Ein erster sog. Fernsprechkiosk stand ab Januar 1881 in Berlin, der Trend kam aus Amerika. Ende der 1890er wurden Telephon-Billets ausgegeben, die nach Minutenlänge verkauft wurden. Ab den 1920er Jahren waren Münzfernsprecher im Stadtbild normal, verschiedene Farben waren jeweils die Norm, bis ab 1951 Deutschland in Ost und West das Gelb einzog. Die gelben Häuschen der Bundespost gab es zwischen den Jahren 1947 bis 1994. Mitte der 1990er Jahre wurde die Farbgebung der Münzfernsprecher dem Design der Telekom in Weiß-Grau-Magenta angepasst.
Nun werden fast alle restlichen öffentlichen Fernsprecher abgebaut. Im Wedding sind es allenfalls noch 20 Telefonhäuschen und in Gesundbrunnen höchstens noch 33. Und da hat sich auch schon etwas geändert.
Die Groschen fielen (oft genug) durch
Ab 1978 wurden die gelben Häuschen aufgestellt. Sie wurden kurz TelH78 genannt. Bis zum Jahr 1984 konnte man dort noch für 20 Pfennige pro Einheit fernsprechen! Kostengünstig und außerdem wirtschaftlich ist das Telefonieren am Münzfernsprecher schon lange nicht mehr, denn ein Inlandsanruf kostet für die erste Minute bereits 1,20 € und jede weitere Minuteneinheit 10 Cent. Zudem. Andersherum betrachtet sind die Telefonhäuschen dem Vandalismus und Silvesterschäden pro Jahr in Millionenhöhe ausgesetzt, die meisten haben grundsätzlich einen Stromverbrauch wie ein sparsamer Kühlschrank im Jahr (fast 15 Millionen KWh pro Jahr) und etwa 3800 von 12000 verbliebenen Telefonhäuschen brachten gar keinen Umsatz mehr. Die kritische Grenze wurde 2021 bei 50 € angesetzt, diejenigen, die weniger Umsatz einbrachten, wurden dann abgebaut.
Fasse dich kurz!
Nimm Rücksicht auf die Wartenden!
Telefon kann Leben retten!
(Merksprüche der Post)
Was konnte man an Umständen, Überraschungen und Besonderheiten beim Nutzen der Telefonhäuschen erleben! Ich selber erinnere mich an die Wohnungssuche als Studentin in Westberlin. Wenn man wusste, wo die Ausgaben der großen Berliner Wochenendzeitungen mit dem Immobilienteil nachts ausgegeben wurden – damals war der Vermiete-Anteil und nicht der Verkaufe-Bereich in den Zeitungsausgaben noch der Wesentliche – dann sollte man auch gleichzeitig vor Ort ein Telefonhäuschen gekapert haben, um durch Fake-Gespräche nach Wessiland die Pole-Position einzunehmen, was natürlich auch zu Fake-Warteschlangen an den Münzfernsprechern rund um den Bahnhof Zoo führte.
Es gab scharfe Blicke, heftiges Anklopfen an der Scheibe und böse Zungen, wenn man damit auffiel und den Verdacht nährte, hier Zeit zu schinden, um das gekaperte Häuschen zu halten. Dieser Aufwand nützte allerdings nur, wenn man auch einen Vermieter samstags abends am Telefon erreichte, der bereit war, sofort Besichtigungstermine zu vereinbaren.
Viele Jahre später. Diese Münzfernsprecher waren auch noch nützlich, als die Kinder klein und immer mit zwei Groschen unterwegs waren, nachmittags auf eigenen Wegen und man zwischendurch gern eine Nachricht erhalten mochte, um zu wissen, es ist alles gut mit dem Kind. So hatte mein Sohn einmal einen unerbetenen und eigentlich einen von mir verbotenen Ausflug mit seinem Rad unternommen, und er rief nach etwas längerer Pause tatsächlich an, um mir mitzuteilen: „Ich bin bei den großen Männern unter der Brücke! Es dauert etwas länger!“ Mir fiel – ob Sie es glauben oder nicht – tatsächlich der Telefonhörer im Schock aus der Hand, was in diesem Moment unpraktisch und widersinnig war, denn ich wollte sofort wissen, wo genau er war. Mein strenger Rat, sofort von den Clochards wegzugehen und einen U‑Bahnhof aufzusuchen, wo ich bald sein würde, um ihn abzuholen, wurde angenommen. Und meine Sorge löste sich nur ein wenig in Luft auf, da mein Sohn Borofsky‘s Molecule Men am Treptower Park meinte.
