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bi’bak: Zwischen den Kulturen in einem alten Ford Transit

5. Oktober 2016
Die Ausstellung SILA YOLU („Heimatweg“) wird in einem alten Ford Transit gezeigt. Bis Anfang Oktober steht der vor dem bi'bak und an anderen Orten im Wedding. Foto: Malve Lippmann
Die Aus­stel­lung SILA YOLU („Hei­mat­weg“) wird in einem alten Ford Tran­sit gezeigt. Bis Anfang Okto­ber steht der vor dem bi’­bak und an ande­ren Orten im Wed­ding. Foto: Mal­ve Lippmann

An ver­schie­de­nen Orten im Wed­ding ist der­zeit eine Aus­tel­lung in einem alten Ford Tran­sit Bus zu sehen. SILA YOLU („Hei­mat­weg“) hält bis Ende der Woche vor dem bi’­bak in der Prin­zen­al­lee, im him­mel­beet und in der Gale­rie Wed­ding. Es gibt ein Begleit­pro­gramm mit Fil­men, Lesun­gen und Vor­trä­gen. Im März endet die Schau das bi’­bak-Pro­jek­tes mit einem ein­mo­na­ti­gen Auf­ent­halt in Istan­bul. Ein Inter­view mit den Machern erscheint in der nächs­ten Aus­ga­be des Kiez­ma­ga­zins Sol­di­ner und hier bereits vorab.

Wie war Euer Weg in den Sol­di­ner Kiez und zum bi’bak?
Mal­ve Lipp­mann: Can und ich arbei­ten nun seit fast sie­ben Jah­ren zusam­men. Seit Janu­ar 2014 sind wir hier in die­sem Raum im Sol­di­ner Kiez. Damals war unser Ate­lier in Mit­te gekün­digt wor­den. Nach dem Umzug haben wir uns gesagt: Wir machen den Raum hier öffent­lich. Das hat sich auch durch die Lage an der Prin­zen­al­lee so angeboten.
Can Sun­gu: Wir sind ein inter­kul­tu­rel­ler Raum mit einem Schwer­punkt auf The­men wie Migra­ti­on und Mobi­li­tät. Das sind The­men, die uns inter­es­sie­ren und die sich durch unser Pro­gramm zie­hen – egal was wir machen, ob Work­shop oder Film­scree­ning. Die Akteu­re, Kura­to­ren und Künst­ler, die wir ein­la­den, arbei­ten meist an den Schnitt­stel­len von Migra­ti­on, Stadt­raum und Kunst bezie­hungs­wei­se Design. Wir machen hier Work­shops, Aus­stel­lun­gen, Film­vor­füh­run­gen, Hör­aben­de aber auch Koch- und Com­mu­ni­ty-Events. Unse­re Arbeit ist nicht auf bestimm­te Natio­na­li­tä­ten begrenzt. Ich wür­de nicht unbe­dingt sagen, dass das bi’­bak einen deutsch-tür­ki­schen  Schwer­punkt hat. Wir sind also eher ein inter­kul­tu­rel­ler Raum. Natür­lich erge­ben sich durch mei­ne Kon­tak­te in die Tür­kei auch vie­le deutsch-tür­ki­sche Kooperationsprojekte.

Wie­so the­ma­ti­siert Ihr gesell­schaft­li­che Span­nungs­fel­der durch Fil­me, Aus­stel­lun­gen und Workshops?

Can Sungu (links) und Malve Lippmann im bi'bak-Projektraum. Foto: Ch. Bolwin
Can Sun­gu (links) und Mal­ve Lipp­mann im bi’­bak-Pro­jekt­raum. Foto: Ch. Bolwin

