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Über frühere Besetzungen und Wohnprojekte heute:
Instandbesetzt: Besetzte Häuser im Wedding

19. August 2023
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Abriss von Wohn­häu­sern ver­hin­dern und Leer­stand been­den – das waren die stärks­ten Moti­va­tio­nen der Hausbesetzer:innen. Ins­be­son­de­re in der Beset­zungs­wel­le in den frü­hen 1980er Jah­ren – eine zwei­te gab es nach 1990 – hat es auch im Wed­ding Haus­be­set­zun­gen gege­ben. Die meis­ten währ­ten nur kurz, wur­den geräumt oder lös­ten sich aus ande­ren Grün­den auf. Doch drei der Wohn­pro­jek­te von damals gibt es im Stadt­teil noch heu­te. Alle sind inzwi­schen lega­li­siert. Wir wer­fen einen Blick auf Wed­dings ehe­mals besetz­te Häuser.

Die PA58 im Soldiner Kiez

„So ein gro­ßes Haus und alles steht leer und ver­rot­tet und ande­re fin­den kei­ne Woh­nung – das kann doch nicht sein!“, sagt Ruth Dit­sch­kow­ski. Die damals Mit­te 20-Jäh­ri­ge gehör­te damals zur Haus­be­set­zer­sze­ne und war dabei als das Haus in der Prin­zen­al­lee 58, die ehe­ma­li­ge Hut­fa­brik Gat­tel, besetzt wur­de. Sie erin­nert sich an die Zeit: „Zehn Leu­te waren es, die die PA58 besetzt haben. Dann wur­de in der taz annon­ciert: ‘Mit­be­woh­ner für besetz­tes Haus im Wed­ding gesucht’. Noch heu­te woh­nen da Leu­te, die der Annon­ce gefolgt sind’. Ruth Dit­sch­kow­ski hat selbst nie dau­er­haft in der PA58 gewohnt. Zu ris­kant war ihr das, denn sie hat­te damals schon ein Kind. Trotz­dem fin­det sie die Zeit, „in der man poli­tisch noch was bewe­gen konn­te“ span­nend und half bei der Sanie­rung des Hau­ses mit. Inter­es­sant fand sie es, dass es dort vie­le ver­schie­de­ne Men­schen mit ganz unter­schied­li­chen Ideen gab.

Poli­tisch sei eigent­lich alles gewe­sen, was man damals tat. Klar war auch: wer in einem besetz­ten Haus wie der PA58 wohn­te, muss­te auf der Hut sein. „Wir haben mit der Trö­te Nacht­wa­che gehal­ten, falls Rech­te kom­men oder die Poli­zei das Haus räu­men will“, erin­nert sich die ehe­ma­li­ge Haus­be­set­ze­rin. „Wenn man unter­wegs war, zum Bei­spiel auf einer Demo, hat­te man immer zwei 10-Pfen­nig-Stü­cke dabei und die Tele­fo­num­mer vom Anwalt. Falls man gefasst wur­de, damit man tele­fo­nie­ren kann“, sagt Ruth Dit­sch­kow­ski. Die Pfen­ni­ge muss­te sie selbst aber nie benutzen.

Die Beset­zung der PA58, die am 27. Febru­ar 1981 begann, ist nie­mals poli­zei­lich been­det wor­den. Heu­te ist das Woh­nen in dem Gebäu­de schon lan­ge legal. 1992 grün­de­ten die Bewohner:innen schließ­lich eine eige­ne Genos­sen­schaft, die Woh­nungs­ge­nos­sen­schaft PA58 e.G., und über­nah­men das Haus mit einem 75-jäh­ri­gen Erb­pacht­ver­trag. Noch heu­te woh­nen hier vie­le Men­schen, es gibt Ate­liers und Werk­stät­ten, einen Gemein­schafts­gar­ten und ein Café. Immer wie­der gibt es Ver­an­stal­tun­gen auch für die Öffent­lich­keit wie zum Bei­spiel das Kom­post­ki­no im Prin­zen­gar­ten. Wer heu­te durch das offe­ne Tor zur Prin­zen­al­lee über den Hof in den Gar­ten schlen­dert, unter dem Schrift­zug “Oase” hin­durch, fin­det einen schö­nen Ort im Sol­di­ner Kiez vor. Dass er mal besetzt war, sieht man heu­te nicht mehr.