O Schreck, lass nach! Man kann sich nicht vorstellen, wie zornig mich schon in meiner Jugend die Tatsache machte, dass man diese Fernsprecher nicht anrufen oder rückrufen konnte. Bald schon nach diesem Ausflug, der zudem mit einem Platten endete, gab es erschwingliche Handys auch für Kinder und die große Welle des Schülerhandys setzte ein.
Seit Dezember 2021 mit dem Inkrafttreten des neuen Telekommunikationsgesetzes (TKG) hat die Telekom nicht mehr den Auftrag, diese Universaldienstleistung der öffentlichen Fernsprecher und Notrufe flächendeckend anzubieten.
Bundesweit gab es Mitte der 1990er Jahre 160.000 Telefonhäuschen, ‑zellen und ‑säulen. Nachdem etwa 90 % der Telefonhäuschen abgebaut wurden, sind es heute noch maximal 12.000. Davon werden voraussichtlich etwa 3000 an zentralen Orten zu sog. Small Cells, Antennenstandorte umgewandelt werden; diese entlasten die Dachstandorte für die großen Mobilantennen. Vom Fernsprecher zur Funkzelle!
In Berlin standen im Jahr 2016 noch etwas über 1230 Zellen.
Aber was wird mit den alten und letzten Telefonzellen geschehen? Tausende sind nahe Potsdam bei Michendorf im Wald auf einem Zellen-Depot gelagert, erkennbar als ein Farbklecks auf Google Maps. Man kann diese als Privatperson gebraucht kaufen und weiterverwenden. Für das gelbe Häuschen TelH78 sind etwa 450 € zu zahlen, für TelH90, also die magenta-grauen Zellen, muss man etwa 350 € berappen.
Daneben gibt es weitere Umnutzungen, die sich in den Städten verbreiten: die Bücherbox zum freien Tauschen und Nehmen von Büchern. So zählt Wikipedia in Berlin im September 2021 84 Bücherboxen, die allesamt gepflegt und gehegt werden, oft nahe bei sozialen Projekten: So im Wedding im Soldiner Kiez an der Grüntaler Straße auf der Mittelinsel oder bei der Fabrik Osloer Straße, auch am Centre Francais, Müllerstraße 74, neben dem kleinen Eiffelturm (Hierbei handelt es sich allerdings um eine französische Telefonkabine).
Der Fantasie sind kaum Grenzen gesetzt: ob als Dusche im Garten, als dekoratives Gewächshaus, als Requisite im Kino oder gar als Souvenir für das Kennenlernen beim Telefonieren am Telefonhäuschen, hier lässt sich etwas Individuelles oder Originelles basteln. Vielleicht finden sich weitere pfiffige Ideen für dieses Kulturgut aus dem ausklingenden Zeitalter des Analogen.
Text © Renate Straetling
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https://www.tagesschau.de/wirtschaft/verbraucher/telefonzellen-101.html
Gut recherchierter Beitrag, liebe Renate. An der Telefonsäule auf dem Titelbild ‑in der damaligen Lüderitzstraße habe ich meine Jungs in die Kunst des Telefonierens per Münzfernsprechers eingewiesen. Ich dachte, das würden sie mal für später brauchen.
Was aus den Telefonzellen wird? Ich kenne sie als Ruheräume in Großraumbüros, wenn man mal konzentriert nachdenken will, als Raucherzellen mit Abzugshaube und als moderne Telefonzellen in Co-Working-Spaces, wenn man mit seinem Handy mal ein Gespräch führen will, bei dem nicht alle zuhören. 😉
So übel war die Telefonzellenkultur nicht. Sehr sinnlich die ganzen Gerüche, Geräusche und Sozialkontakte. Kommunikation, auch mit wildfremden, hatte eine viel größere Bedeutung als heute! In vieler Hinsicht!!
Kommunikation musste gewollt sein, und gekonnt: man musste dafür organisiert sein. – Wenn Kommunikation erwünscht war: Ich kannte welche, die nannten das Telefon “Kulturbremse”, weil es sie von der Arbeit abhielt und sie dann weniger Muße hatten, ihre Familie und Freunde zum Essen zu treffen. Ich selber stellte mein Telefon öfters in den Kühlschrank. Da konnte es klingeln, ohne zu stören, aber war trotzdem nicht “besetzt”.
Ein Smartphone heute ist geradezu langweilig. Denn nie wieder waren die Handys so futuristisch wie zu Beginn, als sie noch gar nicht ‘Handys’ hießen. 1988 hatte ich mein erstes, einen Motorola Piepser im grüntransparenten Gehäuse für die Hosentasche. Ich konnte mich anpiepsen lassen (auch lautlose Vibration ließ sich bereits einstellen!), es blinkte wie bei E.T., die Nummer erschien auf dem Display und ich ging zum Zurückrufen wohin? – In die nächste Telefonzelle!
Was wäre denn Dagobert ohne die Telefonhäuschen gewesen?