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Die schwarze Else am Gesundbrunnen

8. November 2014
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else_4cEin Blick auf die beweg­te Geschich­te des über 100 Jah­re alten Bahn­hofs Gesund­brun­nen – an dem S‑Bahnen, Regio­nal­bah­nen, Fern­zü­ge wie der ICE und manch­mal auch Nost­al­gie­zü­ge halten.

Lange Geschichte des Haltepunkts

Es zischt und schnauft und in weni­gen Minu­ten sind alle Pas­sa­gie­re ein­ge­dampft. Schschschschschschsch! Als sich der dich­te wei­ße Qualm über dem Bahn­hof Gesund­brun­nen lang­sam ver­zieht, steht die schwar­ze Dampf­lo­ko­mo­ti­ve wie ein mäch­ti­ger Fels auf dem Gleis, auf dem sonst die schnit­ti­gen moder­nen ICE hal­ten. Ber­lin macht Dampf und die Dampf­lok 52 8177, die Else, macht auf ihrem Weg vom Bahn­be­triebs­werk Schö­ne­wei­de mal wie­der halt am Gesund­brun­nen. Zur Freu­de der Eisen­bahn­fans schnauft die letz­te betriebs­fä­hi­ge Ber­li­ner Dampf­lo­ko­mo­ti­ve in den Som­mer­mo­na­ten regel­mä­ßig am Bahn­hof Gesund­brun­nen und an unzäh­li­gen Foto­ap­pa­ra­ten und Video­ka­me­ras vor­bei, mit Zustiegs­mög­lich­keit für eine nost­al­gi­sche Eisen­bahn­fahrt. Es dampft und zischt und riecht nach ver­brann­ter Koh­le und der Lok­füh­rer lässt bei der Abfahrt die Dampf­pfei­fe ertö­nen – ein schö­ner, frem­der Klang.

IMG_3209Heut­zu­ta­ge sind die Besu­che der schwar­zen Else mit den hüb­schen roten Rädern eher sel­ten und wer­den auf den digi­ta­len Anzei­ge­ta­feln als Son­der­fahrt dekla­riert. In den Anfangs­ta­gen des Bahn­hofs Gesund­brun­nen waren die mit Dampf­loks bespann­ten Züge All­tag. Jetzt fah­ren am vom Kreu­zungs­bahn­hof an der Bad­stra­ße 1–3 ganz ande­re Züge,  ist der Bahn­hof Gesund­brun­nen der wich­tigs­te Umstei­ge­punkt im Nor­den Ber­lins. 100.000 Men­schen am Tag wech­seln hier vom Fern­ver­kehr zum Nah­ver­kehr, von der S‑Bahn zur U‑Bahn. Auf vier Glei­sen ver­keh­ren die Nord-Süd­li­ni­en der S‑Bahn (S1, S2, S25) sowie die Ring­bahn (S41/42). Auf sechs Glei­sen fah­ren Züge des Regio­nal- und Fern­ver­kehrs, unter ande­rem nach Ros­tock, Stral­sund, Stet­tin, Leip­zig, Dres­den und Prag. Im Unter­grund fährt außer­dem die U‑Bahnlinie 8. Der Bahn­hof Gesund­brun­nen ist heu­te ein wich­ti­ger Ver­kehrs­kno­ten­punkt im Ber­li­ner Schienennetz.

1873 fuhr die erste Pferdeeidenbahn

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Der Bahn­hof Gesund­brun­nen 1898. Foto: Wikipedia

Die Else stammt aus einer ande­ren Zeit, das fühlt jeder, der bei ihrer effekt­vol­len Ankunft auf dem Bahn­steig steht. Den­noch ist eigent­lich nicht sie die his­to­ri­sche Attrak­ti­on, der Bahn­hof Gesund­brun­nen hat wesent­lich mehr Geschich­te hin­ter sich. Wäh­rend die Güter­zug-Schlepp­ten­der­lo­ko­mo­ti­ve erst 1944 als Kriegs­lok in Babels­berg gebaut wur­de, reicht die beweg­te Geschich­te des Bahn­hofs zurück bis zum 1. Janu­ar 1872. Denn als in die­sem Jahr die Ring­bahn teil­wei­se ihren Betrieb auf­nahm, erhiel­ten Wed­ding und Gesund­brun­nen die ers­ten Per­so­nen­bahn­hö­fe der S‑Bahn. Im Juli 1873 fuhr die ers­te Pfer­de­ei­sen­bahn vom Gesund­brun­nen zum Rosen­tha­ler Tor.

