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Zu Besuch in der fremden Mitte von Berlin

9. Mai 2018
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In der Friedrichstraße. Foto: Hensel
Run­de Ecken. Foto: Hensel

Kolum­ne Neu­lich war ich mal wie­der in Mit­te zu Gast. Das klingt viel­leicht merk­wür­dig, denn ich woh­ne ja offi­zi­ell in Mit­te. Genau­er gesagt woh­ne ich, weil es ein Mensch hin­ter einem Schreib­tisch vor fast 20 Jah­ren so woll­te, im Orts­teil Gesund­brun­nen. Doch Gesund­brun­nen ist nicht mei­ne Hei­mat, genau­so wenig wie Mit­te. Ich bin Wed­din­ge­rin. War­um ich nie­mals sage, dass ich in Mit­te woh­ne, fiel mir neu­lich bei mei­nem Besuch “in der Stadt” wie­der ein.

Fährt man von dort, wo vor der Bezirks­re­form der Wed­ding begann, mit dem Rad in Rich­tung Stadt­zen­trum, ist man schnell in einer ande­ren Welt. Die Mau­er steht nicht mehr, doch die Ber­nau­er Stra­ße mar­kiert noch heu­te eine Gren­ze. Hat man sie über­quert, betritt man eine ande­re Welt. Sie ver­än­dert sich immer mehr, je mehr Land man hin­ter sich bringt. Am stärks­ten ist der Kon­trast, wenn man in der Fried­rich­stra­ße, mei­nem Ziel der Rei­se, ange­kom­men ist.

Von mei­nem Fens­ter aus ist Mit­te sehr, sehr weit weg. Foto: Hensel

Die Fas­sa­den ver­än­dern sich auf mei­nem Weg. Vie­les ist neu, groß und etwas ein­schüch­ternd, aus Glas oder irgend­wie schi­ckem Beton. Auch die Geschäf­te sind anders. Es gibt hüb­sche Cafés und teu­re Beklei­dungs­ge­schäf­te, Tou­ris­ten­be­darf und gro­ße nam­haf­te Hotels. Die Men­schen fah­ren auf Leih­rä­dern umher, die im Wed­ding nur acht­los am Stra­ßen­rand lie­gen. Tou­ris­ten aus der Nähe von Aachen oder aus einer Klein­stadt in Ita­li­en foto­gra­fie­ren die Gegend ab oder neh­men an einer Füh­rung teil. Über­haupt sehen vie­le Men­schen anders aus, wie aus einem Busi­ness­mo­de-Kata­log – oder bil­de ich mir das nur ein?

Gebäu­de in der Fried­rich­stra­ße – modern und groß. Foto: Hensel

Es ist nur ein flüch­ti­ger Streif­zug, aber ich füh­le mich auf mei­nem Weg durch Mit­te wie auf einem ande­ren Pla­ne­ten. Am Ende lan­de ich in einer Art Sci­ence-Fic­tion-Sze­ne­rie mit selbst­be­wuss­ten Bau­wer­ken, die in ihren Spie­gel­fas­sa­den einen Stadt­teil reflek­tie­ren, der nicht mei­ner ist. Ich füh­le mich fremd.

Ich den­ke an Kar­stadt am Leo­pold­platz, ans Cent­re Fran­cais in der Mül­lerstra­ße, unse­re Han­dy­la­den-Spät­is und an die eher prak­ti­schen und uneit­len Wohn­bau­ten in mei­nem Kiez. Und ich den­ke ans Quar­tiers­ma­nage­ment. In der Kro­nen­stra­ße, unweit der Fried­rich­stra­ße, wer­den die För­der­an­trä­ge für Pro­jek­te in den Wed­din­ger Kiezen bear­bei­tet, die vom Quar­tiers­ma­nage­ment geför­dert wer­den. Pro­jek­te, die schwie­ri­ge Kieze unter­stüt­zen sollen.

Das Quar­tier 205 ist nobel. In mei­nem Mit­te ist mehr so Quar­tiers­ma­nage­ment … Foto: Hensel

Ich fra­ge mich, was die Bear­bei­te­rin­nen der Anträ­ge über den Wed­ding den­ken wür­den, wenn sie den Weg, den ich gefah­ren bin, in umge­kehr­ter Rich­tung gin­gen. Und: War­um sit­zen sie eigent­lich in die­sem Teil der Stadt, in dem die Welt eine so hüb­sche Ober­flä­che hat? War­um sit­zen sie nicht zum Bei­spiel am Leo­pold­platz oder am Naue­ner Platz? Aus ihrer Per­spek­ti­ve, den­ke ich mir, kann das Ziel der Arbeit für den Wed­ding ja nur Auf­wer­tung sein. Auf­wer­tung, die vie­le im Wed­ding gar nicht wollen.

Mit­te ist eine ganz ande­re Welt. Es heißt, der Wed­ding kam einst nur wegen eines stör­ri­schen Bezirks­bür­ger­meis­ters zum Bezirk Mit­te, der die kom­plet­te Bezirks­re­form sonst ver­hin­dert hät­te. Eigen­ar­tig, dass er dar­auf bestan­den hat, den­ke ich. Mit­te ist bis heu­te eine kom­plett ande­re Welt. Hier bin ich nicht zu Hau­se. Hier stau­ne ich und bin nur zu Besuch. Ich bin Weddingerin.

Bilder aus der fremden Mitte

Text und Fotos: Domi­ni­que Hensel

Dominique Hensel

Dominique Hensel lebt und schreibt im Wedding. Jeden zweiten Sonntag gibt sie hier den Newsüberblick für den Stadtteil. Die gelernte Journalistin schreibt für den Blog gern aktuelle Texte - am liebsten zu den Themen Stadtgärten, Kultur, Nachbarschaft und Soziales. Hyperlokal hat Dominique es auf jeden Fall am liebsten und beim Weddingweiser ist sie fast schon immer.

8 Comments

  1. Ich habe immer den Ein­druck, dass Wed­ding und Tier­gar­ten völ­lig in Mit­te ein­ver­leibt wur­den. Bei der Woh­nungs­su­che gibt es die bei­den Bezir­ke nicht mehr, wäh­rend Tem­pel­hof und Schö­ne­berg zum Bei­spiel noch mit bei­den Namen beti­telt werden.

    • Ich den­ke immer, dass das ein fie­ser Trick der Immo­bi­li­en­bran­che ist, zu schrei­ben: Attrak­ti­ve Woh­nung in Mit­te zu ver­mie­ten. Dabei ist die Sol­di­ner Stra­ße gemeint. (Sor­ry Sol­di­ner Kiez!).

  2. Einen Orts­teil, der zum größ­ten Teil außer­halb des S‑Bahn-Rings liegt, zur “Mit­te” zu erklä­ren, schafft auch nur Ber­lin. Wobei Mit­te natür­lich genau­so­we­nig uni­form ist wie Wed­ding und Gesund­brun­nen. Die dunk­len Hin­ter­ecken des Alex’ gehö­ren da ja genau­so zu wie die Wohn­hoch­häu­ser auf der Fischerinsel.

  3. Wie in fast jeder Hauptstadt…
    Ste­ri­li­tät innen, außen Ghet­to. Ein Haupt­pro­blem im schö­nen Wed­ding ist der Müll auf der Stra­ße. Gibt es eine Initia­ti­ve, die sich dem annimmt? Wür­de ger­ne mitmachen…

  4. Oooch – bei mir ist es genau anders her­um! Ich woh­ne in Mit­te und arbei­te in Mit­te! Und das bereits seit fast 20 Jahren!

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