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Die Panke in der Presse der 1950er Jahre

23. Oktober 2014
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Front­stadt West-Ber­lin – die Gren­zen zum sowje­ti­schen Sek­tor wer­den immer undurch­läs­si­ger, und Besu­che im Ber­li­ner Umland sind schon nicht mehr mög­lich. Die Pan­ke fließt drei Mal mun­ter unter Stadt- und Sek­to­ren­gren­zen hin­durch – und in den Jah­ren vor dem Mau­er­bau erfährt sie in eini­gen Zei­tungs­ar­ti­keln Aufmerksamkeit.…

Dank der ein­ma­li­gen Samm­lung des Zeit­ge­schicht­li­chen Archivs des Ber­lin-Bran­den­bur­ger Bil­dungs­werks e.V. stel­len wir Ihnen an die­ser Stel­le Aus­zü­ge aus Zei­tungs­ar­ti­keln aus die­ser Zeit vor, die die Pan­ke zum The­ma haben.

- es ist keine Bildbeschreibung verfügbar -Man wür­de den Ber­li­ner, der die Pan­ke ernst nimmt, kaum ernst neh­men. Sie wird meist mit lei­ser Iro­nie bedacht, so lei­tet die (West-) Ber­li­ner Zei­tung “Der Tag” am 26.4.54 ihren Arti­kel ein.

Auch der “Tages­spie­gel” zollt am 29.12.55 der geschun­de­nen Pan­ke sei­nen Tri­but: Unse­re Stadt hat es ihr nicht gedankt, man hat die Pan­ke ganz mise­ra­bel behan­delt. Eine Bau­po­li­tik, die (…) selbst die Ufer des berühm­ten Wann­sees pri­va­ter Ter­rain­spe­ku­la­ti­on über­ließ (…), hat noch schwe­rer an den beschei­de­nen Rei­zen der Pan­ke gesündigt. 

Und der “Tele­graf” erin­nert am 23.10.55 an den Stel­len­wert, den die Pan­ke trotz allem für Ber­lin hat: Die Pan­ke gehört zu Wed­ding wie die Spree zu Ber­lin. Und sie ist auch fast so sehr in die Ber­li­ner Poe­sie ein­ge­gan­gen wie ihre grö­ße­re Schwes­ter, obwohl sie von den Städ­te­bau­ern in den ver­flos­se­nen Jahr­zehn­ten oft stief­müt­ter­lich behan­delt wor­den ist. Ihr ehe­mals anmu­ti­ges Tal wur­de förm­lich mit häß­li­chen Miets­ka­ser­nen zuge­deckt, vor allem zwi­schen der Gericht­stra­ße und dem Bahn­damm. Von der Natur blieb nichts mehr übrig. Die war schon vor­her ziem­lich ver­drängt wor­den, als 1704 der Fluß­lauf von Pan­kow-Schön­hau­sen bis zum heu­ti­gen Hum­boldt­ha­fen kana­li­siert wur­de. Das geschah, weil Köni­gin Sophie Char­lot­te zwi­schen den Schlös­sern Schön­hau­sen, Mon­bi­jou, Char­lot­ten­burg und Ber­lin geruh­sa­me Kahn­fahr­ten zu unter­neh­men gedach­te. Dem stan­den aber die vie­len Win­dun­gen des Flüss­chens ent­ge­gen. Aus den Kahn­fahr­ten wur­de aber nichts, die Köni­gin starb bereits 1705. (…) Beim Kanal­bau wur­de die Pan­ke zwi­schen der Schön­wal­der und der Schul­zen­dor­fer Stra­ße geteilt. Der eine Arm ging ost­wärts wei­ter in Rich­tung zum Ber­li­ner Schloß bis zum Schiff­bau­er­damm 2. Daher der Reim: “Am Schiff­bau­er­damm zwee fließt die Pan­ke in die Spree.”