Viele kurze Hausbesetzungen, einige längere

Die besetz­ten Häu­ser in der 1980er Jah­ren bil­de­ten eine rich­ti­ge Haus­be­set­zer­sze­ne, die ein­zel­nen Pro­jek­te stan­den nicht allein. Ruth Dit­sch­kow­ski erin­nert sich: „Wir haben uns soli­da­ri­siert mit ande­ren besetz­ten Häu­sern im Wed­ding. Es gab regel­mä­ßi­ge Tref­fen. Man hat sich aus­ge­tauscht und über­legt, ob man lega­li­siert wer­den will oder nicht. Und wenn eine Groß­de­mo anstand, hat man zusam­men einen Block gebil­det“. Und Ruth Dit­sch­kow­ski wer­kel­te par­al­lel auch noch in der Oslo­er Stra­ße 10 gleich um die Ecke mit. Die Häu­ser auf dem Gelän­de, eine ehe­ma­li­ge Zünd­holz­ma­schien­fa­brik, stan­den eben­falls auf Abriss. Die dege­wo als Eigen­tü­me­rin lies damals dann aber eine sozia­le Nut­zung zu und sah von dem Abriss ab, wodurch eine Beset­zung hier abge­wen­det wur­de. Das Haus bis heu­te ein sozi­al­kul­tu­rel­les Zen­trum, die Fabrik Oslo­er Straße.

Beson­ders regen Aus­tausch pfleg­ten die PA58 sowie die Fabrik Oslo­er Stra­ße laut Ruth Dit­sch­kow­ski mit einem besetz­ten Haus in der Schul­stra­ße (nahe Kar­stadt) und einem in der Butt­mann­stra­ße „gegen­über dem Café Bar­ri­ka­de“. Doch es gab noch wei­te­re Haus­be­set­zun­gen im Wed­ding und im heu­ti­gen Orts­teil Gesund­brun­nen. Von 1981 bis 1983 war das Haus in der Kolo­nie­stra­ße 30 besetzt, in der Butt­mann­stra­ße gab es drei besetz­te Häu­ser (Nr. 19, Nr. 18, Nr. 16). In der Nr. 16 hat­ten zwei Jah­ren lang die Besetzer:innen das Sagen. Besetz­te Häu­ser gab es auch in der Wil­de­now­stra­ße 15 (ehe­ma­li­ge Obdach­lo­sen­un­ter­kunft Wil­de 15), in der Schul­stra­ße 7 und 8 und in der Syl­ter Stra­ße 4. Wei­te­re Beset­zun­gen waren sehr kurz und währ­ten nur weni­ge Tage, man­che sogar nur 24 Stun­den wie bei­spiels­wei­se in der Dront­hei­mer Stra­ße 12, Bad­stra­ße 30, Nord­ufer 28, Bie­sen­tha­ler Stra­ße 4, Stet­ti­ner Stra­ße 40 oder Lie­ben­wal­der 39. In der Rüge­ner Stra­ße waren die obers­ten zwei Stock­wer­ke zeit­wei­se besetzt. Hier kämpf­te das selbst­ver­wal­te Jugend­pro­jekt Put­te (ver­geb­lich) gegen den Abriss des Hau­ses durch das Bezirks­amt Wed­ding (Video aus dem Jahr 1974). Auch für die Acker­stra­ße 52, die heu­ti­ge Schrip­pen­k­ri­che und die Hus­si­ten­stra­ße 45 ver­merkt die Web­sei­te https://berlin-besetzt.de/ Besetzungen.

Groni50 im Osramviertel

Das Haus­pro­jekt des Ver­eins Gro­ni 50 e.V. zu foto­gra­fie­ren, ist gar nicht so leicht. Besetzt war hier seit 27. Novem­ber 1980 näm­lich nur das Hin­ter­haus. An der rot gestri­che­nen Haus­tür weist heu­te aber ein Schau­kas­ten dar­auf hin, dass es hier ein Wohn­pro­jekt gibt. Ganz genau lässt sich das heu­te nicht mehr nach­prü­fen, aber das Haus in der Gro­nin­ger Stra­ße 50 soll damals das ers­te besetz­te Haus außer­halb Kreuz­bergs gewe­sen sein. Kreuz­berg war das Zen­trum der Haus­be­set­zer­sze­ne. Wie alle ande­ren Häu­ser die­ser Zeit wur­de die Gro­ni nicht besetzt, son­dern instand­be­setzt. Weil die Eigen­tü­me­rin, die Ges­obau, das Haus damals ver­nach­läs­sig­te und zuletzt abrei­ßen las­sen woll­te, kam es zu der Beset­zung. Die Lega­li­sie­rung kam hier schnell. Am 1. Juli 1983, also vor ziem­lich genau 40 Jah­ren, über­nahm der gegrün­de­te Ver­ein das Haus in Selbst­ver­wal­tung und hat bis heu­te einen Miet­ver­trag mit der Vermieterin.

