An verschiedenen Orten im Wedding ist derzeit eine Austellung in einem alten Ford Transit Bus zu sehen. SILA YOLU („Heimatweg“) hält bis Ende der Woche vor dem bi’bak in der Prinzenallee, im himmelbeet und in der Galerie Wedding. Es gibt ein Begleitprogramm mit Filmen, Lesungen und Vorträgen. Im März endet die Schau das bi’bak-Projektes mit einem einmonatigen Aufenthalt in Istanbul. Ein Interview mit den Machern erscheint in der nächsten Ausgabe des Kiezmagazins Soldiner und hier bereits vorab.
Wie war Euer Weg in den Soldiner Kiez und zum bi’bak?
Malve Lippmann: Can und ich arbeiten nun seit fast sieben Jahren zusammen. Seit Januar 2014 sind wir hier in diesem Raum im Soldiner Kiez. Damals war unser Atelier in Mitte gekündigt worden. Nach dem Umzug haben wir uns gesagt: Wir machen den Raum hier öffentlich. Das hat sich auch durch die Lage an der Prinzenallee so angeboten.
Can Sungu: Wir sind ein interkultureller Raum mit einem Schwerpunkt auf Themen wie Migration und Mobilität. Das sind Themen, die uns interessieren und die sich durch unser Programm ziehen – egal was wir machen, ob Workshop oder Filmscreening. Die Akteure, Kuratoren und Künstler, die wir einladen, arbeiten meist an den Schnittstellen von Migration, Stadtraum und Kunst beziehungsweise Design. Wir machen hier Workshops, Ausstellungen, Filmvorführungen, Hörabende aber auch Koch- und Community-Events. Unsere Arbeit ist nicht auf bestimmte Nationalitäten begrenzt. Ich würde nicht unbedingt sagen, dass das bi’bak einen deutsch-türkischen Schwerpunkt hat. Wir sind also eher ein interkultureller Raum. Natürlich ergeben sich durch meine Kontakte in die Türkei auch viele deutsch-türkische Kooperationsprojekte.
Wieso thematisiert Ihr gesellschaftliche Spannungsfelder durch Filme, Ausstellungen und Workshops?
Malve Lippmann: Wir kommen beide aus der künstlerischen Praxis. Deshalb ist das unser erster Zugriff. Für uns ist es ganz klar, dass man gesellschaftspolitische Themen über künstlerische Formate eigentlich ideal thematisieren kann, da man komplizierte Sachverhalte oft leichter komplex darstellen und diskutieren kann.
Can Sungu: Wir kooperieren oft mit Schulen in der Nachbarschaft, mit anderen Vereinen und mit dem Quartiersmanagement. Aber die künstlerische Qualität steht bei unserer Arbeit auch immer im Vordergrund. Bei allen Projekten, auch bei den Vermittlungsprojekten, hat für uns das künstlerische Niveau einen hohen Stellenwert.
Malve Lippmann: Speziell in der Arbeit mit den Kindern schafft man durch künstlerische Ansätze viel Freiheit im Heranführen an komplizierte Themen, indem man Dinge nicht direkt ansprechen muss, sondern indirekt, zum Beispiel durch eine Metapher bearbeiten kann. Wie mit der Geschichte des Tigers in der Projektreihe „Der Tiger kommt …“: Ein Tiger flieht aus Afrika nach Europa und versucht sich in Berlin ein neues Leben aufzubauen. Dadurch, dass man in solchen Bildern bleibt, lässt man den Kindern den nötigen Freiraum, eigene Vorstellungen zu entwickeln und sich auch mit so einer Figur zu identifizieren. In unserem letzten Projekt „Der Tiger kommt in den Garten“ hat sich der neuangekommene Tiger mit einer Gruppe von Kindern zeichnerisch mit der Flora und Fauna in verschiedenen Berliner Gartenprojekten auseinandergesetzt und einen eigenen Garten gebaut und bepflanzt.
