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Bundestagswahl 2017: Im Gespräch mit Özcan Mutlu

22. März 2017
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Özcan Mutlu
Özcan Mut­lu in sei­nem Bun­des­tags­bü­ro. Foto: And­rei Schnell

Inter­view Der Wed­ding­wei­ser trifft den Direkt­kan­di­da­ten Özcan Mut­lu von den Grü­nen zum Inter­view in des­sen Bun­des­tags­bü­ro. Das Haus in der Doro­theen­stra­ße 101 hat ein impo­san­tes Foy­er, um so über­rasch­ter ist man beim Betre­ten des klei­nen Büros, das sich Mut­lu auch noch mit sei­nen Refe­ren­ten teilt. Es ist so eng, dass nie­mand zur Tür her­ein­kann, wenn jemand gera­de einen Kaf­fee auf­setzt. Im Vor­ge­spräch reden wir mit Mut­lu auch über Deniz Yücel, der zu einem Sym­bol für rund 150 in der Tür­kei inhaf­tier­ten Jour­na­lis­ten gewor­den ist. Doch The­ma des Inter­views ist Mut­lus Arbeit im Bun­des­tag. (Hier zum Inter­view mit Eva Högl von der SPD vom 3. April und mit Ste­phan Rau­hut von den Lin­ken vom 8. Mai.)

Sie sind seit 2013 im Bun­des­tag. Was war ihnen wäh­rend ihrer Arbeit in die­ser Zeit wichtig?

Özcan Mut­lu: Ich möch­te ein Poli­ti­ker zum Anfas­sen sein. Mein Anspruch als Abge­ord­ne­ter ist es, mich nicht nur alle vier Jah­re, wenn Wah­len sind, zu mel­den. Ich war viel im Kiez unter­wegs, bei Ver­ei­nen, durch mei­ne Rei­he „Mut­lu kocht‟ oder „Mut­lu rennt‟. Es gibt über Poli­ti­ker oft den Vor­wurf, das sei­en „die da oben‟. Das woll­te ich durch­bre­chen. Ich ler­ne bei den Tref­fen mit den Men­schen im Kiez jedes Mal eine Men­ge. Man bekommt vie­les nur dann mit, wenn man zuhört.

Özcan Mutlu am Rednerpult
Özcan Mut­lu redet auf eine Mit­glie­der­ver­samm­lung der Grü­nen 2015. Foto: And­rei Schnell

Vie­le Wed­din­ger treibt das The­ma stei­gen­de Mie­ten um.

Özcan Mut­lu: Man muss gesetz­lich eine ech­te Miet­preis­bin­dung durch­set­zen. Wir brau­chen eine wah­re Miet­preis­brem­se, die auch den Namen ver­dient. Man muss die Umla­ge-Mög­lich­kei­ten bei Moder­ni­sie­run­gen ein­schrän­ken. Der Milieu­schutz, der auf Lan­des­ebe­ne fest­ge­setzt wer­den kann, reicht allein nicht aus. Auch die Umwand­lung von Wohn­raum in Gewer­be muss unter­bun­den werden.

Wie könn­te Woh­nungs­bau-Genos­sen­schaf­ten gehol­fen werden?

Özcan Mut­lu: Genos­sen­schaf­ten kön­nen unter­stützt wer­den über Steu­er­be­frei­un­gen und über spe­zi­el­le KfW-För­de­run­gen. Das Genos­sen­schafts­mo­dell ist ein Zukunfts­mo­dell. Auch Bau­grup­pen gehö­ren dazu, das sind qua­si Genos­sen­schaf­ten im Klei­nen. Auch von die­sen erwar­ten wir, dass sie bezahl­ba­ren Wohn­raum nicht nur für sich schaf­fen. Wir sehen den Staat in der Pflicht, durch sozia­len Woh­nungs­bau mehr bezahl­ba­ren Wohn­raum zu schaffen.

War­um soll­te man Sie am 24. Sep­tem­ber als Direkt­kan­di­dat wählen?

Özcan Mut­lu: Ich kan­di­die­re für Mit­te, weil ich dafür kämp­fen will, dass wir Grü­nen den Wahl­kreis 75 – Ber­lin Mit­te mit Wed­ding, Moa­bit, Tier­gar­ten und Alt-Mit­te – direkt gewin­nen. Star­ke Grü­ne könn­ten Zie­le errei­chen, die wir in der Oppo­si­ti­on nicht erreicht haben: Bil­dungs­ge­rech­tig­keit, Men­schen in Armut nicht zu beschä­men, die Hartz-IV Geset­ze refor­mie­ren. Ich will, dass jedes Kind einen guten Kita­platz bekommt. Ich wer­de mich ein­set­zen für eine Stär­kung der Inte­gra­ti­on. Dafür brau­chen wir eine Bil­dungs­of­fen­si­ve vor allem in benach­tei­lig­ten Gebie­ten. Genau dort brau­chen wir mehr Erzie­her und Erzie­he­rin­nen, mehr Schul­psy­cho­lo­gen und Schul­psy­cho­lo­gin­nen und spür­bar mehr Leh­rer und Leh­re­rin­nen an den Schulen.