Heu­te deu­tet bis auf den Schau­kas­ten mit Pla­ka­ten zu Femi­nis­mus, Mie­ter­be­ra­tung und direk­ter Demo­kra­tie von außen nichts dar­auf hin, dass hier ein ehe­mals besetz­tes Haus steht, das von sei­nen Bewohner:innen vor dem Abriss geret­tet wor­den ist. Es gibt kei­ne Pla­ka­te, die aus dem Fens­ter hän­gen und kei­ne Knei­pe im Erd­ge­schoss. Über Groni50 haben wir vor eini­gen Jah­ren schon mal einen Text ver­öf­fent­licht (Das ist unser Haus! “Groni50”). Auch das Wohn­pro­jekt selbst hat eine Web­sei­te, auf der auch etwas zur Geschich­te des Pro­jekts steht: https://groni50.org/ueber-uns/

Die Scherer8 im Antonkiez

Ein besetz­tes Haus wie aus dem Bil­der­buch konn­te man bis vor kur­zem in der Sche­rer­stra­ße 8 sehen. Besetzt ist es heu­te nicht mehr, aber es sah so aus: brö­ckeln­de Fas­sa­de, Pla­ka­te mit poli­ti­schen Slo­gans hin­gen aus dem Fens­ter, ein lin­ker Bera­tungs­la­den im Erd­ge­schoss, Graf­fi­tis an den Wän­den (Auf­schrift: Kein Mensch ist ille­gal). In der Scherer8 woh­nen nach Aus­sa­ge des Pro­jekts etwa 60 Men­schen in einem Wohn­pro­jekt zusam­men – ganz klas­sisch mit regel­mä­ßi­gem Plem­num und poli­ti­schem Enga­ge­ment. Es gibt eine Kiez­kü­che, einen Fahr­rad­werk­statt und Band-Probenräume.

Wann genau das vor 100 Jah­ren gebau­te Jugend­stil-Haus ursprüng­lich besetzt wur­de, haben wir nicht her­aus­ge­fun­den (bit­te gern kom­men­tie­ren falls bekannt). Bekannt ist aber, dass das selbst­ver­wal­te Wohn­pro­jekt, das heu­te als Der Haus­ver­ein Sch8 e.V. exis­tiert, das Haus 2010 gekauft hat. Über ein Crowd­fun­ding hat das Pro­jekt im ver­gan­ge­nen Jahr Geld für ein neu­es Dach gesam­melt. Anfang des Jah­res wur­de das Gerüst auf­ge­baut und der­zeit wird das Dach erneu­ert. Der Info­la­den im Erd­ge­schoss ist trotz­dem wei­ter geöff­net und bie­tet für Neu­gie­ri­ge einen Anlauf­punkt. Mehr steht auf der Web­sei­te https://hausprojektsch8.noblogs.org/

„Ich fand den Wed­ding immer schön, ich habe hier gern gewohnt. Auch wenn es ein har­tes Pflas­ter war“, sagt Ruth Dit­sch­kow­ski, die bis vor kur­zem die Nach­bar­schafts­Eta­ge der Fabrik Oslo­er Stra­ße gelei­tet hat. „Es war sehr poli­tisch in den 80ern und es war immer was los. Und es stand ja wirk­lich so viel leer!“, erin­nert sich die ehe­ma­li­ge Haus­be­set­ze­rin. Dass die Häu­ser des­halb besetzt wor­den sind, das hät­ten die Men­schen in der Nach­bar­schaft damals ver­stan­den. Nicht nur in Kreuz­berg und Schö­ne­berg, son­dern auch im Wedding.

Dominique Hensel

Dominique Hensel lebt und schreibt im Wedding. Jeden zweiten Sonntag gibt sie hier den Newsüberblick für den Stadtteil. Die gelernte Journalistin schreibt für den Blog gern aktuelle Texte - am liebsten zu den Themen Stadtgärten, Kultur, Nachbarschaft und Soziales. Hyperlokal hat Dominique es auf jeden Fall am liebsten und beim Weddingweiser ist sie fast schon immer.

4 Comments

  1. Das ers­te besetz­te Haus war das Jugend­zen­trum Put­te in der Rüge­n­er­stras­se es wur­de 1974 von der Poli­zei geräumt und am sel­ben Tag zerstört.
    Es gibt einen Put­te­film auf YouTube.
    Info von einem der ehe­ma­li­gen Jugend­li­chen Besetzern.

    • Ich glau­be, den Film ken­ne ich, der ist super. Der wur­de mal bei einem Geschichts­ca­fé von “Anno erzählt” im Olof-Pal­me-Zen­trum gezeigt. Das Haus war doch Rügener/Ecke Put­bus­ser. Ich hat­te es in der Lis­te auf­ge­nom­men. Bis heu­te ist ja noch die Kita Put­te, die dar­auf her­vor­ge­gan­gen ist, übrig. Sie ist jetzt in der Prin­zen­al­lee. Man kann die Spu­ren also noch fin­den, wenn man sucht.

  2. Sehr inter­es­sant, dan­ke. Es macht mich immer trau­rig wenn ich dar­an den­ke wie­vie­le Alt­bau­ten nach dem Krieg und selbst heu­te noch abge­ris­sen wur­den und wer­den um sie mit kal­tem Beton zu ersetzen.

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