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Zum Rücktritt der Stadträtin Dr. Almut Neumann:
Das Doppelte in der halben Zeit

18. April 2024
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Meinung. Die Stadträtin für Straßen und Grünflächen Dr. Almut Neumann (Grüne) ist zurückgetreten. Hätte sie in den 1990er Jahren ihr Amt geführt, wären ihre zweieinhalb Jahre als durchschnittlich verbucht worden. Schließlich hat sie nichts gebaut, sondern lediglich mit Farbe und preiswerten Pollern gearbeitet. Doch im Hier und Heute hat sie bewiesen, dass auch kleine Schritte viel Bewegung bedeuten können. Vor allem, wenn es viele sind.

Eine der letzten Amtshandlungen: Eröffnung der 100. sicheren Kreuzung. Foto: Andrei Schnell

Nur wenig zu schaffen, das ist in Berlin keine Schande (mehr). Schließlich gibt viel zu viele Probleme - kein Geld, keine Leute, keine Kompetenzen. Es ist das Verdienst der kurzen Amtszeit von Dr. Almut Neumann bewiesen zu haben, dass Entscheider auch mit wenig Geld, mit wenigen Mitarbeitern und angesichts eines alles an sich ziehenden Senats mit wenig Handlungsspielraum viel bewegen können. „Ich persönlich halte nicht viel von Leuchtturmprojekten“, sagte die Stadträtin an einem ihrer letzten Tage im Amt. Wichtiger sei es ihr gewesen, in die Breite zu gehen. Übersetzt heißt das: Auch in Berlin kann sich die Politik Ziele setzen, so sie denn will. Und Dr. Almut Neumann wollte.

Sie wollte den Verkehr ändern. Sie sagt, die Verkehrssicherheit erhöhen. Deshalb hat sie neue Fahrradstraßen, übersichtlichere Kreuzungen und Kiezblocks eingerichtet. Fahrradstraßen nicht nur in der Triftstraße. Umbau von Kreuzungen zu sichereren, und zwar 50 pro Jahr; vor kurzem hat sie die 100. an Fußgänger übergeben. Auf den Kiezblock Bellermannviertel werden weitere folgen. Nach jahrelangen Blockaden zwischen Bezirk und Senat fiel die Eröffnung der Radspur auf der Müllerstraße in ihre Amtszeit. Im Wedding eines der sichtbarsten Veränderungen im Straßenverkehr.

Ihre Kritiker werfen ihr vor, es gehe ihr ausschließlich darum, die Zahl der Parkplätze zu verringern. Tatsächlich hat sie nie einen Hehl daraus gemacht, dass der Autoverkehr künftig nicht mehr die Hauptrolle spielen soll. Schließlich verlangt dies das geltende Mobilitätsgesetz. Neu war, dass jemand kommt, der das Gesetz auch umsetzen will. Mit den vorhandenen, bescheidenen Mitteln. Für manch einen war das schon zu viel.

Wenige Tage nach Amtsantritt eröffnet sie im Brunnenviertel die erste Parkzone. Foto: Andrei Schnell

Straßen umgebaut, wie in den 1990er Jahren üblich, das hat die Stadträtin nicht. Große Bauprojekte werden nicht in Erinnerung bleiben. Statt Millionen zu investieren, hat sie relativ wenig Geld für Farbe, Fahrradbügel und Verkehrszeichen ausgegeben. Und gleichzeitig unaufhörlich Nachrichtenverbreiter informiert und eingeladen. Auch bei Kleinstetappen, wie dem Aufstellen einer Bank zum Sitzen. Dennoch schlugen in der Debatte die Wellen hoch. Ein Politiker, eine Politikerin, die ihr Amt nutzen will, um am Steuer zu stehen, anstatt die Segel nach den launigen Winden auszurichten? Das war ungewohnt. Offenbar müssen die Menschen erst wieder lernen, dass Politik Anpassung an die Zukunft heißt. Auch wenn das in kleinen Schritten geschieht. Und das mit Politik nicht der ewige Weiterlauf des Gestern gemeint sein kann. Zugespitzt formuliert: Dr. Almut Neumann hat (auf lokaler Ebene) das Politische zurück in den Politiktrott gebracht.