Mal­ve Lipp­mann: Wir kom­men bei­de aus der künst­le­ri­schen Pra­xis. Des­halb ist das unser ers­ter Zugriff. Für uns ist es ganz klar, dass man gesell­schafts­po­li­ti­sche The­men über künst­le­ri­sche For­ma­te eigent­lich ide­al the­ma­ti­sie­ren kann, da man kom­pli­zier­te Sach­ver­hal­te oft leich­ter kom­plex dar­stel­len und dis­ku­tie­ren kann.
Can Sun­gu: Wir koope­rie­ren oft mit Schu­len in der Nach­bar­schaft, mit ande­ren Ver­ei­nen und mit dem Quar­tiers­ma­nage­ment. Aber die künst­le­ri­sche Qua­li­tät steht bei unse­rer Arbeit auch immer im Vor­der­grund. Bei allen Pro­jek­ten, auch bei den Ver­mitt­lungs­pro­jek­ten, hat für uns das künst­le­ri­sche Niveau einen hohen Stellenwert.
Mal­ve Lipp­mann: Spe­zi­ell in der Arbeit mit den Kin­dern schafft man durch künst­le­ri­sche Ansät­ze viel Frei­heit im Her­an­füh­ren an kom­pli­zier­te The­men, indem man Din­ge nicht direkt anspre­chen muss, son­dern indi­rekt, zum Bei­spiel durch eine Meta­pher bear­bei­ten kann. Wie mit der Geschich­te des Tigers in der Pro­jekt­rei­he „Der Tiger kommt …“: Ein Tiger flieht aus Afri­ka nach Euro­pa und ver­sucht sich in Ber­lin ein neu­es Leben auf­zu­bau­en. Dadurch, dass man in sol­chen Bil­dern bleibt, lässt man den Kin­dern den nöti­gen Frei­raum, eige­ne Vor­stel­lun­gen zu ent­wi­ckeln und sich auch mit so einer Figur zu iden­ti­fi­zie­ren. In unse­rem letz­ten Pro­jekt „Der Tiger kommt in den Gar­ten“ hat sich der neu­an­ge­kom­me­ne Tiger mit einer Grup­pe von Kin­dern zeich­ne­risch mit der Flo­ra und Fau­na in ver­schie­de­nen Ber­li­ner Gar­ten­pro­jek­ten aus­ein­an­der­ge­setzt und einen eige­nen Gar­ten gebaut und bepflanzt.

Der kri­ti­sche Umgang mit Aspek­ten der Glo­ba­li­sie­rung und des Neo­li­be­ra­lis­mus ist ein wesent­li­cher Teil Eurer Arbeit. Wie kön­nen Kunst­pro­jek­te dazu anre­gen, ver­gan­ge­ne und gegen­wär­ti­ge Ord­nun­gen zu überdenken?
Can Sun­gu: In dem Pro­jekt „ Der Tiger kommt in den Sol­di­ner Kiez – Ein Bil­der­buch über das Leben des Tigers und sei­ner Freun­de in der Frem­de“ sind wir ein­mal mit Kin­dern in Läden im Kiez gegan­gen und haben Ver­pa­ckun­gen mit exo­ti­schen Bil­dern für eine Bild­ge­schich­te gesam­melt: Import-Pro­duk­te, auf denen ein „frem­der“ Mensch oder ein exo­ti­sches Tier abge­bil­det ist. So haben wir eine Refle­xi­on über die For­men von ori­en­ta­lis­ti­schen und exo­tis­ti­schen Pro­jek­tio­nen auf das Frem­de spie­le­risch ange­sto­ßen und sind dar­über im Geschich­ten erfin­den mit den Kin­dern ins Gespräch gekom­men. So ist das auch mit dem Bei­spiel vom Tiger: In Afri­ka gibt es ja eigent­lich gar kei­ne Tiger, aber alle den­ken, dass dort Tiger leben, weil sich die­se Idee irgend­wann mal so eta­bliert hat.
Mal­ve Lipp­mann: Unse­re Pro­jek­te ver­su­chen oft, ver­schie­de­ne Grup­pen zusam­men zu brin­gen. Wir den­ken, dass man durch Begeg­nun­gen, vor­ge­fer­tig­te Mei­nun­gen und Vor­ur­tei­le in Bewe­gung brin­gen kann. Im letz­ten Tiger-Work­shop mit Kin­dern aus einer Not­un­ter­kunft und einer Wed­din­ger Grund­schu­le hat man direkt gemerkt, wie sie jeden Tag bes­ser ins Gespräch kamen. Die glei­che Erfah­rung machen wir auch in den bi’bakstuben, unse­ren inter­ku­li­na­ri­schen Com­mu­ni­ty Din­nern mit gemisch­tem Publi­kum und in den Work­shops wie KOCH N’ SHARE mit Jugend­li­chen mit und ohne Fluchthintergrund.

