Kommentar Selten sind sich alle so einig wie beim Kitamangel. Doch auch wenn alle ins gleiche Horn stoßen, wird noch lange nicht die richtige Melodie gespielt. Statt das Klagelied anzustimmen, ist es Zeit für einen Zwischenruf: Ansprüche runter, liebe Eltern! Ihr nehmt immer mehr für selbstverständlich. Wo bleibt die Bereitschaft, selbst etwas zu tun? Dieser Kommentar stellt sich in vier Punkten quer zur aktuell üblichen Litanei:
Eins vorweg: Natürlich ist es richtig, dass es zu wenig Kitaplätze in Berlin gibt. Natürlich frustriert es, überall abgewiesen zu werden. Selbstverständlich fühlen sich Zusatzgebühren ohne Gegenleistung wie Abzocke an. Doch nun zum Aber:
1. Das Mehr: Eine Frage, warum jammern die jungen Eltern? Das Land Berlin hätte viel mehr Grund dazu. 2008 wurden in Berlin rund 120.000 Kinder in verschiedenen Tageseinrichtungen betreut. 2017 waren es schon über 160.000. Was würdet ihr, Berliner Mamas und Papas, in eurem Job zu einer solchen Mehrbelastung sagen? Das Land Berlin hat nicht gemosert, sondern angepackt. Allein mit dem Kita- und Spielplatzsanierungsprogramm wurden Millionen Euro in den Kitaausbau gesteckt. Berlin regelt´s und ihr regt euch auf.
2. Eigenanteil: Die Weddinger Kita “Tüte Mücken” ist ehrlich und schreibt offen auf ihrer Webseite, 75 Euro Zuzahlung für Extraleistungen zu erheben. Noch vor wenigen Jahren hätten sich viele Eltern über einen solchen Betrag gefreut. Früher mussten alle einen Eigenanteil zahlen, und der war heftig für Leute mit eigenem Einkommen. Heute soll die Kita kostenlos sein. Für arm, aber auch für reich. Blick zurück: Ab 2007 war in Berlin zunächst nur das letzten Kitajahr für alle beitragsfrei geworden. Doch das bei Facebook gelernte Umsonstdenken greift weiter um sich. Ab dem 1. August 2018 kommt die Null-Beteiligungs-Kita. Immer mehr wird gefordert (auch von den sozial Starken), und gleichzeitig wird immer weniger beigetragen.
3. Das Klagen: In einigen Bezirken haben junge Familie vor Gericht geklagt, weil kein Kitaplatz vorhanden ist. Und bekommen jetzt tatsächlich recht und damit Geld vom Staat. Ein Beweis für die schreckliche Lage? Oder ein Beweis für die unerhört gestiegenen Ansprüche? Am 1. August 2013 wurde das Recht auf einen Kitaplatz für Kinder ab drei (!) Jahren eingeführt. Das war damals in Wahrheit utopisch. Die Richter waren anfangs realistisch genug und urteilten, dass es genügt, wenn Berlin sich anstrengt, Kitaplätze zu schaffen. Nur wenige Jahre später glauben Richter, Berlin müsse echte Plätze vermitteln. Und das sogar ab dem ersten (!) Lebensjahr. Mancher will obendrein, dass das online geschehen soll. Damit die Mamas und Papas auf dem heimischen Sofa wie bei Tinder blöde Kitas wegdrücken können. Ist euch bewusst, auf welchem Niveau ihr jammert?
4. Die Schlaffheit: Liebe jungen Eltern, wenn Euch etwas quer im Halse steckt, dann rennt ihr zum Anwalt. Die Generationen vor euch hatten für unbequeme Lagen andere Lösungen in petto. Beispiel Wedding: Vor 25 Jahren wurde die Initiativkita Villa Römer gegründet, die Kita Krümelbande gibt es seit rund 35 Jahren und bereits 1971 wurde die Eltern-Initiativkita Am Schillerpark gegründet. Weil es mehrere Generationen “Ich handle, also bin ich” gab, sitzt die heutige Generation “Ich bestelle, also bin ich” mit 45 Eltern-Initiativ-Kitas (allein im Wedding) im gemachten Nest.
Ja, die Lage ist dramatisch. Aber ihr jungen Eltern: In den letzten Jahren sind euch viele Anrechte in den Schoß gelegt worden. Ja, ihr habt Rechte. Aber habt ihr auch Hände, in die ihr spucken und in die ihr euer eigenes Schicksal nehmen könnt.
Text: Andrei Schnell, Fotos: Andrei Schnell
Lieber Herr Schnell,
es fehlt an Fachkräften (Erziehern), nicht an Einrichtungen oder Eigeninitiative.
Wir haben damals in den 90ziger Jahren einen Kinderladen gegründet. Der Staat hat das unterstützt. Es war trotzdem viel Eigenleistung in Form von organisatorischer Arbeit notwendig und es musste ein Verein gegründet werden.
Wie sieht das heute aus? Es stehen sehr viele Läden im Wedding leer, vielleicht sind einige für Elterninitiativen geeignet. Man kann übrigens auch Erzieher*innen und Putzmänner / ‑frauen anstellen, so dass die Eltern ihrer Arbeit nachgehen können. So lief das damals bei uns.
So ein unreflektierten Artikel habe ich schon lange nicht mehr gelesen und der Schreibstil lässt auch zu wünschen übrig. …aber ist ja typisch weddingweise. Siehe namensumbenennung im afrikanischen Viertel…
Wir suchen auch einen Kita Platz. Was mich nervt: Wir warten seit fünf Monaten auf unseren Kita Gutschein. Die Kitas wollen den verständlicherweise sehen, vorher gibt es keinen Platz. Eltern melden sich sicherheitshalber in zwei Dutzend Kitas an… das ist absurd. Ich würde gerne planen, ob ich ein, zwei oder drei Monate kein Gehalt bekomme, weil ich keinen Platz bekomme…
Wer passt auf ihre drei Kinder auf?
So eine dermaßen verallgemeinernde Leser-Beschimpfung habe ich lange nicht mehr gelesen! Da sind wohl mit dem Andrei alle Gefühlspferde durchgegangen! Faktisch belegen wird er all seine Behauptungen nämlich leider nicht können. Und auch deshalb ist der Text in seiner heiligen Einfalt kaum zu übertreffen. Sehr ärgerlich!
Professionelle Journalisten wie Du würden es sich wahrscheinlich verkneifen, gegen den Leser zu schreiben. Einfacher ist es für sie, die Verwaltung zu kritisieren. In diesem Fall erschien mir ein solches Vorgehen unangemessen. Denn der Staat tut zur Zeit in der Kitafrage sehr viel für junge Eltern.
Frage: hat der Autor selbst Kinder?
Er hat drei Kinder.