Ihr Amt gibt die Stadträtin aus privaten Gründen ab. Nach zweieinhalb Jahren. Gewissermaßen nach der ersten Halbzeit. Wer sie trifft, der sieht, dass die privaten Gründe etwas mit ihrer unübersehbaren Schwangerschaft zu tun haben. Weitere Details möchte sie der Öffentlichkeit nicht mitteilen, hier zieht sie die Grenze zwischen politischem und privatem Leben. Ob sie nach der Familienpause zurück in die öffentliche Arena der Politik kehren wird, das lässt sie offen. Bevor sie Stadträtin wurde, hat sie als Verwaltungsrichterin gearbeitet. Unwahrscheinlich ist es nicht, dass sie künftig lieber entscheidet als zu richten und zu schlichten. Nachdem sie erfahren hat, was in der Politik möglich ist.

Ihr Nachfolger soll Christopher Schriner werden. Er wurde von den Grünen nominiert und soll bei der Bezirksverordnetenversammlung am Donnerstag kommender Woche offiziell gewählt werden. Es wird sich zeigen, ob er die Fußstapfen und die kleinen Schritte seiner Vorgängerin als groß empfinden wird.

PS: Ja, in der Chronologie ihrer Arbeit fehlen viele wichtige Stationen: Von Hai-Alarm über Parklet bis Entsiegelung. Hart und ungerecht: Wer in der Hälfte der Zeit das Doppelte schafft, der wird am Ende zu wenig gewürdigt.

Almut Neumann
Amtsantritt im November 2021. Foto: Andrei Schnell

Andrei Schnell

Meine Feinde besitzen ein Stück der Wahrheit, das mir fehlt.

11 Comments

  1. Ich bedaure den Abschied von Frau Neumann aus ihrem Amt als Bezirksstadträtin.

    Die von ihr eingeleiteten Änderungen in den Kiezen haben sicht- und fühlbare Alltagsverbesserungen für die Menschen vor Ort gebracht. Die Kreuzungen sind für Fußgänger nun viel übersichtlicher und können durch die Bügel von Autos auch nicht mehr - wie zuvor die regel - zugeparkt werden. Parklets, Zweirad-Parkplätze, Einrichtung von Fahrradstraßen - die öffentlichen Flächen werden wieder menschengerechter gestaltet. Autogerecht war früher.

    Ich schätz(t)e ihre zupackende Art - keine Symbolpolitik, sondern handfeste, konkrete Änderungen - verbunden mit Aufrufen an und Opptionen für die Menschen, in den Kiezen aktiv mitzumachen, begleitet durch einen Kulturwechsel, dass die Ämter dabei unterstützen und nicht verhindern bzw. erschweren.

    Das Einfache zu machen ist das eigentlich Schwere. Frau Neumann hat hier erfreuliche Akzente gesetzt. Hoffen wir mal, dass der designierte Nachfolger diese Quadratur des Kreises auch hinbekommt.

  2. Ich hätte Frau Neumann gerne als Bürgermeisterin gehabt. Wenigstens für den Bezirk. Sie hat so tolle Arbeit gemacht. Angefangen mit der neuen Baumscheibenverordnung, nach der man endlich legal und unkompliziert Baumscheiben begrünen konnte. Und das nachdem einem das Grünflächenamt jegliches ehrenamtliche Engagement dahingehend wieder abgeräumt hat.
    Der Bellermannkiez z.B. ist so viel schöner und angenehmer geworden. Insgesamt überrascht mich z.B. auch positiv wie gut die Fahrradbügel ( an den Kreuzungen) angenommen werden. Auch von Mofas/Motorrädern etc. So dass sie nicht mehr auf dem Gehweg stehen. Insgesamt viele, viele kleine Veränderungen, die aber viel positives bewirken.

    • Gut zu hören, dass jemand findet, dass das eine oder andere schöner geworden ist. Ich glaube manchmal beim Scrollen durch die sozialen Medien, ich spinne einsam vor mich hin (weil ich es angenehmer finde als vorher).

  3. Schöner Nachruf. Sie hat sich mehr als selbst übertroffen und den Grünen alle Ehre gemacht! Hoffentlich schafft ihr Nachfolger das auch.