Eure aktu­el­le Aus­stel­lung, „SILA YOLU– Der Feri­en­tran­sit in die Tür­kei und die Erzäh­lun­gen der Auto­bahn“ beschäf­tigt sich mit der E5. Die ehe­ma­li­ge Euro­pa­stra­ße führt von Ber­lin bis nach Istan­bul. Sie ist heu­te ein Teil der West-Bal­kan­rou­te. Was genau ist im Rah­men der Aus­stel­lung zu sehen? 
Can Sun­gu: Sila Yolu heißt über­setzt „Hei­mat­weg“. Da die Rou­te ist immer noch aktiv, ist das kein his­to­ri­sches Pro­jekt: Gera­de im Som­mer fah­ren Leu­te aus ganz Euro­pa über die­se Stra­ße in die Tür­kei. Wir beschäf­ti­gen uns in dem Pro­jekt mit der Ver­gan­gen­heit und der Gegen­wart die­ser Stra­ße. Das Pro­jekt setzt sich nicht nur mit dem phy­si­schen Weg zwi­schen zwei Orten aus­ein­an­der, son­dern auch mit dem kom­ple­xen Emo­ti­ons­raum, in dem die Kon­zep­te von Kul­tur, Iden­ti­tät und Gemein­schaft rasant oszil­lie­ren. Die Instal­la­ti­on wird an unter­schied­li­chen Stand­or­ten in Ber­lin gezeigt. Wir haben einen Bus, einen alten Ford Tran­sit, in den die Aus­stel­lung ein­ge­baut ist. Mit dem Bus fah­ren wir an ver­schie­de­ne Orte – Prin­zes­sin­nen­gär­ten, Gale­rie Wed­ding, Him­mel­beet, ZK/U und ste­hen natür­lich auch bei uns vor dem bi’bak. Der Wagen hat eine sym­bo­li­sche Bedeu­tung für die Stre­cke zwi­schen der Tür­kei und Deutsch­land: In den 70er- und 80er-Jah­ren hat­te jeder die­sen Ford Tran­sit Bus, weil er so geräu­mig war und man viel mit­neh­men konnte.

Der bi’­bak-Pro­jekt­raum

bi’bak ist tür­kisch und bedeu­tet auf deutsch so viel wie „schau mal“. Der gemein­nüt­zi­ge Ver­ein bi’­bak mit Pro­jekt­raum in der Prin­zen­al­lee 59 beschäf­tigt sich mit gesell­schafts­po­li­tisch rele­van­ten The­men wie Migra­ti­on, Mobi­li­tät, Iden­ti­tät und kul­tu­rel­lem Gedächt­nis – aus künst­le­ri­scher Per­spek­ti­ve. Der Fokus liegt dabei auf der deutsch-tür­ki­schen Kul­tur­ver­mitt­lung. Mehr über bi’­bak und die ver­schie­de­nen Pro­jek­te gibt es im Inter­net unter www.bi-bak.de.  Mehr über die Aus­stel­lung unter www.silayolu.bi-bak.de.

Text und Fotos: Char­lot­te Bolwin

Dominique Hensel

Dominique Hensel lebt und schreibt im Wedding. Jeden zweiten Sonntag gibt sie hier den Newsüberblick für den Stadtteil. Die gelernte Journalistin schreibt für den Blog gern aktuelle Texte - am liebsten zu den Themen Stadtgärten, Kultur, Nachbarschaft und Soziales. Hyperlokal hat Dominique es auf jeden Fall am liebsten und beim Weddingweiser ist sie fast schon immer.

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