Der “Tages­spie­gel” beklagt 1955 auch die schwin­den­de Bekannt­heit der Pan­ke: “In Mey­ers viel­bän­di­gem Lexi­kon hat man 1909 der Pan­ke gera­de zwei­ein­halb Zei­len gewid­met; 1933 durf­te dem Gro­ßen Brock­haus etwas mehr als eine ein­zi­ge Zei­le genug schei­nen. Der neu­es­te Her­der des Jah­res 1955 erwähnt die Pan­ke über­haupt nicht mehr. Denn zum alten Unglück kam das neue, und der Eiser­ne Vor­hang macht die lie­be, klei­ne Pan­ke noch unsicht­ba­rer, als zuvor das Zement­plat­ten ver­mocht hat­ten. Die Pan­ke scheint ver­ges­sen zu sein, und viel­leicht wis­sen die heu­ti­gen Ber­li­ner auch nicht viel mehr als die heu­ti­gen Lexikographen? 

Dabei, so betont “Der Tag” 1954, könn­te man die Pan­ke als viel­be­sun­ge­nen Fluss bezeich­nen: Selbst die­se an pro­mi­nen­te Gewäs­ser zu stel­len­de Bedin­gung wird erfüllt. In der Melo­die von Hugo Hirsch “Das Para­dies liegt an der Pan­ke, das Para­dies liegt an der Spree” ran­giert die Pan­ke, wenn auch viel­leicht nur um des Rei­mes wil­len, an ers­ter Stel­le. Jeden­falls sind das Töne höchs­ten Lobes. 

1959 por­trä­tiert der “Tages­spie­gel” die Wed­din­ger Mül­lerstra­ße wie folgt: Ober­fläch­lich betrach­tet ist eigent­lich nicht ein­zu­se­hen, wes­halb die Chaus­see­stra­ße, die von Süden kom­mend noch ein Stück in den Bezirk Wed­ding hin­ein­ragt, nach 33 Metern plötz­lich einen ande­ren Namen bekommt. Kei­ne Quer­stra­ße, die an die­ser Stel­le den Stra­ßen­zug zer­schnei­det, kei­ne Bezirks­gren­ze, kein sicht­ba­res Motiv für eine Umbe­nen­nung. Schein­bar will­kür­lich ist zwi­schen den Ein­mün­dun­gen der Lie­sen- und der Rei­ni­cken­dor­fer Stra­ße das Schild mit der Auf­schrift “Mül­lerstra­ße” aufgestellt. 

Aber in Wahr­heit wer­den die bei­den Teil­stre­cken der größ­ten Nord-Süd-Stra­ßen­ver­bin­dung durch die natür­lichs­te aller Gren­zen von­ein­an­der getrennt: durch einen Fluß. Man muß aller­dings die Stra­ße ver­las­sen, um ihn zu fin­den. Am bes­ten geht man durch den Flur des letz­ten Hau­ses auf der Ost­sei­te der Chaus­see­stra­ße, durch­quert einen lan­gen Gang und steht unver­se­hens am Ufer der guten alten Pan­ke. Gur­gelnd fließt sie von der Schul­zen­dor­fer Stra­ße her­an, zwngt sich durch ein paar enge, zer­bomb­te Hin­ter­hö­fe und ver­schwin­det dann unter den Fun­da­men­ten eines Schuh­ge­schäf­tes. “Halt! Hier erwar­tet dich der Tod!” warnt eine Tafel Neu­gie­ri­ge, dem Flüß­chen auf sei­nem unter­ir­di­schen Lauf zu fol­gen. Jen­seits der Mül­lerstra­ße tritt es noch ein­mal zuta­ge, taucht dann end­gül­tig unter und mün­det schließ­lich “ver­rohrt” in den Nordhafen. 

Der “Tag” erklärt am 26.4.54, was der Pan­ke eben­falls einen unrühm­li­chen Ruf ein­ge­tra­gen hat­te:  Dazu schreibt 1954 der “Tag”: Von Häu­sern und Fabri­ken ein­ge­engt, von Groß­stadt­lärm umtost, läßt die Pan­ke, der an der Schul­zen­dor­fer Stra­ße auch noch eine Tei­lung in zwei Arme beschie­den ist, nicht mehr all­zu­viel von sich hören und sehen. Viel­leicht zürnt sie, daß man sie ein­mal “Stink­pan­ke” tauf­te, als sich hier vor hun­dert Jah­ren Loh­ger­ber ansie­del­ten.