    • Es gibt Leute, die hoffen, dass es kein Nachruf ist; dass Dr. Almut Neumann nur pausiert. Mal schauen, was den Grünen zur Vereinbarkeit von Familie und Politik einfällt - in puncto Rückkehr nach einer Auszeit.

  4. Die Politik für das Fahrrad finde ich gut und dem Wedding - mit seinen vielen Radfahrern und wenigen verwahrlosen Schmalspur-Radwegen - sehr angemessen.

    Die Hasskampagne gegen die Weddinger Schwimmer des Plötzensees finde ich völlig daneben. Ich bin selber aktiver Naturschützer und Naturbader. Ein angeblich von Schwimmern getöteter Schwan als Propagandamittel des Naturschutzes ist in jeder Hinsicht "Schwarze Pädagogik".

    -- Ginge es um den Schwan oder das Betreten des Ufers, so hätte ja die auf Stegen stehende "Fischerpinte" weiterleben dürfen.
    -- Es gibt auch nach wie vor keinen Naturschutz-Fachplan für den Plötzensee.
    -- Kürzlich entdeckte ich, dass sogar die Schilder der FKK-Liegewiese NEBEN dem Campingplatz abmontiert sind.
    -- Ginge es um den Schutz des Ufers, so hätte das Bezirksamt präsent sein MÜSSEN, als 2020 viele Hundert vor dem Brexit geflohene "Expats" Tag für Tag ihr "Workout" beim Feierabendbier in Gruppen direkt am Seeufer verbrachten. Da war vom Bezirksamt nix zu sehen, denn es handelte sich um Auswärtige. Erst als der Schaden längst angerichtet war, nagelte das Amt die Haie gegen die Weddinger an.

    Nun dürfen die Weddinger am Plötzensee nur noch aus Entfernung gucken, Indessen der Campingplatz und das überteuerte Kommerzfreibad alles dürfen. Sein Geschäftsmodell sind mehrmals die Woche lärmende Eventspektakel für Besserverdienende, die mit Auto anreisen. Schwimmer aus dem Wedding, die regelmäßig nach Feierabend mal reinspringen, sind dort gar nicht vorgesehen.

    Hat die Grünflächen-Stadträtin hier ein Private-Public Partnership der besonderen Art veranstaltet? Zu deutsch: Amigowirtschaft. Ihr Nachfolger hat die Chance, viele Wähler des Wedding wieder zu den Grünen zurückzuholen.

    • Als Hasskampagne würde ich die Haikampagne nicht einordnen, auch wenn das wortspielerisch schön klingelt. Gibt es für den Vorwurf Amigowirtschaft Hinweise? Falls ja, wäre das interessant.
      Das Baden am Plötzensee wird sicher noch die nächsten Jahre Streitthema bleiben. Das beobachte ich mit Spannung. Auch welche Argumente da noch kommen werden. / Deutlich wurde bisher, dass viele Weddinger den See lieben. Ich persönlich drücke die Daumen, dass diese Liebe dazu führt, dass sie ihr Kleinod bewahren.

      • Ich finde es auch seltsam, dass die wenigen natürlichen Bademöglichkeiten, die Berlin besitzt, vermarktet werden. Es ist ja nicht so, dass die Berliner Bäderbetriebe das Freibad Plötzensee an einen Sportverein verpachten (wie von 2006 bis 2008) und die Einnahmen somit einer guten Sache (dem Sport) zugutekommen. Auch wenn ich verstehe, dass der private Betreiber in das Gelände investiert hat und diese Investitionen zurückhaben will.

    • Die Kampangne fand ich auch überzogen, aber eher unterhaltsam.
      Den Ansatz, dass das Ordnungsamt Schwimmer an der Steintreppe nicht bestraft halte ich für einen akzeptablen Kompromiss.

      Hasskampagne passt da wirklich nicht.

      • Ich habe immer noch nicht herausgefunden, zu welchem Zweck die Steintreppe einst gebaut wurde. 1923 hat wohl Gartenbaudirektor Rudolf Germer den Rundweg angelegt. Wer weiß mehr?

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