Die Exerzierstraße verlief einst von der Seestraße bis zur Badstraße. Im Jahr 1934 wurde der Straßenabschnitt mit den Pflegeeinrichtungen erst in Persische Straße und 1935 in Iranische Straße umbenannt. Was steckte hinter der Umbenennung?
Vom „Bezirk der Nächstenliebe“ zum Propaganda-Instrument
An der Straße reihten sich seit 1914 zahlreiche Wohlfahrtseinrichtungen wie das Kaiser- und Kaiserin-Friedrich-Kinderkrankenhaus (1890), die Lange-Schucke-Stiftung (1892), das Hospital zum Heiligen Geist und St. Georg (1886), das Jüdische Altersheim (1902) sowie das Jüdische Krankenhaus (1914) auf. Durch die schmale Nebenstraße fuhr die Straßenbahn. Sie verband den Wedding mit dem Gesundbrunnen und vice-versa.
Im Jahr 1934 gedachte man in Deutschland und dem Iran dem persischen Dichter Firdosi, der damals vor 1.000 Jahren im Jahr 934 geboren sein soll. Um die Beziehung zwischen den beiden Ländern weiter zu intensivieren, wurde ein mehrmonatiger NS-Propagandamarathon inszeniert, zu dem auch die Straßenumbenennung im Wedding gehörte.
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Dichter Firdosi im Zentrum politischer Beziehungen
Aus der gleichgeschalteten Presse der NS-Zeit lassen sich folgende Firdosi-Veranstaltungen in Berlin ermitteln: am 27. September 1934 fand im Archäologischen Institut eine Jahrtausendfeier für Firdosi vom wissenschaftlichen Ausschuss des deutschen Orientvereins statt.
Für eine maximale Aufmerksamkeit dieser Feier veranstaltete am gleichen Abend der deutsche Gesandte in Teheran ein Abendessen mit hochrangigen Gästen wie dem Stellvertreter des Außenministers, dem Kultusminister, dem Vorsitzenden der Nationalbank und weiteren hohen persischen Beamten, wo man die in Berlin ausgerichtete Feier über Richtstrahler (KW-Rundfunk für eine weltweite Verbreitung von Radio-Sendungen) gespannte verfolgte.
Dass Thema Firdosi war damit nicht beendet: vom 26. Oktober 1934 bis zum 2. November 1934 fand in Berlin ein Asiatischer Studentenkongress statt. Diesen organisierte die Deutsche Studentenschaft zu Ehren von Firdosi. Dabei standen die Arbeiten der Hitlerjugend, Vorstellung der Rassenideologie und zahlreiche Besichtigungen von Wirtschaftsbetrieben im Mittelpunkt.
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Umbenennung der Exerzierstraße als krönender Abschluss
Unter der Überschrift „Berliner Ehrung für Persien“ berichteten die Tageszeitungen am 28. November 1934 von der feierlichen Umbenennung der Exerzierstraße in „Persische Straße“. Die Veranstaltung fand an der Ecke Reinickendorfer Straße und Exerzierstraße mit einem Aufmarsch des Feldjägerkorps unter Anwesenheit des persischen Gesandten und Vertretern des Auswärtigen Amts statt.
Es sprach Oberbürgermeister Dr. Heinrich Sahm über die wichtige Beziehung zu Persien. „Die Reichshauptstadt wolle mit der Straßenumbenennung zugleich auch ihrer Bewunderung darüber Ausdruck geben, was Persiens Kaiser für sein Land in den Jahren seiner Regierung geleistet habe“ berichtete die Aachener Anzeiger (28. November 1934).
Der persische Gesandte Abolghassem Kahn Nadjm sagte, dass die Einweihung der Straße vom ganzen persischen Volk als ein Zeichen der wachsenden Beziehung begrüßt werde. Er soll ferner geäußert haben, dass das Deutsche Reich einen ruhmreichen Führer habe, der sich für den Aufstieg und die Größe des Landes aufopfere und somit ähnlich zu Persien sei. Mit dieser Umbenennung hatten die Firdosi-Feierlichkeiten ihren Abschluss gefunden – zumindest in Berlin.
Im Januar 1935 berichteten die Tageszeitungen, dass Persien sich zukünftig auf internationaler Ebene Iran nennen wird – offiziell ab dem 21. März 1935. Deshalb wurde im September 1935 aus der Persischen Straße nun die Iranische Straße.
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Fazit
In den jüdischen Tageszeitungen wurde die Namenänderung nicht thematisiert. Vielleicht hat die Zensur mögliche Beiträge verhindert. In dem neu benannten Straßenabschnitt lagen zwei große jüdische Einrichtungen: das Altersheim und das Krankenhaus. Somit könnte die Umbenennung eine subtile aber gezielte Antisemitismus-Aktion des NS-Regimes gewesen sein*. Während die erwähnten Firdosi-Veranstaltungen eher ein Randthema in der NS-Geschichte bilden, ist der Straßenname noch heute präsent und weder die komplexe Geschichte dahinter bekannt noch im Stadtraum thematisiert. Vielleicht Zeit für eine Umbenennung?
Literatur:
Haurand, Kathrin: Vom Nazi-Kollaborateur zum Gastland – Iran während des Zweiten Weltkrieges, in: Medaon, Magazin für jüdisches Leben in Forschung und Bildung, (11, 2017).
Küntzel, Matthias: Nazis und der Nahe Osten, Wie der islamische Antisemitismus entstand, Berlin 2019.
*Historischer Kontext zur Beziehung NS-Staat und Persien
Die gemeinsame Geschichte zwischen Deutschland und dem Iran begann nicht erst in den 1930 er Jahren. Bereits zuvor gab es Verbindungen, die in erster Linie wirtschaftlichen Interessen galten. „Eine deutsch-persische Kooperation in Politik und Wirtschaft führte ab Mitte der 1930er Jahre zu einer starken Präsenz deutscher Firmen, Politiker, nationalsozialistischer Jugend- und Studentenorganisationen sowie von Armeepersonal, das unter anderem die persische Armee ausbildete“, schreibt die Historikerin Kathrin Haurand. In der Folge wurden Visabestimmungen für deutsche Geschäftsleute und Politiker gelockert. Gleichzeitig nahmen die deutsche Propaganda und Rassenideologie auf das Leben von Juden im Iran Einfluss, denn Lehrer wurden entlassen, Schüler aus öffentlichen Schulen verwiesen, Studenten der Zugang zur Universität verwehrt und jüdische Geschäftsleute denunziert. Damit erreichte die wirtschaftliche und ideologische Kooperation ihren Höhepunkt. Immerhin gingen 1940 gut 47 Prozent aller iranischen Exporte nach Nazideutschland. Und andersherum erreichten die Einfuhren 43 Prozent. Diese enge Beziehung bestand bis zur anglo-sowjetischen Invasion am 25. August 1941 und der anschließenden Besetzung durch Großbritannien und die Sowjetunion. In der Folge wurden deutsche Nationalsozialisten aufgefordert, den Iran zu verlassen. Jetzt veränderte sich die Rolle des Landes: Ein Abkommen zwischen der Besatzungsmacht Sowjetunion und der polnischen Exilregierung ermöglichte die Umsiedlung tausender Zivilisten und der Armee in den Iran. Darunter waren Tausende jüdische Flüchtlinge. Die erzwungene Neutralität des Irans schuf ein gewisses Klima politischer Freiheit für viele Juden in Teheran, schreibt Haurand. So entstand eine Motivation für einen Neuanfang und der Iran wurde zu einem regionalen Ausgangspunkt für die Migration jüdischer Flüchtlinge in das Mandatsgebiet Palästina.