Mit grimmigem Gesicht schlage ich mich durch die Massen, die mit eiligen Schritten aus der S‑Bahn huschen. Ihre Gesichter verstecken sich hinter Wollmützen und dicken Schals. Der Winter ist da. Nicht irgendein Winter, sondern der gefürchtete Berliner Winter – grau und endlos. Von meinem Fenster am Nettelbeckplatz aus konnte ich genau verfolgen, wie die letzten Blätter ihre bunte Farbe verloren und in eine braune Biomasse übergingen. Übrig blieben Matsche, nackte Bäume und Hoffnung. Hoffnung auf die ein oder andere Oase, die es hilft auch bei eisigen Temperaturen den Weddinger Winter zu überleben. Am Nettelbeckplatz spreche ich eine Dame mittleren Alters an und frage sie nach farbenfrohen Orten im Wedding. „Ick kenn keenen bunten Ort hier. Hier is allet trüb. Aber viel Glück noch.“ Trotz dieser nicht so erfolgsverheißenden Antwort setzte ich meine Suche fort.
Spur Nr. 1: Treue Gefährten
Die zweite Frau, die ich ansprach, trug einen gepunkteten Schal und ging mit ihrem Hund Gassi. Nach langem Überlegen entgegnete sie mir lachend, dass sie das erfolgreiche Überwintern ihrem Hund zu verdanken habe: „Bunt sind hier eigentlich nur die Drogendealer. Die sind aber eigentlich ganz nett. Wenn mir aber einer doch mal gefährlich nahekommt, brauch ich meinem Hund nur ‘fass’ zu befehlen.“ Ich begleitete sie noch ein kurzes Stück und sie zeigte mir dann ein buntes Gebäude: Die neue Nazarethkirche. Im neogotischen Stil ragt ein 78 Meter hoher Kirchturm mit hellblauer Spitze in den Himmel.
Spur Nr. 2: Bunte Spaziergänge
Danach sprach ich eine jüngere Passantin an. Sie musste kaum überlegen und empfahl mir das Pankeufer nahe der Gerichtstraße. Über einen Hinterhof der Gerichtstraße 23 führt mein Weg auf ein altes Fabrikgelände. Nicht selten wird es als Kulturoase des Wedding beschrieben. Vor etwa fünf Jahren gründete sich hier der Verein Panke e.V., um im Wedding einen neuen Ort für Musik und Kunst zu schaffen. Die Panke vereint Club, Café und Kunstgalerie. Einst galt das Gelände als nahezu geheim. Mittlerweile findet man am Standort auch ein Fitnessstudio und ein Outlet. Der Charme der Künstlerszene hält sich auch mit steigender Bekanntheit.
Hinter dem Gelände stieß ich dann endlich auf den langersehnten “Kanal”. Die Uferpromenade bot so viel Graffiti, dass ich am liebsten nach jedem Schritt ein Foto gemacht hätte. Viele Spaziergänger kamen mir entgegen und ich bekam das Gefühl, abseits jeglicher Straßen in einem ganz neuen Teil des Wedding erste Winterliebe zu verspüren.
Spur Nr. 3: Dem Winter im Warmen genießen
Halb Drei. Zeit für einen Kaffee. Diesmal verließ ich mich auf einen alten Tipp eines Bekannten, der mir für Hunger und Durst jeglicher Art nichts Geringeres als „Die Perle des Wedding“ empfahl. Die Rede ist vom Schraders, das sich seit 2001 in der Malplaquetstraße befindet. Die dunkelroten Decken und das orangefarbene Licht lassen den Ort zu einer Winteroase werden. Mit den Klängen sanfter Jazzmusik im Ohr genieße ich mein Heißgetränk. Tief im Sofa versunken lasse ich mich auf die Winterstimmung des Wedding ein.
Text und Fotos: Annika Keilen