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Kurze Straße mit großer Weltgeschichte:
Die Iranische Straße als Geste des NS-Regimes gegenüber Persien

1. März 2025

Die Exer­zier­stra­ße ver­lief einst von der See­stra­ße bis zur Bad­stra­ße. Im Jahr 1934 wur­de der Stra­ßen­ab­schnitt mit den Pfle­ge­ein­rich­tun­gen erst in Per­si­sche Stra­ße und 1935 in Ira­ni­sche Stra­ße umbe­nannt. Was steck­te hin­ter der Umbenennung?

Vom „Bezirk der Nächs­ten­lie­be“ zum Propaganda-Instrument

An der Stra­ße reih­ten sich seit 1914 zahl­rei­che Wohl­fahrts­ein­rich­tun­gen wie das Kai­ser- und Kai­se­rin-Fried­rich-Kin­der­kran­ken­haus (1890), die Lan­ge-Schu­cke-Stif­tung (1892), das Hos­pi­tal zum Hei­li­gen Geist und St. Georg (1886), das Jüdi­sche Alters­heim (1902) sowie das Jüdi­sche Kran­ken­haus (1914) auf. Durch die schma­le Neben­stra­ße fuhr die Stra­ßen­bahn. Sie ver­band den Wed­ding mit dem Gesund­brun­nen und vice-versa.

Im Jahr 1934 gedach­te man in Deutsch­land und dem Iran dem per­si­schen Dich­ter Fir­do­si, der damals vor 1.000 Jah­ren im Jahr 934 gebo­ren sein soll. Um die Bezie­hung zwi­schen den bei­den Län­dern wei­ter zu inten­si­vie­ren, wur­de ein mehr­mo­na­ti­ger NS-Pro­pa­gan­da­ma­ra­thon insze­niert, zu dem auch die Stra­ßen­um­be­nen­nung im Wed­ding gehörte.

Dich­ter Fir­do­si im Zen­trum poli­ti­scher Beziehungen

Aus der gleich­ge­schal­te­ten Pres­se der NS-Zeit las­sen sich fol­gen­de Fir­do­si-Ver­an­stal­tun­gen in Ber­lin ermit­teln: am 27. Sep­tem­ber 1934 fand im Archäo­lo­gi­schen Insti­tut eine Jahr­tau­send­fei­er für Fir­do­si vom wis­sen­schaft­li­chen Aus­schuss des deut­schen Ori­ent­ver­eins statt.

Für eine maxi­ma­le Auf­merk­sam­keit die­ser Fei­er ver­an­stal­te­te am glei­chen Abend der deut­sche Gesand­te in Tehe­ran ein Abend­essen mit hoch­ran­gi­gen Gäs­ten wie dem Stell­ver­tre­ter des Außen­mi­nis­ters, dem Kul­tus­mi­nis­ter, dem Vor­sit­zen­den der Natio­nal­bank und wei­te­ren hohen per­si­schen Beam­ten, wo man die in Ber­lin aus­ge­rich­te­te Fei­er über Richt­strah­ler (KW-Rund­funk für eine welt­wei­te Ver­brei­tung von Radio-Sen­dun­gen) gespann­te verfolgte.

Dass The­ma Fir­do­si war damit nicht been­det: vom 26. Okto­ber 1934 bis zum 2. Novem­ber 1934 fand in Ber­lin ein Asia­ti­scher Stu­den­ten­kon­gress statt. Die­sen orga­ni­sier­te die Deut­sche Stu­den­ten­schaft zu Ehren von Fir­do­si. Dabei stan­den die Arbei­ten der Hit­ler­ju­gend, Vor­stel­lung der Ras­sen­ideo­lo­gie und zahl­rei­che Besich­ti­gun­gen von Wirt­schafts­be­trie­ben im Mittelpunkt.

Umbe­nen­nung der Exer­zier­stra­ße als krö­nen­der Abschluss

Unter der Über­schrift „Ber­li­ner Ehrung für Per­si­en“ berich­te­ten die Tages­zei­tun­gen am 28. Novem­ber 1934 von der fei­er­li­chen Umbe­nen­nung der Exer­zier­stra­ße in „Per­si­sche Stra­ße“. Die Ver­an­stal­tung fand an der Ecke Rei­ni­cken­dor­fer Stra­ße und Exer­zier­stra­ße mit einem Auf­marsch des Feld­jä­ger­korps unter Anwe­sen­heit des per­si­schen Gesand­ten und Ver­tre­tern des Aus­wär­ti­gen Amts statt.

Es sprach Ober­bür­ger­meis­ter Dr. Hein­rich Sahm über die wich­ti­ge Bezie­hung zu Per­si­en. „Die Reichs­haupt­stadt wol­le mit der Stra­ßen­um­be­nen­nung zugleich auch ihrer Bewun­de­rung dar­über Aus­druck geben, was Per­si­ens Kai­ser für sein Land in den Jah­ren sei­ner Regie­rung geleis­tet habe“ berich­te­te die Aache­ner Anzei­ger (28. Novem­ber 1934).

Der per­si­sche Gesand­te Abolg­has­sem Kahn Nadjm sag­te, dass die Ein­wei­hung der Stra­ße vom gan­zen per­si­schen Volk als ein Zei­chen der wach­sen­den Bezie­hung begrüßt wer­de. Er soll fer­ner geäu­ßert haben, dass das Deut­sche Reich einen ruhm­rei­chen Füh­rer habe, der sich für den Auf­stieg und die Grö­ße des Lan­des auf­op­fe­re und somit ähn­lich zu Per­si­en sei. Mit die­ser Umbe­nen­nung hat­ten die Fir­do­si-Fei­er­lich­kei­ten ihren Abschluss gefun­den – zumin­dest in Berlin.

