getrennt, muss man schon über eine „Böse-“ Brü­cke oder durch einen dunk­len Tun­nel, wenn man den Nach­barn mal besu­chen will. Dafür kann man aber jeweils in ande­re Uni­ver­sen abtau­chen: eine gut­bür­ger­li­che, bra­ve Welt hin­ter sanier­ten Fas­sa­den im Prenz­lau­er Berg, und eine pre­kä­re, migran­tisch gepräg­te Welt im Sozi­al­bau auf der Wed­din­ger Sei­te. In bei­den Wel­ten gibt es zum Glück vie­le Aus­nah­men von der Regel, und im All­tag kön­nen die bei­den Nach­barn eigent­lich ganz gut neben­ein­an­der leben. Solan­ge man sich in Ruhe lässt.

Alt-Mit­te: Die­ser Nach­bar wür­de die Wed­din­ger noch nicht mal im Trep­pen­haus grü­ßen. Die Ber­nau­er Stra­ße und die Mau­er­ge­denk­stät­te hal­ten uns auf Abstand. Zum Glück ist das in einer Groß­stadt völ­lig okay, wo Anony­mi­tät unter Nach­barn dazu­ge­hört. Es gibt kei­ne gemein­sa­men Par­tys, man besucht nicht die sel­ben Restau­rants, und Gele­gen­hei­ten, sich zu begeg­nen, sind auf ein Mini­mum beschränkt. Auch bau­lich bevor­zu­gen die Men­schen aus der Rosen­tha­ler Vor­stadt eher die Eigen­tums­woh­nung im sanier­ten Alt­bau, wäh­rend das kahl­schlag­sa­nier­te Brun­nen­vier­tel eher den Charme einer Plat­ten­bau­sied­lung besitzt. Eigent­lich ist es ver­rückt, dass das wohl­si­tu­ier­te Mit­te den armen Schlu­cker Wed­ding in den glei­chen Bezirk hin­ein­ad­op­tiert hat. 

Moa­bit: Lei­der woh­nen die bes­ten Freun­de nicht immer in Sicht­wei­te. Denn um uns zu sehen, müs­sen wir uns besu­chen und ein­mal über den Kanal, den West­ha­fen und die Ring­bahn fah­ren. Ansons­ten haben wir oft die glei­chen Ansich­ten, woh­nen in ver­gleich­ba­ren Ver­hält­nis­sen und neh­men uns nicht viel in Sachen Mul­ti-Kul­ti, rau­er Charme und sozia­le Brenn­punk­te. Uns ver­bin­det noch viel mehr – in unse­rer schö­nen Bezirks­fa­mi­lie mit dem wohl­klin­gen­den Namen Mit­te sind wir bei­de die buck­li­ge Ver­wandt­schaft, über die die Bes­ser­ge­stell­ten eher die Nase rümp­fen. Zum Glück haben wir da aber ein dickes Fell und kön­nen damit gut leben. 

Joachim Faust

hat 2011 den Blog gegründet. Heute leitet er das Projekt Weddingweiser. Mag die Ortsteile Wedding und Gesundbrunnen gleichermaßen.

3 Comments Leave a Reply

  1. Hal­lo ein Faust!
    Ganz toll beschrie­ben, ein biß­chen iro­nisch und lus­tig zugleich.
    Lie­be Grü­ße aus Ostreinickendorf.
    Mari­na Tkotz

  2. Wer weiß schon so genau, wo die Gren­ze nach Rei­ni­cken­dorf ver­läuft. Ich dach­te, dass ich inner­halb des Wed­ding umzie­he, als ich in den Sied­lun­gen um die Reg­inhard­stra­ße eine Woh­nung gesucht habe. Doch dann erfuhr ich: „Ost­rei­ni­cken­dorf“ – noch nicht mal einen rich­ti­gen Namen haben wir. Wir sind das unge­lieb­te städ­ti­sche Schmud­del­kind der ton­an­ge­ben­den dörf­li­chen Vororte.
    Inzwi­schen weiß ich: Wür­de hier in „Ost­rei­ni­cken­dorf“ eine Umfra­ge gestar­tet, so gäbe es eine kla­re Mehr­heit für den Über­tritt nach Pan­kow. Da wären wir dann die „Pan­kower Resi­denz“. Die meis­ten hier gehen sowie­so in Pan­kow oder Gesund­brun­nen einkaufen.

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