Letztes Jahr haben sich viele Politiker:innen, Anwohner:innen und Privatpersonen für den Erhalt der Karstadt-Filiale am Leopoldplatz eingesetzt. Der Warenhauskonzern war ins Straucheln geraten, schon vor dem Beginn der Corona-Pandemie, und von der Vorstellung, dass es im Norden Berlins zumindest ein konventionelles Kaufhaus geben sollte, wollten sich die Wenigsten verabschieden. Das ist eine gefühlte Ewigkeit her. Ein persönlicher Abschied von einem Konzept aus einer anderen Zeit.
Wo ist die Kassenschlange?
Nach einigen Monaten Lockdown kommt mir das Prinzip eines Warenhauses, zumindest so wie es Karstadt am Standort Leopoldplatz betrieben hat, inzwischen völlig aus der Zeit geraten vor. Ein enger, schlauchartiger Eingang, ein zugestelltes Erdgeschoss, bis man zu den Rolltreppen kommt, dann die Suche nach der richtigen Abteilung, schließlich das Hoffen auf eine persönliche Beratung und dann die Frage, wo denn jetzt eigentlich die einzige Kasse des ganzen Geschosses ist. Im Grunde musste man nur nach der Warteschlange Ausschau halten.
Ja, Karstadt hatte lange Zeit das vielleicht beste Sortiment im Wedding, eine Feinkostabteilung, große Auswahl an Kleidung, Taschen, Parfüms, Uhren und Schmuck. Aber das ist (auch schon vor dem Lockdown) immer weniger geworden, am Ende ist es nur noch ein Schatten des einstigen Angebots. Nichts, was man nicht woanders ohne Aufwand auch bekommen konnte. Nur nicht in dieser Form, mit angeschlossenem Restaurant und Parkhaus, auf verschiedenen Etagen.
Angesichts der Enge, dem doch sehr unpersönlich gewordenen Einkauf, der langen Warterei an der Kasse frage ich mich: Würde ich, von meiner lokalpatriotischer Haltung abgesehen, wirklich gerne wieder in den roten Kasten gehen, wenn es wieder uneingeschränkt erlaubt ist? Ist es das, was an diesem wichtigen, zentralen, gut erreichbaren Standort wirklich eine Zukunft hat? Wollen wir dort ein Museum des 20. Jahrhunderts erhalten, statt die Fläche, das Dach und das Parkhaus für etwas wirklich Innovatives, im Sinne des Gemeinwohles, zu nutzen? Ist die Frage denn so abwegig, ob dieser Platz nicht für Weddinger Gewerbetreibende, Dienstleistungen wie ein Bürgeramt, Gemeinschaftsgärten oder bürgerschaftliche Initiativen genutzt werden sollte? Oder dass man dort Waren, die man im Internet bestellt, abholt und dabei noch einige lokale Produkte einkauft?
Ich freue mich wirklich, dass sich Bezirkspolitiker:innen für den Erhalt des Warenhauses einsetzen, weil der Ort tatsächlich eine Bedeutung für das ganze Umfeld hat und noch immer viele Arbeitsplätze bietet. Aber ich wünsche mir, dass man nicht zu lange am Konzept Warenhaus klebt, wenn es sich am Ende, aus verschiedensten Gründen, als nicht mehr zeitgemäß erweist. Dann sollte die Zeit genutzt werden, aus diesem Gebäude, das sicher erhaltenswert ist, etwas zu machen, das den Wedding wirklich auf lange Sicht voranbringt. Spätestens wenn der Eigentümer das Interesse an einem gut sortierten Kaufhaus verloren haben sollte, sollte der Bezirk zugreifen, das Gebäude kaufen und die Fläche gemeinsam mit den Bürger:innen weiterentwickeln. Denn wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.
Ich finde uns sollte unbedingt ein Kaufhaus an dieser Stelle erhalten bleiben, aber es wäre schön, wenn das Gebäude erneuert wird und hier eine modernere Nutzung ermöglicht wird! Berlin und Wedding sind in der Lage hier etwas wirklich begeisterndes zu positionieren. Das aktuelle Kaufhaus ist jedenfalls eher was für Generation Ü‑50 und trägt nichts zum Charme des Viertels bei (im Gegenteil). Manchmal ist “praktisch” eben einfach nicht gut genug.
Ich liebe es bei Karstadt einkaufen zu gehen. Ich muss nicht von einem Geschäft zum Anderen laufen, bekomme Kleidung, Lebensmittel und andere Dinge für das tägliche Leben, unter einem Dach geboten. der anschließende Kaffee, ein Stück Kuchen oder ein kleines Mittagessen ist auch im Hause möglich. Die Kassensituation ist zu überdenken.
Leider lädt die Müllerstr. nicht mehr zum Einkaufen ein, deshalb wäre ich über die Karstadt Schließung traurig. Es gibt dort immer noch Qualität zu normalen Preisen.
Ein Best/Silver Ager lässt grüßen.
Ingeborg Bayer
Danke, S. Haun, für dieses Statement zum Erhalt von Karstadt. Ich kann mich den gewonnenen Eindrücken nur anschließen. Und: Meine Erfahrung in Berlin ist, dass es üblicherweise NIE besser geworden ist, wenn was Neues kam…
Z.B. ist meine Befürchtung, dass der Nutzungsplan aufgehoben wird und dort neue, schicke Wohnungen entstehen. Und die Folgen u.a. auch für das Stadtbild sieht man ja immer wieder an den Aktionen der Linken beim Studentenwohnheim 2 Ecken weiter! Und auf die Folgen des sozialen Gefüges brauchen wir garnicht weiter einzugehen…
Ich glaube, lieber Joachim, ich mag gerade den Charme des Vergangenen. So ähnlich, wie es im KaDeWe oder Lafyette praktiziert wird.
Ich habe mit den Karstadt Verkäufer_innen sehr gut Erfahrungen gemacht, sprichst du sie an, beraten sie dich hervorragend und ein Scherz mit der Kassierer_in ist immer drin. Ich verstehe, dass die Verkäufer_innen nicht sofort auf potentielle Kunden zustürmen. Ist es nicht gerade das, was die Leute im Kaufhaus mögen? Das Stöbern ohne bedrängt zu werden?
Über das Parkhaus, dieser düstere Bereich von Karstadt, kann man reden! Es kommt ja auch darauf an, wie sich die Autosituation in Berlin weiterentwickelt. Das Dach könnte man zum Garten umfunktionieren, mit Café. War das nicht auch mal im Gespräch?
Die Lebensmittelabteilung bei Karstadt möchte ich nicht missen, wir gehen dort immer unsere Weihnachtsgeschenke einkaufen, besondere Marmeladen, Kaffees und Weine etc. So bekommen wir ALLES auf einen Schlag, ohne, dass wir uns hetzen müssen. Und danach in der kleinen Mensa Kaffee und Kuchen.
Für neue Ideen bin ich immer offen, ich weiss, man lernt das Neue nicht kennen, wenn man am alten kleben bliebe. Und wo wäre dann der Fortschritt?
Einen schönen Tag von Susanne