Mehr dazu fin­det man im “Tele­graf” vom 23.10.55: “Wo die Pan­ke mit Gestan­ke durch den Wed­ding rinnt”, hän­sel­ten die Wed­din­ger ihr Flüß­chen. Die Düf­te kamen damals von den Abwäs­sern der Ger­be­rei­en an der Pan­ke. Sie ver­dich­te­ten sich, als der Pan­ke­mül­ler die Frei­ar­che zuschüt­ten ließ, so daß sich das Was­ser im Mühl­gra­ben stau­te, wenn nicht gemah­len wur­de. Als dann die “Geld­spin­ten­fa­brik”, also Geld­schrank­fa­brik Arn­heim die Müh­le über­nahm, muß­te sie das Müh­len­wehr her­aus­rei­ßen. Das Was­ser floß nun wie­der stän­dig. Aber inzwi­schen waren auch die Ger­be­rei­en abgezogen.

- es ist keine Bildbeschreibung verfügbar -Wo die Pan­ke her­kommt, erfährt man im “Tag”, trotz des unpo­li­ti­schen The­mas in der Dik­ti­on des Kal­ten Krie­ges geschrieben:

Fol­gen wir dabei ihrem Lauf von der Quel­le bis zur Mün­dung: Bei nur 28 Kilo­me­ter Gesamt­län­ge wird die Pan­ke nicht weit­schwei­fig. Die Pan­ke ent­springt auf dem Roten Fel­de bei Ber­nau, dem mit Tür­men und Mau­ern beschirm­ten Städt­chen, das nicht nur durch sein Bier, son­dern vor allem durch sei­nen Wider­stand gegen die Hus­si­ten berühmt wur­de. (…) Beim Ein­fluß in das Ber­li­ner Stadt­ge­biet wird das Plät­schern der Pan­ke bei Buch zum dis­kre­ten Flüs­tern, das von roman­ti­schem Zau­ber um eine uner­laub­te Ver­bin­dung, von einem flüch­ti­gen und gefähr­li­chen Lie­bes­glück berich­tet. In Buch leb­te Julie von Voß, und hier knüpf­ten sich zwi­schen ihr und dem Thron­fol­ger, dem spä­te­ren König Fried­rich Wil­helm II. zwar­te Fäden, die zu einer gro­ßen Lie­be führ­ten. 1787 wur­de sie dem König als Grä­fin Ingen­heim lin­ker Hand ange­taut. Nach­dem sie ihm einen Sohn gebar, starb sie im blü­hen­den Alter von 23 Jah­ren. Sie ist vor dem Altar der alten, im letz­ten Krieg lei­der zer­stör­ten Bucher Kir­che bei­gesetzt, aber ihr Name steht nir­gends verzeichnet. 

Über ande­re, noch geheim­nis­vol­le­re Gerüch­te um die­se Tra­gö­die, die von Eifer­sucht und Gift rau­nen, geht die Pan­ke plät­schernd hin­weg. Sie fließt am Schloß und an der Oran­ge­rie vor­bei durch den Park, dem mit sei­nen alten Buchen eine son­der­bar schwer­mü­ti­ge Stim­mun eigen ist. “Die­ser Park hat zu lachen ver­lernt”, schreibt Fon­ta­ne. Auf den heu­ti­gen unge­pfleg­ten Zustand unter ost­sek­to­ra­ler Obhut ist damit nicht angespielt. 