Im Janu­ar 1935 berich­te­ten die Tages­zei­tun­gen, dass Per­si­en sich zukünf­tig auf inter­na­tio­na­ler Ebe­ne Iran nen­nen wird – offi­zi­ell ab dem 21. März 1935. Des­halb wur­de im Sep­tem­ber 1935 aus der Per­si­schen Stra­ße nun die Ira­ni­sche Straße.

Fazit

In den jüdi­schen Tages­zei­tun­gen wur­de die Namen­än­de­rung nicht the­ma­ti­siert. Viel­leicht hat die Zen­sur mög­li­che Bei­trä­ge ver­hin­dert. In dem neu benann­ten Stra­ßen­ab­schnitt lagen zwei gro­ße jüdi­sche Ein­rich­tun­gen: das Alters­heim und das Kran­ken­haus. Somit könn­te die Umbe­nen­nung eine sub­ti­le aber geziel­te Anti­se­mi­tis­mus-Akti­on des NS-Regimes gewe­sen sein*. Wäh­rend die erwähn­ten Fir­do­si-Ver­an­stal­tun­gen eher ein Rand­the­ma in der NS-Geschich­te bil­den, ist der Stra­ßen­na­me noch heu­te prä­sent und weder die kom­ple­xe Geschich­te dahin­ter bekannt noch im Stadt­raum the­ma­ti­siert. Viel­leicht Zeit für eine Umbenennung?

Lite­ra­tur:

Hau­rand, Kath­rin: Vom Nazi-Kol­la­bo­ra­teur zum Gast­land – Iran wäh­rend des Zwei­ten Welt­krie­ges, in: Medaon, Maga­zin für jüdi­sches Leben in For­schung und Bil­dung, (11, 2017).

Künt­zel, Mat­thi­as: Nazis und der Nahe Osten, Wie der isla­mi­sche Anti­se­mi­tis­mus ent­stand, Ber­lin 2019.

*His­to­ri­scher Kon­text zur Bezie­hung NS-Staat und Persien

Die gemein­sa­me Geschich­te zwi­schen Deutsch­land und dem Iran begann nicht erst in den 1930 er Jah­ren. Bereits zuvor gab es Ver­bin­dun­gen, die in ers­ter Linie wirt­schaft­li­chen Inter­es­sen gal­ten. „Eine deutsch-per­si­sche Koope­ra­ti­on in Poli­tik und Wirt­schaft führ­te ab Mit­te der 1930er Jah­re zu einer star­ken Prä­senz deut­scher Fir­men, Poli­ti­ker, natio­nal­so­zia­lis­ti­scher Jugend- und Stu­den­ten­or­ga­ni­sa­tio­nen sowie von Armee­per­so­nal, das unter ande­rem die per­si­sche Armee aus­bil­de­te“, schreibt die His­to­ri­ke­rin Kath­rin Hau­rand. In der Fol­ge wur­den Visa­be­stim­mun­gen für deut­sche Geschäfts­leu­te und Poli­ti­ker gelo­ckert. Gleich­zei­tig nah­men die deut­sche Pro­pa­gan­da und Ras­sen­ideo­lo­gie auf das Leben von Juden im Iran Ein­fluss, denn Leh­rer wur­den ent­las­sen, Schü­ler aus öffent­li­chen Schu­len ver­wie­sen, Stu­den­ten der Zugang zur Uni­ver­si­tät ver­wehrt und jüdi­sche Geschäfts­leu­te denun­ziert. Damit erreich­te die wirt­schaft­li­che und ideo­lo­gi­sche Koope­ra­ti­on ihren Höhe­punkt. Immer­hin gin­gen 1940 gut 47 Pro­zent aller ira­ni­schen Expor­te nach Nazi­deutsch­land. Und anders­her­um erreich­ten die Ein­fuh­ren 43 Pro­zent. Die­se enge Bezie­hung bestand bis zur ang­lo-sowje­ti­schen Inva­si­on am 25. August 1941 und der anschlie­ßen­den Beset­zung durch Groß­bri­tan­ni­en und die Sowjet­uni­on. In der Fol­ge wur­den deut­sche Natio­nal­so­zia­lis­ten auf­ge­for­dert, den Iran zu ver­las­sen. Jetzt ver­än­der­te sich die Rol­le des Lan­des: Ein Abkom­men zwi­schen der Besat­zungs­macht Sowjet­uni­on und der pol­ni­schen Exil­re­gie­rung ermög­lich­te die Umsied­lung tau­sen­der Zivi­lis­ten und der Armee in den Iran. Dar­un­ter waren Tau­sen­de jüdi­sche Flücht­lin­ge. Die erzwun­ge­ne Neu­tra­li­tät des Irans schuf ein gewis­ses Kli­ma poli­ti­scher Frei­heit für vie­le Juden in Tehe­ran, schreibt Hau­rand. So ent­stand eine Moti­va­ti­on für einen Neu­an­fang und der Iran wur­de zu einem regio­na­len Aus­gangs­punkt für die Migra­ti­on jüdi­scher Flücht­lin­ge in das Man­dats­ge­biet Palästina.

Carsten Schmidt

Zum Autor: Carsten Schmidt (Dr. phil.), promovierte am Friedrich-Meinecke-Institut der FU Berlin. Sein Interessensschwerpunkt für Stadtgeschichte verfolgt einen interdisziplinären Ansatz zwischen Gesellschaft- und Architekturgeschichte. Er ist Autor des Buchs: Manhattan Modern. Im Juni 2023 erschien sein neues Buch Bittersweet - Jüdisches Leben im Roten Wedding, 1871–1933 Zu finden ist er auch auf Twitter.

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