Mit Eröff­nung der so genann­ten Nord­bahn nahm die Bedeu­tung des Bahn­hofs Gesund­brun­nen zu. Von 1895 bis 1897 wur­den die Gleis­an­la­gen der bereits 1842 eröff­ne­ten Stet­ti­ner Bahn umge­baut, um den Fern- und Vor­ort­ver­kehr am Bahn­hof Gesund­brun­nen kreu­zungs­frei mit der Ring­bahn zu ver­bin­den und den Fahr­gäs­ten das Umstei­gen zu ermög­li­chen. Aus dem Staats­haus­halt wur­den 1895 dafür ins­ge­samt 8,85 Mil­lio­nen Mark bereit­ge­stellt. Am Bahn­hof Gesund­brun­nen wur­den drei neue Bahn­stei­ge für die Ring‑, Vor­ort- und Fern­bahn sowie ein Emp­fangs­ge­bäu­de im neo­go­ti­schen Stil nach Ent­wür­fen von Armin Weg­ner errichtet.

Der 228 Meter lange Holzsteg wurde ersetzt

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Blick über Vor­ort- und Fern­bahn­steig zur Swi­ne­mün­der Brü­cke, 1906. Foto: Wikipedia

Lan­ge bevor die 52 8177 gebaut wur­de, erhielt der Bahn­hof Gesund­brun­nen ein bis heu­te cha­rak­te­ris­ti­sches Bau­werk. 1902 wur­de näm­lich der 228 Meter lan­ge Holz­steg ersetzt: Die Swi­ne­mün­der Brü­cke, wegen der hohen Bau­kos­ten Mil­lio­nen­brü­cke genannt, wur­de errich­tet. 1924 wur­de die Stre­cke vom Stet­ti­ner Bahn­hof über Gesund­brun­nen nach Ber­nau elek­tri­fi­ziert, die Elek­tro­loks fuh­ren fort­an unter der Swi­ne­mün­der Brü­cke hin­durch. Eine wei­te­re Kon­stan­te im heu­ti­gen Bahn­hofs­be­trieb kam 1930 hin­zu. Die Unter­grund­bahn Neu­kölln-Gesund­brun­nen, heu­te U 8, wur­de in Betrieb genommen.

Wäh­rend des Zwei­ten Welt­krie­ges nahm der Ver­kehr auf dem Gleis erheb­lich zu, weil Autos und Bus­se für mili­tä­ri­sche Zwe­cke beschlag­nahmt wor­den waren. Die Fahr­gast­zah­len stie­gen. Doch der Krieg ging nicht spur­los vor­bei. Am 3. Febru­ar 1945 traf eine Flie­ger­bom­be den Bahn­hof Gesund­brun­nen, im April muss­te der Ver­kehr schließ­lich ein­ge­stellt wer­den. Erst nach und nach fuh­ren wie­der Züge. Jetzt erleb­ten die Dampf­lo­ko­mo­ti­ven eine klei­ne Renais­sance. Unter Dampf ging es über das Ber­li­ner Schie­nen­netz, in stets über­füll­ten Zügen. Spä­ter fuh­ren auch wie­der S‑Bahn-Züge mit Elek­tro­loks auf der Ringbahn.