Auch das nächs­te Schloß an der Pan­ke, von Eosan­der von Goe­the erbaut, hat nicht viel glück­li­che Besit­zer gese­hen. Pan­kow-Schön­hau­sen dien­te fast sech­zig Jah­re lang der Köni­gin Eli­sa­beth Chris­ti­ne, der gleich nach der Thron­be­stei­gung 1740 hier­her ver­bann­ten Gemah­lin Fried­richs II als freud­lo­ser Wohn­sitz. Nach­dem die letz­te Bewoh­ne­rin, die als zwei­te Gemah­lin Fried­rich Wil­helms III zur Fürs­tin von Lie­gnitz erho­be­ne Grä­fin Har­r­ach aus­ge­zo­gen war, ver­fiel das Bau­werk, so daß spä­ter ein Warn­schild ange­bracht wur­de “Bau­fäl­lig! Betre­ten nur auf eige­ne Gefahr”. Omen? Zur Zeit ist es Amts­sitz des “Prä­si­den­ten der DDR”, der es in wei­tem Umkreis gegen den öffent­lich zugäng­li­chen Teil des durch präch­ti­ge Pla­ta­nen aus­ge­zeich­ne­ten Schloß­parks mit einer mas­si­ven, von schwer­be­waff­ne­ten Vopos bewach­ten Mau­er abschir­men ließ. Ein im Osten erschie­ne­nes Buch meint: “Pan­kow ist seit­dem Begriff in der Welt.” Stimmt! Aber was für einer! 

Als mun­te­res Flüß­chen in schö­ner Land­schaft wird die Pan­ke erst wie­der im Pan­kower Bür­ger­park sicht­bar, um dann hin­ter der S‑Bahn zwi­schen Schön­holz und Wollank­stra­ße den West­sek­tor zu errei­chen. (…) Wäh­rend die Neue Pan­ke am Nord­ha­fen endet, fließt die Alte Pan­ke den Weg zur Spree und bie­tet dabei noch eini­ge idyl­li­sche Moti­ve. Unwür­dig ist ihre Mün­dung unweit der Wei­den­dam­mer Brü­cke – sie hät­te eine bes­se­re verdient. 

- es ist keine Bildbeschreibung verfügbar -Zahl­rei­che West-Ber­li­ner Zei­tungs­ar­ti­kel heben die nach dem Krieg neu geschaf­fe­ne Pro­me­na­de im Wed­ding her­vor, so der “Tag” 1956: Erfreu­lich ist die in neue­rer Zeit geschaf­fe­ne Mög­lich­keit, sie als volks­tüm­li­chen Fluß des Wed­dings auf hüb­schen Ufer­pro­me­na­den abzu­wan­dern. Die Bepflan­zung die­ser Anla­gen gewinnt mit jedem Jahr anspre­chen­de­res For­mat und trägt stel­len­wei­se einen für Groß­stadt­ver­hält­nis­se erstaun­lich idyl­li­schen Cha­rak­ter. Pla­nun­gen, durch­ge­hen­de Ufer­we­ge, auch auf ost­sek­to­ra­ler Sei­te, befin­den sich noch im Sta­di­um der Theorie. 

Auch der “Tele­graf” erklärt 1955: In den letz­ten Jah­ren wur­den vom Bezirks­amt Wed­ding Mög­lich­kei­ten ent­deckt, die Pan­ke mit ihrer Umge­bung wie­der schön wer­den zu las­sen. Die Idee hat­te Bezirks­stadt­rat Nick­litz. Grün­an­la­gen wur­den geschaf­fen, die som­mer­li­che Spa­zier­gän­ger­freu­den spen­den. Auf einer Län­ge von etwa zwei Kilo­me­ter geschah das. (…) Auch bei Neu­bau­ten denkt man an die Ver­schö­ne­rung der Pan­ke­ge­gend. Man baut nicht mehr bis dicht an das Was­ser her­an, son­dern läßt einen brei­ten Strei­fen frei, der gärt­ne­risch gestal­tet wer­den kann. So ist es jetzt an der Schul­zen­dor­fer Stra­ße gesche­hen. Die Wed­din­ger sol­len an ihrer Pan­ke ihre Freu­de haben und sie genießen.

 

Wir dan­ken dem Zeit­ge­schicht­li­chen Archiv, das über eine the­ma­tisch geglie­der­te Samm­lung von unzäh­li­gen Pres­se­ar­ti­keln ver­fügt, für die Bereit­stel­lung der pan­ke­be­zo­ge­nen Artikel!

- es ist keine Bildbeschreibung verfügbar -

 

 

Die­ser Arti­kel erschien zuerst auf panke.info.

Joachim Faust

hat 2011 den Blog gegründet. Heute leitet er das Projekt Weddingweiser. Mag die Ortsteile Wedding und Gesundbrunnen gleichermaßen.

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