Abriss von Wohnhäusern verhindern und Leerstand beenden – das waren die stärksten Motivationen der Hausbesetzer:innen. Insbesondere in der Besetzungswelle in den frühen 1980er Jahren – eine zweite gab es nach 1990 – hat es auch im Wedding Hausbesetzungen gegeben. Die meisten währten nur kurz, wurden geräumt oder lösten sich aus anderen Gründen auf. Doch drei der Wohnprojekte von damals gibt es im Stadtteil noch heute. Alle sind inzwischen legalisiert. Wir werfen einen Blick auf Weddings ehemals besetzte Häuser.
Die PA58 im Soldiner Kiez
„So ein großes Haus und alles steht leer und verrottet und andere finden keine Wohnung – das kann doch nicht sein!“, sagt Ruth Ditschkowski. Die damals Mitte 20-Jährige gehörte damals zur Hausbesetzerszene und war dabei als das Haus in der Prinzenallee 58, die ehemalige Hutfabrik Gattel, besetzt wurde. Sie erinnert sich an die Zeit: „Zehn Leute waren es, die die PA58 besetzt haben. Dann wurde in der taz annonciert: ‘Mitbewohner für besetztes Haus im Wedding gesucht’. Noch heute wohnen da Leute, die der Annonce gefolgt sind’. Ruth Ditschkowski hat selbst nie dauerhaft in der PA58 gewohnt. Zu riskant war ihr das, denn sie hatte damals schon ein Kind. Trotzdem findet sie die Zeit, „in der man politisch noch was bewegen konnte“ spannend und half bei der Sanierung des Hauses mit. Interessant fand sie es, dass es dort viele verschiedene Menschen mit ganz unterschiedlichen Ideen gab.
Politisch sei eigentlich alles gewesen, was man damals tat. Klar war auch: wer in einem besetzten Haus wie der PA58 wohnte, musste auf der Hut sein. „Wir haben mit der Tröte Nachtwache gehalten, falls Rechte kommen oder die Polizei das Haus räumen will“, erinnert sich die ehemalige Hausbesetzerin. „Wenn man unterwegs war, zum Beispiel auf einer Demo, hatte man immer zwei 10-Pfennig-Stücke dabei und die Telefonummer vom Anwalt. Falls man gefasst wurde, damit man telefonieren kann“, sagt Ruth Ditschkowski. Die Pfennige musste sie selbst aber nie benutzen.
Die Besetzung der PA58, die am 27. Februar 1981 begann, ist niemals polizeilich beendet worden. Heute ist das Wohnen in dem Gebäude schon lange legal. 1992 gründeten die Bewohner:innen schließlich eine eigene Genossenschaft, die Wohnungsgenossenschaft PA58 e.G., und übernahmen das Haus mit einem 75-jährigen Erbpachtvertrag. Noch heute wohnen hier viele Menschen, es gibt Ateliers und Werkstätten, einen Gemeinschaftsgarten und ein Café. Immer wieder gibt es Veranstaltungen auch für die Öffentlichkeit wie zum Beispiel das Kompostkino im Prinzengarten. Wer heute durch das offene Tor zur Prinzenallee über den Hof in den Garten schlendert, unter dem Schriftzug “Oase” hindurch, findet einen schönen Ort im Soldiner Kiez vor. Dass er mal besetzt war, sieht man heute nicht mehr.
Viele kurze Hausbesetzungen, einige längere
Die besetzten Häuser in der 1980er Jahren bildeten eine richtige Hausbesetzerszene, die einzelnen Projekte standen nicht allein. Ruth Ditschkowski erinnert sich: „Wir haben uns solidarisiert mit anderen besetzten Häusern im Wedding. Es gab regelmäßige Treffen. Man hat sich ausgetauscht und überlegt, ob man legalisiert werden will oder nicht. Und wenn eine Großdemo anstand, hat man zusammen einen Block gebildet“. Und Ruth Ditschkowski werkelte parallel auch noch in der Osloer Straße 10 gleich um die Ecke mit. Die Häuser auf dem Gelände, eine ehemalige Zündholzmaschienfabrik, standen ebenfalls auf Abriss. Die degewo als Eigentümerin lies damals dann aber eine soziale Nutzung zu und sah von dem Abriss ab, wodurch eine Besetzung hier abgewendet wurde. Das Haus bis heute ein sozialkulturelles Zentrum, die Fabrik Osloer Straße.
Besonders regen Austausch pflegten die PA58 sowie die Fabrik Osloer Straße laut Ruth Ditschkowski mit einem besetzten Haus in der Schulstraße (nahe Karstadt) und einem in der Buttmannstraße „gegenüber dem Café Barrikade“. Doch es gab noch weitere Hausbesetzungen im Wedding und im heutigen Ortsteil Gesundbrunnen. Von 1981 bis 1983 war das Haus in der Koloniestraße 30 besetzt, in der Buttmannstraße gab es drei besetzte Häuser (Nr. 19, Nr. 18, Nr. 16). In der Nr. 16 hatten zwei Jahren lang die Besetzer:innen das Sagen. Besetzte Häuser gab es auch in der Wildenowstraße 15 (ehemalige Obdachlosenunterkunft Wilde 15), in der Schulstraße 7 und 8 und in der Sylter Straße 4. Weitere Besetzungen waren sehr kurz und währten nur wenige Tage, manche sogar nur 24 Stunden wie beispielsweise in der Drontheimer Straße 12, Badstraße 30, Nordufer 28, Biesenthaler Straße 4, Stettiner Straße 40 oder Liebenwalder 39. In der Rügener Straße waren die obersten zwei Stockwerke zeitweise besetzt. Hier kämpfte das selbstverwalte Jugendprojekt Putte (vergeblich) gegen den Abriss des Hauses durch das Bezirksamt Wedding (Video aus dem Jahr 1974). Auch für die Ackerstraße 52, die heutige Schrippenkriche und die Hussitenstraße 45 vermerkt die Webseite https://berlin-besetzt.de/ Besetzungen.