Stillstand zu Mauerzeiten

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Gebäu­de der Ring­bahn Ein­gang Brun­nen­stra­ße, 1978. Foto: Wikipedia

1952 wur­de der Fern­ver­kehr am Gesund­brun­nen ein­ge­stellt. Mit dem Mau­er­bau 1961 wur­de die Sta­ti­on End­bahn­hof des West­rings. Auch die U‑Bahnlinie 8 war durch die inner­deut­sche Gren­ze durch­schnit­ten wor­den, die Bahn­hö­fe zwi­schen Vol­ta­stra­ße und Moritz­platz wur­den zu Geis­ter­bahn­hö­fen, Bahn­hö­fen ohne Halt. In den Jah­ren 196465 wur­de ein neu­es Emp­fangs­ge­bäu­de errich­tet, wel­ches erst mit dem Umbau im Jah­re 1996 wie­der ver­schwand. 1980 wur­de der Ver­kehr auf der Ring­bahn nach einem Streik ein­ge­stellt. Ein letz­tes Gleis blieb noch bis 1984 in Betrieb, danach wur­de der Bahn­hof kurz­zei­tig kom­plett still­ge­legt. Als wenig spä­ter die neue S2 vom Anhal­ter Bahn­hof auch am Gesund­brun­nen hielt, war wie­der Leben auf den Gleis­an­la­gen an der Badstraße.

Nach dem Fall der Mau­er bekam Bahn­hof Gesund­brun­nen eine neue Bedeu­tung, soll­te als wich­ti­ger Kno­ten­punkt ins euro­päi­sche Schie­nen­netz ein­ge­bun­den wer­den. In den 1990er Jah­ren wur­de der Bahn­hof auf­wän­dig umge­baut. In die­sem Zusam­men­hang war auch eine Umbe­nen­nung in Bahn­hof Nord­kreuz im Gespräch, die jedoch ver­wor­fen wur­de. Seit Sep­tem­ber 2001 hält wie­der die Ring­bahn am Gesund­brun­nen, und seit 2002 fährt der Ring auch wie­der durch Rich­tung Wed­ding. Ab Mai 2006 kamen am Bahn­hof Gesund­brun­nen auch wie­der Regio­nal- und Fern­bahn­zü­ge der Deut­schen Bahn dazu. Gele­gent­lich hält neben die­sen Zügen die dicke, schwar­ze Else und wirkt wie ein Gast aus einer ande­ren Welt.

Ein Dach, kein Dach

Kebap House im Bahnhof Gesundbrunnen.
Foto: And­rei Schnell

Den Gast aus der Eisen­bahn­ver­gan­gen­heit stör­te es nicht, dass der Bahn­hof Gesund­brun­nen lan­ge kein fer­ti­ges Dach hat­te. Rechts und links und zwi­schen den Bahn­steig­über­da­chun­gen konn­te so ihr impo­san­ter Dampf in den Him­mel stei­gen, den sie unter lau­tem Äch­zen aus­schnauft. Für die Fahr­gäs­te, die nicht auf dem Weg zu einer Nost­al­gie­fahrt sind, die vie­len Berufs­pend­ler und die Tou­ris­ten war das all­täg­li­che „oben ohne“ nicht ganz so roman­tisch. Die bereits 1991 im Rah­men des letz­ten Umbaus geplan­te Emp­fangs­hal­le wur­de zunächst aus Kos­ten­grün­den nicht gebaut. Doch mit zehn Jah­ren Ver­zug wur­de das Emp­fangs­ge­bäu­de auf dem Han­ne-Sobek-Platz fertig.

Die Dampf­lo­ko­mo­ti­ve 52 8177 am Bahn­hof Gesundbrunnen:

Ter­mi­ne und Kar­ten unter www.berlin-macht-dampf.com

Text: Domi­ni­que Hen­sel, Fotos: Hen­sel, Wikipedia

Dominique Hensel

Dominique Hensel lebt und schreibt im Wedding. Jeden zweiten Sonntag gibt sie hier den Newsüberblick für den Stadtteil. Die gelernte Journalistin schreibt für den Blog gern aktuelle Texte - am liebsten zu den Themen Stadtgärten, Kultur, Nachbarschaft und Soziales. Hyperlokal hat Dominique es auf jeden Fall am liebsten und beim Weddingweiser ist sie fast schon immer.

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