Auch müs­sen wir den Kampf gegen Rechts stär­ken. Des­halb brau­chen wir mehr Demo­kra­tie­bil­dung an den Schu­len. Übri­gens auch gegen Fun­da­men­ta­lis­mus. Ich bin des­halb auch für das Wahl­pflicht­fach Islam in der Schu­le – bei Bedarf. Dann bekä­men Schü­ler nicht nur irgend­wel­che Ima­me oder gar sala­fis­ti­sche Red­ner zu hören, son­dern erhiel­ten ech­te Infor­ma­tio­nen über den Islam. Und wir müs­sen viel stren­ger sein: Moscheen, die gegen das Grund­ge­setz ver­sto­ßen, die müs­sen geschlos­sen wer­den. Und, nicht zu ver­ges­sen, wir müs­sen Ima­me hier in Deutsch­land aus­bil­den. Mit hier mei­ne ich auch: auf dem Boden des Grundgesetzes.

Ist es Ihrer Mei­nung nach rich­tig, dass der tür­ki­sche Prä­si­dent Recep Erdo­gan in Deutsch­land Wahl­kampf machen darf?

Özcan Mut­lu: Wir sind eine Demo­kra­tie. Die Mei­nungs­frei­heit gilt auch für Erdo­gan. Ich hal­te nichts von Ver­bo­ten. Dann zele­briert sich Erdo­gan bloß als Opfer. Wenn er kommt, dann kön­nen wir dem Prä­si­den­ten zei­gen, was Demo­kra­tie ist. Näm­lich: Wir erlau­ben ihm zu reden. Demo­kra­tie heißt aber auch, dass wir eine Gegen­de­mons­tra­ti­on anmel­den. Das dür­fen die Leu­te in der Tür­kei jetzt nicht mehr. So soll­ten wir Paro­li bieten.

Hintergrundinformationen

Özcan Mut­lu ist für die Frak­ti­on der Grü­nen Spre­cher für Bil­dungs­po­li­tik und für Sport­po­li­tik. Er ist Mit­glied der deutsch-tür­ki­schen Parlamentariergruppe.

Özcan Mut­lu wur­de 1968 in einer Klein­stadt im Nord­os­ten der Tür­kei gebo­ren. Er stu­dier­te in Ber­lin Elek­tro­tech­nik und lebt zur Zeit in Kreuz­berg. Über die Sta­tio­nen Bezirks­ver­ord­ne­ten­ver­samm­lung, Abge­ord­ne­ten­haus und Bun­des­tag ist Mut­lu seit 1992 als gewähl­ter Poli­ti­ker tätig.

Bei der Wahl 2013 nahm Özcan Mut­lu für die Grü­nen 18,3 Pro­zent der Wäh­ler für sich ein. Damit ver­pass­te er das Direkt­kan­di­dat, zog aber über die Lis­te in den Bun­des­tag ein. Aktu­ell ist der Wahl­kreis 75 durch Eva Högl (SPD), Phil­ipp Lengs­feld (CDU) und Özcan Mut­lu (Grü­ne) ver­tre­ten; die bei­den letzt­ge­nann­ten zogen über die Lis­te in den Bun­des­tag ein.

Ter­min für die Bun­des­tags­wahl 2017 ist der 24. Sep­tem­ber. Der Wahl­kreis 75 ist iden­tisch mit dem Bezirk Mitte.

Wahl­er­geb­nis­se 2013: Eva Högl für SPD 28,2 Pro­zent, Phil­ipp Lengs­feld für CDU 23,9 Pro­zent, Özcan Mut­lu für Grü­ne 18,4 Pro­zent und Klaus Lede­rer für Lin­ke 16,7 Prozent.
Wahl­er­geb­nis­se 2009: Eva Högl für SPD 26 Pro­zent, Chris­ti­an Bur­holt für CDU 22 Pro­zent, Wolf­gang Wie­land für Grü­ne 21,5 Pro­zent und Klaus Lede­rer für Lin­ke 19,1 Prozent.
Wahl­er­geb­nis­se 2005: Jörg-Otto Spil­ler für SPD 41,9 Pro­zent, Vol­ker Lie­pelt für CDU 23,2 Pro­zent, Wolf­gang Wie­land für Grü­ne 13,9 Pro­zent und Tobi­as Schul­ze für Lin­ke 13,8 Prozent.

Diagramm Wahlergebnisse
Ergeb­nis­se der Bun­des­tags­wah­len im Wahl­kreis 75 (Ber­lin Mit­te). Gra­fik: And­rei Schnell

Wei­te­re Inter­views: Den Wahl­kreis 75 direkt gewin­nen woll auch Eva Högl (SPD), Gespräch mit Eva Högl am 3. April und Ste­phan Rau­hut, Gespräch mit Ste­phan Rau­hut am 8. Mai.

Inter­view und Fotos: And­rei Schnell

Andrei Schnell

Meine Feinde besitzen ein Stück der Wahrheit, das mir fehlt.

1 Comment Leave a Reply

  1. Ich fin­de den Gedan­ke, neben dem evan­ge­li­schen und katho­li­schen frei­wil­li­gen Reli­gi­ons­un­ter­richt auch das Fach Islam anzu­bie­ten, sehr inter­es­sant. Müss­ten wir uns dann nicht auch um die ande­ren reli­gö­sen Grup­pie­run­gen Gedan­ken machen? Bil­det das Fach Ethik alle Reli­gio­nen ab oder geht die Ethik mehr in die phi­lo­so­phi­sche Richtung?

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