Groni50 im Osramviertel
Das Hausprojekt des Vereins Groni 50 e.V. zu fotografieren, ist gar nicht so leicht. Besetzt war hier seit 27. November 1980 nämlich nur das Hinterhaus. An der rot gestrichenen Haustür weist heute aber ein Schaukasten darauf hin, dass es hier ein Wohnprojekt gibt. Ganz genau lässt sich das heute nicht mehr nachprüfen, aber das Haus in der Groninger Straße 50 soll damals das erste besetzte Haus außerhalb Kreuzbergs gewesen sein. Kreuzberg war das Zentrum der Hausbesetzerszene. Wie alle anderen Häuser dieser Zeit wurde die Groni nicht besetzt, sondern instandbesetzt. Weil die Eigentümerin, die Gesobau, das Haus damals vernachlässigte und zuletzt abreißen lassen wollte, kam es zu der Besetzung. Die Legalisierung kam hier schnell. Am 1. Juli 1983, also vor ziemlich genau 40 Jahren, übernahm der gegründete Verein das Haus in Selbstverwaltung und hat bis heute einen Mietvertrag mit der Vermieterin.
Heute deutet bis auf den Schaukasten mit Plakaten zu Feminismus, Mieterberatung und direkter Demokratie von außen nichts darauf hin, dass hier ein ehemals besetztes Haus steht, das von seinen Bewohner:innen vor dem Abriss gerettet worden ist. Es gibt keine Plakate, die aus dem Fenster hängen und keine Kneipe im Erdgeschoss. Über Groni50 haben wir vor einigen Jahren schon mal einen Text veröffentlicht (Das ist unser Haus! “Groni50”). Auch das Wohnprojekt selbst hat eine Webseite, auf der auch etwas zur Geschichte des Projekts steht: https://groni50.org/ueber-uns/
Die Scherer8 im Antonkiez
Ein besetztes Haus wie aus dem Bilderbuch konnte man bis vor kurzem in der Schererstraße 8 sehen. Besetzt ist es heute nicht mehr, aber es sah so aus: bröckelnde Fassade, Plakate mit politischen Slogans hingen aus dem Fenster, ein linker Beratungsladen im Erdgeschoss, Graffitis an den Wänden (Aufschrift: Kein Mensch ist illegal). In der Scherer8 wohnen nach Aussage des Projekts etwa 60 Menschen in einem Wohnprojekt zusammen – ganz klassisch mit regelmäßigem Plemnum und politischem Engagement. Es gibt eine Kiezküche, einen Fahrradwerkstatt und Band-Probenräume.
Wann genau das vor 100 Jahren gebaute Jugendstil-Haus ursprünglich besetzt wurde, haben wir nicht herausgefunden (bitte gern kommentieren falls bekannt). Bekannt ist aber, dass das selbstverwalte Wohnprojekt, das heute als Der Hausverein Sch8 e.V. existiert, das Haus 2010 gekauft hat. Über ein Crowdfunding hat das Projekt im vergangenen Jahr Geld für ein neues Dach gesammelt. Anfang des Jahres wurde das Gerüst aufgebaut und derzeit wird das Dach erneuert. Der Infoladen im Erdgeschoss ist trotzdem weiter geöffnet und bietet für Neugierige einen Anlaufpunkt. Mehr steht auf der Webseite https://hausprojektsch8.noblogs.org/
„Ich fand den Wedding immer schön, ich habe hier gern gewohnt. Auch wenn es ein hartes Pflaster war“, sagt Ruth Ditschkowski, die bis vor kurzem die NachbarschaftsEtage der Fabrik Osloer Straße geleitet hat. „Es war sehr politisch in den 80ern und es war immer was los. Und es stand ja wirklich so viel leer!“, erinnert sich die ehemalige Hausbesetzerin. Dass die Häuser deshalb besetzt worden sind, das hätten die Menschen in der Nachbarschaft damals verstanden. Nicht nur in Kreuzberg und Schöneberg, sondern auch im Wedding.
sparrstr 21. in den 80er instandbesetzt um einen kalten Abriß zu verhindern. von den ursprünglichen besetzten wohnt keiner mehr dort. aber den Betreiberverein gibt es noch. heute eher gutbürgetliches klientel
Es gab noch ein Haus, in der Hussitenstraße. Aber das ist glaube ich nicht “offiziell” besetzt worden.
Dort hatte ich vor 40 Jahren folgendes Erlebnis:
https://www.berlinstreet.de/3201
Das erste besetzte Haus war das Jugendzentrum Putte in der Rügenerstrasse es wurde 1974 von der Polizei geräumt und am selben Tag zerstört.
Es gibt einen Puttefilm auf YouTube.
Info von einem der ehemaligen Jugendlichen Besetzern.
Ich glaube, den Film kenne ich, der ist super. Der wurde mal bei einem Geschichtscafé von “Anno erzählt” im Olof-Palme-Zentrum gezeigt. Das Haus war doch Rügener/Ecke Putbusser. Ich hatte es in der Liste aufgenommen. Bis heute ist ja noch die Kita Putte, die darauf hervorgegangen ist, übrig. Sie ist jetzt in der Prinzenallee. Man kann die Spuren also noch finden, wenn man sucht.
Sehr interessant, danke. Es macht mich immer traurig wenn ich daran denke wieviele Altbauten nach dem Krieg und selbst heute noch abgerissen wurden und werden um sie mit kaltem Beton zu ersetzen.