Für Kinder ab 9 Jahren und alle kindgebliebenen Erwachsenen hat die Weddinger Kinderbuchautorin Kirsten Reinhardt ihr Buch „Der Kaugummigraf“ als Lesung eingesprochen und nun – passend zum Zuhausebleiben während der Corona-Krise – auf Youtube veröffentlicht.
„Der Kaugummigraf passt gerade super in die Zeit“, erklärt Kirsten Reinhardt. „Er lebt immer so, wie es uns gerade empfohlen wird.“
Tatsächlich, der Kaugummigraf – Protagonist des gleichnamigen Kinderbuches – wohnt zusammen mit Hund Schmitt in einem verlassenen Bahnhof an einer stillgelegten Bahnstrecke und hat diesen seit 20 (!) Jahren nicht verlassen. Er ernährt sich von Dosenbohnen, Earl Grey, Zwieback und Essiggürkchen und sein Alltag folgt einem strengen Zeitplan. Eines Tages kommt die angebliche Ausreißerin Eli dazu und bringt sein Leben ziemlich durcheinander. Der Bahnhof muss vor dem Abriss gerettet werden, der Graf stellt sich seiner Vergangenheit und natürlich spielen auch die Kaugummis eine wichtige Rolle – der Graf hat eine ganze davon. Gekaute, versteht sich.
Es geht um Freundschaft, Außenseiter, Mobbing und Mut – und wie in vielen von Kirsten Reinhardts Büchern ist der Humor ein eher grotesker, eher schwarzer. „Ich liebe bös-lustige und eklige Sachen“, sagt die Autorin. „In Rezensionen wurde ich mit Roald Dahl verglichen. Das hat mich enorm gefreut.“
Zuerst hatte Kirsten Reinhardt gar nicht vor, die Lesung zu verschenken. Es waren die Schüler:innen bei Lesungen, die sie dazu brachten, das Ganze gratis ins Netz zu stellen: „Zum einen fragen mich Kinder bei Lesungen immer, ob ich auf Youtube bin. Und dann sind sie total enttäuscht, wenn ich Nein sage. Vermutlich bin ich dann extrem uncool. Andererseits – und das ist eigentlich mein Hauptgrund, treffe ich so viele Kinder – und das nicht nur im Wedding, sondern in der ganzen Republik – die keine Bücher zuhause haben; kaum Bücher im Klassenzimmer; die nicht lesen; die ganz offensichtlich nicht vorgelesen bekommen. Und deren Eltern ihnen eben keine Audible-Abos schenken. Diese Kinder sind dann eben den ganzen Nachmittag bei Youtube unterwegs. Und nach meiner Lesung wollen die immer, wissen, wie es weitergeht! Wenn die mich also bei Youtube finden: Super!”
Kirsten Reinhardt, gebürtig in der Lüneburger Heide, wo sich auch der Original-Bahnhof des Grafen befindet – lebt seit 2008 im Brüsseler Kiez. Sie hat zwei Kinder, die hier zur Schule gehen, und schreibt ab und zu eine „Berliner Szene“ für die Tageszeitung taz, die auch meist hier in der Gegend spielen. Vier Bücher hat sie beim Carlsen Verlag veröffentlicht: „Alle sind im Wedding entstanden“, sagt die Autorin. „In unserer Wohnung, beim Spazierengehen und in den umliegenden Cafés“. In die flüchtet sie sich, wenn es nicht weitergeht im Text, meistens mit einem Ideen-Kritzelbuch in der Tasche.
Auch ihr könnt etwas zurückgeben
Kirsten Reinhardt stellt Euch diese Lesung kostenlos zur Verfügung, heißt es im Abspann von jedem der vier Teile der Youtube-Lesung, und sie freut sich sehr darüber, wenn Ihr ein Buch von ihr kauft. Zum Beispiel in einem Buchladen in Eurer Nähe. Nun ist es ja so, dass gerade den Autor:innen durch geschlossene Schulen, abgesagte Lesungen und andere Veranstaltungen, z.B. Workshops, derzeit die Einnahmen wegbrechen. Wie kann so etwas also funktionieren?
„Natürlich sind künstlerische Werke gratis im Netz problematisch“, sagt Kirsten Reinhardt. „Wir haben dieses Hörbuch in 3 Tagen und 3 halben Nächten aufgenommen. Dazu kam das Zusammenschneiden, das war viel Arbeit. Es sind über vier Stunden zum Anhören! Aber ich hoffe am Ende, dass sich die Menschen freuen, dass sie vielleicht etwas zurück geben möchten, dass sie mal ein Buch von mir kaufen oder etwas spenden.“
Aufgenommen hat Kirsten Reinhardt die Lesung in Wien, im Tonstudio eines Freundes. „Mathias Lenz ist Künstler, Schauspieler, Multitalent“, erzählt Kirsten Reinhardt. In ihrer Theaterproduktion Fennymore – ein Antidiktatorentheater hat er den neoliberalen Populisten gespielt, dafür einen Song geschrieben und die Kinder mit seinen Ideen, z.B. einem „Hut, der Gedanken liest und dir jeden Wunsch erfüllt“ umgarnt (der Weddingweiser berichtete).
Und von wem diese ganzen Kaugummis sind, die der Graf in einem der zehn Zimmer in seinem Bahnhof aufbewahrt; was ihm in seiner Vergangenheit so zusetzte, dass er sich von der Welt zurückzog und wie ein kleines Mädchen ihm helfen kann – das hört Ihr Euch am besten selbst an.
Kirsten Reinhardts Youtube-Kanal mit Lesung des Kaugummigrafen:
https://www.youtube.com/channel/UCiGQm4cntvXWsO4M_RmB_VQ
Bücher von Kirsten Reinhardt (Carlsen Verlag):
„Der Kaugummigraf“ (ab 10)
„Karl und Knäcke lernen Räubern“ (ab 5)
„Fennymores Reise oder Wie man Dackel im Salzmantel macht“ (ab 8)
„Die haarige Geschichte von Olge, Henrike und dem Austauschfranzosen“ (ab 10)