Der kritische Umgang mit Aspekten der Globalisierung und des Neoliberalismus ist ein wesentlicher Teil Eurer Arbeit. Wie können Kunstprojekte dazu anregen, vergangene und gegenwärtige Ordnungen zu überdenken?
Can Sungu: In dem Projekt „ Der Tiger kommt in den Soldiner Kiez – Ein Bilderbuch über das Leben des Tigers und seiner Freunde in der Fremde“ sind wir einmal mit Kindern in Läden im Kiez gegangen und haben Verpackungen mit exotischen Bildern für eine Bildgeschichte gesammelt: Import-Produkte, auf denen ein „fremder“ Mensch oder ein exotisches Tier abgebildet ist. So haben wir eine Reflexion über die Formen von orientalistischen und exotistischen Projektionen auf das Fremde spielerisch angestoßen und sind darüber im Geschichten erfinden mit den Kindern ins Gespräch gekommen. So ist das auch mit dem Beispiel vom Tiger: In Afrika gibt es ja eigentlich gar keine Tiger, aber alle denken, dass dort Tiger leben, weil sich diese Idee irgendwann mal so etabliert hat.
Malve Lippmann: Unsere Projekte versuchen oft, verschiedene Gruppen zusammen zu bringen. Wir denken, dass man durch Begegnungen, vorgefertigte Meinungen und Vorurteile in Bewegung bringen kann. Im letzten Tiger-Workshop mit Kindern aus einer Notunterkunft und einer Weddinger Grundschule hat man direkt gemerkt, wie sie jeden Tag besser ins Gespräch kamen. Die gleiche Erfahrung machen wir auch in den bi’bakstuben, unseren interkulinarischen Community Dinnern mit gemischtem Publikum und in den Workshops wie KOCH N’ SHARE mit Jugendlichen mit und ohne Fluchthintergrund.
Eure aktuelle Ausstellung, „SILA YOLU– Der Ferientransit in die Türkei und die Erzählungen der Autobahn“ beschäftigt sich mit der E5. Die ehemalige Europastraße führt von Berlin bis nach Istanbul. Sie ist heute ein Teil der West-Balkanroute. Was genau ist im Rahmen der Ausstellung zu sehen?
Can Sungu: Sila Yolu heißt übersetzt „Heimatweg“. Da die Route ist immer noch aktiv, ist das kein historisches Projekt: Gerade im Sommer fahren Leute aus ganz Europa über diese Straße in die Türkei. Wir beschäftigen uns in dem Projekt mit der Vergangenheit und der Gegenwart dieser Straße. Das Projekt setzt sich nicht nur mit dem physischen Weg zwischen zwei Orten auseinander, sondern auch mit dem komplexen Emotionsraum, in dem die Konzepte von Kultur, Identität und Gemeinschaft rasant oszillieren. Die Installation wird an unterschiedlichen Standorten in Berlin gezeigt. Wir haben einen Bus, einen alten Ford Transit, in den die Ausstellung eingebaut ist. Mit dem Bus fahren wir an verschiedene Orte – Prinzessinnengärten, Galerie Wedding, Himmelbeet, ZK/U und stehen natürlich auch bei uns vor dem bi’bak. Der Wagen hat eine symbolische Bedeutung für die Strecke zwischen der Türkei und Deutschland: In den 70er- und 80er-Jahren hatte jeder diesen Ford Transit Bus, weil er so geräumig war und man viel mitnehmen konnte.
Der bi’bak-Projektraum
bi’bak ist türkisch und bedeutet auf deutsch so viel wie „schau mal“. Der gemeinnützige Verein bi’bak mit Projektraum in der Prinzenallee 59 beschäftigt sich mit gesellschaftspolitisch relevanten Themen wie Migration, Mobilität, Identität und kulturellem Gedächtnis – aus künstlerischer Perspektive. Der Fokus liegt dabei auf der deutsch-türkischen Kulturvermittlung. Mehr über bi’bak und die verschiedenen Projekte gibt es im Internet unter www.bi-bak.de. Mehr über die Ausstellung unter www.silayolu.bi-bak.de.
Text und Fotos: Charlotte Bolwin