Beim Stadtentwicklungsausschuss kann man manchmal viel lernen. Zum Beispiel, dass Karstadt am Leopoldplatz gar nicht Karstadt gehört, sondern der Versicherungskammer Bayern. Oder, dass eine Nachricht in den Medien zwar für Überraschungen, aber nicht unbedingt für Aufklärung sorgen muss. Die Frage, die von Journalisten in den Raum gestellt wurde, bleibt auch nach der Ausschusssitzung am Mittwoch (24.3.): Wird Karstadt Müllerstraße abgerissen oder steht ihm eine goldene Zukunft bevor? (Siehe auch unseren Kommentar zum Thema)
Unklare Signale sendet der Besitzer von Grundstück und Warenhaus in der Müllerstraße 25. “Der Eigentümer würde das Kaufhaus am liebsten abreißen lassen”, so fasste Journalistin Julia Weiss in ihrem wöchentlichen Mitte-Newsletter für den Tagesspiegel zusammen. Am Mittwoch sprachen Beauftragte des Investors bei der Ausschusssitzung von einer möglichen guten Zukunft des Standorts. Wie passt das zusammen?
So positioniert sich der Eigentümer
Die Mitglieder des Ausschusses für Stadtentwicklung hatten am Mittwoch (24.3.) ab 18.45 Uhr einen besonderen Gast. Eingewählt hatte sich der Managing Director – nicht Geschäftsführer – der Value Real Estate Sascha Basic. Er sagte in seinem Vortrag: “Wir müssen ein Zukunftskonzept für die Müllerstraße erarbeiten”. Er warb dafür, mit der Politik in “einen Dialog einzutreten”. Als Vertreter des Investors ist es sein “Wunsch, keinen Leerstand zu haben.” Worte, die positiv klingen. So als ob in dem rotbraunen Kaufhaus noch lange Bekleidung, Schuhe und Alltagswaren verkauft werden sollen.
Gleichzeitig spricht der Immobilienverwalter von den Problemen des Einzelhandels. Im Vergleich zum Online-Shopping bleiben Vor-Ort-Läden zurück. Statistiken belegen zudem den Niedergang des besonderen Konzeptes Warenhaus. Im Unterschied zu den Einkaufszentren wie Malls (Gesundbrunnen-Center, Clou oder SchultheissQuartier) haben Warenhäuser einen einzigen Mieter – in der Müllerstraße 25 ist es Galeria Kaufhof Karstadt. Auf fast 18.000 Quadratmeter Verkaufsfläche präsentiert sich nur ein Anbieter. Will Sascha Basic sagen, dass Warenhäuser gegen Mall und Internet keine Chance mehr haben? Zumindest versteht es Stadtrat Ephraim Gothe so und sagt dazu: “Als Bezirk wollen wir nichts an der Baurechtsausweisung ändern, der Status Warenhaus soll erhalten bleiben.‟
Die Bezirksverordneten fragten, warum der Investor das Haus gekauft hat, wenn die Aussichten so düster sind? Antwort: “Wir haben 2018 einen Mietvertrag über 20 Jahre abgeschlossen”. Der Investor, die Versicherungskammer Bayern sei ein vorsichtiger, langfristig orientierter, sogenannter konservativer Akteur. Das war vor der Insolvenz von Galeria und vor der Pandemie. Nun gibt es eine neue Situation – die Mieteinnahmen tröpfeln. “Galeria zahlt mehr Betriebskosten als Miete, obwohl die Betriebskosten durchschnittlich sind.” Ein Problem für den Versicherer und die Versicherungsnehmer.
Was kann am Leo verbessert werden?
Trotz oder wegen der düsteren Zukunftsaussichten spricht Sascha Basic mit Nachdruck davon, dass der Standort attraktiv werden muss. Wobei er mit Standort die gesamte Müllerstraße meint. “Können wir nicht was Neues generieren?”, fragt er. Seine Stichworte: Öffnung nach außen, Wünsche der Stadt, der Bewohner. “Was können wir an dem Hochfrequenzpunkt verbessern?”
Was bleibt unterm Strich? Einerseits: Sascha Basic kommentiert nicht Vermutungen, ein Abriss stünde zur Diskussion. Ein Punkt, an dem er ohne Not vieldeutig bleibt. Andererseits: Sein Werben für eine Zukunftsperspektive für den Standort klingt ernst gemeint. Was er mit seinen blumigen Formulierungen meint, was er sich genau vorstellt, hält er zurück. Vor allem bleibt unklar, was der Investor vom Bezirk erwartet. Das verschiebt sich in die Verhandlungen – er sagt Dialog – mit der öffentlichen Hand. Mit anderen Worten: Um die Zukunft des Gebäudes wird derzeit gerungen.
Hintergrund
Sascha Basic berichtete in seinem Vortrag interessante Hintergrundinformationen. So ist der Eigentümer die Versicherungskammer Bayern. Die Value Real Estate ist als Verwalter beauftragt. In Berlin hat der Versicherer 2018 Karstadtfilialen in Spandau, Tempelhof und Wedding gekauft. In der aktuellen Krise konnte “nur durch die erheblichen Zugeständnisse bei Miete, Laufzeit und Instandhaltung eine Schließung der Standorte abgewendet werden”. Der jetzige neue Mietvertrag für das Haus im Wedding läuft nun nicht mehr jahrzehntelang, sondern bloß noch bis 2024. Der gesamte Konzern Galeria Kaufhof Karstadt hat aufgrund der Pandemie 460 Millionen Euro Staatshilfen angenommen.
Links
- Webseite der 2010 gegründeten Value Real Estate
- Webseite mit Unternehmensporträt der Versicherungskammer Bayern
Hier findet ihr einen Meinungsbeitrag zum Thema Warenhaus
Hallo Andrei,
Sascha Basics Gedanken zur gesamten Müllerstraße “Können wir nicht was Neues generieren?” und seine Stichworte “Öffnung nach außen, Wünsche der Stadt, der Bewohner” erinnern mich an die »Zukunftskonferenz Müllerstraße«.
Im Jahr 1999 habe ich an dieser Veranstaltung teilgenommen, einem Projekt der Lokalen Partnerschaft Wedding im Rahmen der WERKSTATT AGENDA 21 des Bezirksamtes Wedding. Während der dreitägigen Zukunftskonferenz wurden Visionen für die Müllerstraße 2020 erarbeitet.
Wäre es nicht interessant, heute zu schauen, welche Ideen damals entwickelt, welche Ziele erarbeitet und welche seither umgesetzt wurden? Umfangreiche Unterlagen aus der Veranstaltung und der Phase danach habe ich parat.
An die von Susanne Haun erwähnte Händlergemeinschaft Obere Müllerstraße kann ich mich auch erinnern.
Grüße aus dem Wedding,
Susanne
Hallo Susanne,
danke für das Angebot. Das klingt spannend. Ich melde mich per E‑Mail bei Dir.
VG
Andrei
Hallo Andrei,
ich habe schon bei Joachims Beitrag meine Meinung zu Karstadt gepostet.
Interessant, dass Karstadt nicht Karstadt gehört.
Die Müllerstrasse interessanter gestalten hat der inzwischen abgewickelte Verein der Händlergemeinschaft der Müllerstraße versucht, leider hat es nicht wirklich funktioniert.
Meine Meinung nach dem Warum möchte ich nicht so gerne öffentlich erläutern. Vielleicht können wir mal bei Gelegenheit darüber plauschen.
Liebe Grüße von Susanne